Zu seinem Besuch in Medjugorje nahm Kardinal Schönborn am 4.1.2010 Stellung.
Er ließ sich dabei nicht darauf ein, den dort praktizierten Marienaberglauben
direkt zu unterstützen. Wie es katholischerseits bei solchen Dingen üblich ist,
redete er darum herum.
Laut Pressedienst der Erzdiözese Wien wollte Schönborn
"den Ort sehen, von dem viele positive Früchte" ausgegangen sind.
Es sei notwendig, das Phänomen Medjugorje zu "entdramatisieren". Der
"Anfangsimpuls" sei von den "Seherinnen und Sehern"
ausgegangen, die 1981 noch Kinder waren. Inzwischen spielten diese außergewöhnlichen
Vorgänge (Marienerscheinungen) nur noch "eine untergeordnete Rolle",
man solle Medjugorje im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils zu studieren.
Denn Medjugorje sei so etwas wie eine "Schule des normalen christlichen
Lebens. Es geht dort um den Glauben an Christus, um das Gebet, um die Eucharistie,
um gelebte Nächstenliebe, um das Wesentliche im Christentum, um die Stärkung
im christlichen Alltagsleben".
Die katholische
Kirche selbst hat sich bisher vor einer Entscheidung gedrückt, einerseits offiziell
keine Wallfahrten nach Medjugorje erlaubt, andererseits jedoch die
"Notwendigkeit der seelsorglichen Betreuung der Pilger" betont.
Was man so sehen kann: Es ging somit darum, einerseits die Früchte
zu ernten und andererseits "Irrwege abzuwehren", wie man sich vorsichtig
ausdrückte. Schließlich weiß
man ja nicht, ob nicht plötzlich jemand aus dem Team der "Seher" etwas
ausplaudert. Wäre sehr peinlich, wenn man dann die "Erscheinungen"
offiziell anerkannt hätte.
Schönborn lässt über den Verlauf seines Besuches
wissen, es habe ihn sehr sympathisch
berührt, dass die "Seherinnen" sich als "normale und humorvolle
junge Menschen" herausgestellt hätten. Auf Medjugorje
träfen viele Aspekte zu, die der "Grammatik der Marienerscheinungen"
entsprechen: Es handle sich um eine arme Gegend, deren Bewohner aber sehr religiös
sind. Die Visionen seien - wie in Lourdes oder Fatima - Kindern zuteil geworden
und es handle sich um ganz einfache Botschaften, die aber den Kern des Evangeliums
betreffen.
Schönborn streift also nirgends wirklich an. Die Frage,
dass das Ganze ein aufgelegter Schwindel sein müsse, stellt er nicht. Die "Seherinnen"
mit ihren "einfachen Botschaften" sind sympathisch und dass die Leute
nach Medjugorje fahren und dort eifrig beten, ist gut für die Kirche. Katholisch-theologisch
sagt das gar nichts aus, aber so
viel Heuchelei auf einem Haufen ist zumindest bemerkenswert.
Scharf ging
es der für Medjugorje zuständige Bischof von Mostar, Ratko Peric, an, der die dortigen
Narreteien von Anfang an
abgelehnt hatte. Er sagt zu den "Erscheinungen" ganz schlicht: "Wir
glauben, dass sich die Barmherzigkeit des himmlischen Vaters ebenso in Medjugorje
zeigt wie in jeder anderen Pfarre dieser Diözese, sowohl vor als auch nach dem
Phänomen Medjugorje." Was heißt, der Bischof hält nichts von den
"Marienerscheinungen" in Medjugorje.
Zu Schönborns Besuch sagte er, es sei keineswegs
ein privater Besuch gewesen, da Schönborn sich sehr sichtbar für alle gezeigt
habe, indem er etwa mit der Seherin Marija Lunetti auf den Erscheinungsberg
gegangen sei und eine Rede in der Pfarrkirche gehalten habe. Die tatsächliche
Öffentlichkeit des Privatbesuchs suggeriere, dass der Kardinal das Phänomen
Medjugorje "anerkannt" habe:
"Als Diözesanbischof möchte ich
mit dieser Erklärung die Gläubigen informieren, dass der Besuch von Kardinal
Schönborn keinerlei Anerkennung der Echtheit der 'Erscheinungen' von Medjugorje
bedeutet."
War die Schönborn-Expedition ein Versuchsballon?
Um zu testen, wie weit einfältige "Volksfrömmigkeit" institutionalisiert
und nutzbar gemacht werden kann? Schwer zu sagen, man wird es daran erkennen,
ob der Wiener Erzbischof das Thema weiter öffentlich verfolgen wird.
Auf alle
Fälle zeigt der Vorgang, dass die katholische Kirche sehr unsicher darüber ist,
auf welch verschiedene Weisen sie versuchen könnte, den schwindenden Christenglauben wieder
unters Volk zu bringen ...