Das
Canisius-Kolleg in Berlin-Tiergarten. Bereits 30 ehemalige Schüler
haben
sich gemeldet und berichten von jahrelangem Missbrauch durch Lehrer
Zuerst sollten die Schüler mit dem Religionslehrer basteln, dann vor ihm
onanieren - Ein ehemaliger Schüler schildert, wie er jahrelang missbraucht wurde
"Jesuitenschulen
sollen Orte sein, an denen die Schülerinnen und Schüler ihre Würde als Mensch
erfahren." So lautet einer der Grundsätze auf der Homepage des Berliner
Canisius-Kollegs. Klaus D. hat an seine ehemalige Schule ganz andere Erinnerungen.
Der heute 48-jährige Berliner wurde Mitte der Siebzigerjahre jahrelang von einem
Jesuitenpater missbraucht.
Lehrer brachte "frischen Wind"
ins Kolleg "Anfangs fanden wir den Mann gut", erinnert sich D.
im Gespräch mit dem Standard. Der Religionslehrer brachte "frischen Wind"
ins Kolleg. In einem Nebengebäude hielt er im Namen der "Gemeinschaft christlichen
Lebens" Jugendstunden ab. Er bastelte mit den Buben, man diskutierte über
das Neue Testament und die Dritte Welt. Um "Gruppenleiter" zu werden,
sollten die Schüler dann aber zum "Einzelgespräch" beim Pater erscheinen.
Gerüchte und stilles Wissen "Ich musste vor ihm onanieren
oder mich ausgezogen auf ein Bett legen", schildert der ehemalige Schüler
diese "offenen Beichtstunden". Selbstverständlich kam am Ende der
Stunde die Anweisung, darüber zu schweigen.
Die Betroffenen hielten sich
daran. Wohl gab es "Gerüchte und ein stilles Wissen" um die Geschehnisse.
Doch erst 1981 wandte sich D. an die Schulleitung und schilderte zunächst mündlich,
später schriftlich den Missbrauch.
Doch statt Hilfe zu bekommen, erlebte
er "Vertuschung per Dienstanweisung" - gemäß dem Motto: Es
kann nicht sein, was nicht sein darf. D. durchlitt die "klassischen Symptome"
eines Missbrauchopfers: "Ich verschattete, zog mich zurück, wurde immer
schweigsamer", erzählt er. Jetzt aber, wo sich immer mehr Opfer melden,
wollte auch D. nicht mehr schweigen. Er prüft nun, welche zivil- und strafrechtlichen
Ansprüche er nach so vielen Jahre noch hat, verlangt zudem Einsicht in das Schularchiv.
Da immer mehr Fälle öffentlich werden, empfindet der Berliner "Genugtuung
darüber, dass vielen anderen diese Tortur erspart bleibt und dass die Kirche
doch ihre private Justiz nicht aufrechterhalten kann".
Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD 8.2.2010