Mit heruntergelassenen Hosen ...

... steht die katholische Kirche nunmehr da. Tag für Tag tauchen neue Vorwürfe auf: aus Vorarlberg, der Steiermark, aus Salzburg, aus Oberösterreich, aus Wien.

Zwei Meldungen der OÖNachrichten vom 11. März 2010:
Harald aus Bad Ischl, er will anonym bleiben, war als Kind Ministrant im Steirer Stift Admont und wandte sich gestern an die OÖN. Der heute 49-Jährige erhebt schwere Vorwürfe: "Ich bin in den 1970er-Jahren von einem Frater missbraucht worden." Harald spricht von einer Begegnung mit dem Priesteranwärter in einem Heustadel, bei dem der Mann an dem damals Zehnjährigen sexuelle Handlungen vorgenommen haben soll. "Seinen Namen habe ich verdrängt - aber er hatte rote Haare", sagt Harald.
Der Admonter Abt Bruno Hubl, bei dem sich der Mann bisher nicht persönlich gemeldet hat, hat von den Vorwürfen bereits gehört: "Wir sind besonders hellhörig und gehen allem bis ins Details nach. In den 1970er-Jahren gab es in unserem Stift aber keinen Frater mit roten Haaren." Die Admonter Ordensmänner mutmaßen, dass es sich um einen Klostergast gehandelt haben könnte.

LINZ/KREMSMÜNSTER. Ein ehemaliger Internatsschüler erhebt schwere Vorwürfe gegen Patres des Stiftes Kremsmünster. Im OÖN-Interview spricht er über sexuellen Missbrauch und Gewalt-Exzesse. Die Vorfälle gehen auf die 1980er-Jahre zurück, als der Schüler dort die Unterstufe des Gymnasiums besucht hat. Der damalige Zögling belastet konkret drei inzwischen pensionierte Erzieher. Waren die Schüler im Speisesaal zu laut, seien sie geschlagen und sexuell gedemütigt worden, sagt der frühere Gymnasiast. Es sei auch vorgekommen, dass ein Pater seine Hand in die Pyjamahose eines Internatschülers gesteckt hat. Für geringste Vergehen habe es harte Schläge und schikanöse Strafen gegeben.
Abt Ambros Ebhart kündigte an, die Vorwürfe prüfen zu lassen. Die Diözese Linz will den Fall in der "diözesanen Kommission gegen Missbrauch und Gewalt" untersuchen. Pater A., der von dem Ex-Zögling schwer belastet wird, weist gegenüber den OÖN die Vorwürfe entschieden zurück.

In ZiB24 am 10./11.3. berichtete der Künstler Andre Heller über seine Erfahrungen im Jesuiten-Kollegium Kalksburg in Wien: Er selbst sei in der Nacht von dem Mann an den Schläfen gestreichelt worden und habe dafür Schokolade erhalten. Das habe er "als Zärtlichkeit empfunden". Womöglich sei dabei aber "etwas ausgelotet" worden, denn andere im Internat seien missbraucht worden. Die Grenzen seien hier fließend gewesen. Heller beklagte, dass früher die Justiz nicht mit dem Thema befasst gewesen sei.
Damals, als die Missbrauchsfälle aufflogen, sei der Generalpräfekt erschienen und habe erklärt: "Der Teufel war zu Besuch bei uns." Alle Betroffenen sollten sich melden. Dann sei es lediglich zu "jesuitischer Selbstjustiz" gekommen. Hilfe für Opfer, etwa durch Psychologen, gab es laut Heller damals nicht. Heute sei es im Gegensatz zu früher "nicht mehr so leicht, damit davonzukommen".

Katholikenchef Schönborn sieht zunehmenden Erklärungsbedarf

Er ist jetzt soweit, nach den Ursachen sexuellen Missbrauchs zu fragen, nach den Ursachen der extremen körperlichen Gewalt gegen Schüler in christkatholischen Schulen fragt er noch nicht.
Schönborn in der aktuellen Ausgabe von thema kirche, dem Mitarbeitermagazin der Erzdiözese Wien (10.3.): "Ich bin mit unserem Heiligen Vater Papst Benedikt XVI. überzeugt, dass volle Offenheit, Transparenz, Sorge um die Opfer und die große Entschuldigungs- und Versöhnungsbitte an sie, aber auch viel Anstrengung in Richtung Vorbeugung notwendig sind, um wenigstens ansatzweise die Schande des Missbrauchs in der Kirche zu tilgen".
Schönborn zu den Ursachen der Kindermissbräuche: "Dazu gehört die Frage der Priestererziehung genauso wie die Frage nach dem, was in der 68er-Generation mit der 'sexuellen Revolution' geschehen ist. Dazu gehört das Thema Zölibat genauso wie das Thema Persönlichkeitsentwicklung. Und dazu gehört eine große Portion Ehrlichkeit, in der Kirche, aber auch in der Gesellschaft."

Was die 68er-Generation mit den klerikalen Untaten zu tun haben soll, bleibt weiter rätselhaft. Waren die jetzt wegen sexueller Übergriffe Beschuldigten seinerzeit sexualrevolutionäre Achtundsechziger? Linksradikale? Anhänger der abstrusen Orgon-Theorie von Wilhelm Reich? Und glaubt Schönborn ernsthaft, man könne sexuelle Bedürfnisse mittels "Priestererziehung" und "Persönlichkeitsbildung" wegreden?
Aber immerhin: während alle anderen Kirchenfunktionäre mit Verbissenheit den Zölibat als Ursache ausschließen, bezieht ihn Schönborn mit ein.

Im Vatikan ist die Lage noch wie gehabt

Vatikan-Sprecher Frederico Lombardi am 9.3.: "Fehler, die von Institutionen und Mitgliedern der Kirche begangen wurden, sind angesichts der Verantwortung bei Moral- und Bildungsfragen besonders verwerflich. Aber jede objektive und gutinformierte Person weiß, dass das Thema sehr viel breiter gefasst ist. Wenn die Anschuldigungen allein auf die Kirche konzentriert werden, bringt das die Dinge aus der Perspektive."
Das Kirchenrecht betrachte das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger als "eines der schwersten von allen". Die Kirche sei sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, müsse aber auch für eine kirchenrechtliche Klärung in ihrem Binnenbereich Sorge tragen. Lombardi verwies dabei auf das Papst-Dekret "De delictis gravioribus" (Über schwerwiegende Vergehen) von 2001. Dieses Dokument werde unzutreffenderweise als Grund für eine "Kultur des Schweigens" in der Kirche genannt.

Unzutreffend? Das Dokument handelt bloß davon, wie innerkirchlich der formale Ablauf des disziplinarischen Verfahrens sein soll, die Opfer kommen ebenso wenig darin vor wie die Frage des Strafrechtes. Aber dass solche Tatbestände unter das "päpstliche Geheimnis" fallen, ist ausdrücklich festgehalten.

Man stellt sich in Rom also derweilen so auf: es gibt auch Kindermissbraucher, die keine katholischen Kleriker sind. Wozu man sich gerne haarsträubender Zahlenkonstruktionen bedient, es wird nicht etwa verglichen zwischen priesterlichen Tätern in der Jugenderziehung und weltlichen, man bezieht auch alle innerfamiliären Straftaten mit ein, wozu es schon deshalb keinen kirchlichen Vergleich geben kann, weil ein Pfarrer eben mangels Möglichkeiten nicht seine im gleichen Haushalt lebenden Kinder oder Stiefkinder schänden kann. Es müsste der Anteil von Kinderschändern unterm weltlichen Lehr- und Erziehungspersonal zum Vergleich genommen werden. Sowas gibt es auch, aber wenn - wie vor kurzem geschehen - ein Schwimmtrainer in Linz diesbezüglich beschuldigt wird, dann melden sich in der Folge nicht in ganz Österreich andere von Sportlehrern Geschändete, obwohl es sicherlich deutlich mehr Sportlehrer und -trainer gibt als Kleriker.

Aussitzen
Es ist zu erwarten, dass die katholische Kirche mit hängenden Lefzen die weiteren Enthüllungen über sich ergehen lässt, Bedauern und Mitgefühl äußert. Jedoch bleibt strukturell alles wie es war. Außer dass man vielleicht den hetero- oder homosexuellen Klerikern, die in festen Beziehungen leben, offiziell weniger Schwierigkeiten machen wird. In Linz wurde vor ein paar Tagen dem Pfarrer von Freistadt die Bestellung zum Dechanten verweigert, weil der Pfarrer "im Spannungsfeld zwischen Liebe und Beruf" lebe. Aber er wurde nicht aufgefordert, die Liebe zu lassen. Das könnten die Vorfälle bewirkt haben: Stillschweigen über das klerikale Beziehungsleben, weil ein Pfarrer mit geregeltem Sexualleben lässt kleine Kinder in Ruhe. Das kommt jedoch nur als zusätzliches Argument hinzu, denn die Toleranz für gewöhnliche priesterliche Sexualbeziehungen hat man ja weitgehend auch bisher gepflegt - im Weltverband der Heuchler und Pharisäer.

Markus, 10,14 "Lasst die Kinder zu mir kommen ..."