Die
Deutsche-Presse-Agentur (dpa) führte mit dem bekannten Kirchenkritiker Karlheinz
Deschner zu den katholischen Missbrauchsskandalen ein Gespräch. Das Interview sollte
von der dpa ausgesandt werden. Es wurde nicht ausgesandt, soviel freie Meinungsäußerung
wollte man nicht verursachen. Das Gespräch blieb trotzdem nicht geheim, hpd
(Humanistischer Pressedienst) sandte das Interview am 23.3. aus:
Herr
Deschner, Sie schreiben seit Jahrzehnten eine mehrbändige "Kriminalgeschichte
des Christentums". Hat es Razzien wie im Kloster Ettal in der Kirchengeschichte
schon mal gegeben?
Etwas wirklich Vergleichbares kaum, zumindest schweigt
meine "Kriminalgeschichte des Christentums" hierzu ebenso wie meine
Sexualgeschichte "Das Kreuz mit der Kirche". Dazu muss man allerdings
bedenken, dass die katholische Kirche - aus bösem Grund - über Jahrhunderte
eine eigene Gerichtsbarkeit hatte, mit der man verhinderte, dass derart Belastendes
vor den Gläubigen ausgebreitet wurde. Die Heuchelei gehört bis heute zu den
widerlichsten, doch wesentlichen Charakterzügen des Christentums. Gemäß der
alten Devise "si non caste caute", wenn schon nicht keusch, dann wenigstens
vorsichtig, unterschieden viele Päpste zwischen einer heimlichen und einer bekannt
gewordenen Sünde, bei der sie die Strafe verdoppelten, ja verdreifachten. Gegen
das Sündigen im Allgemeinen hat man selbstverständlich nichts, im Gegenteil,
es ist den Herren sehr willkommen; davon leben sie.
Haben Sie die
immer mehr bekannt werdenden sexuellen Missbrauchsfälle an katholischen Einrichtungen
überrascht?
Nein, keinen Augenblick, wie gewiss keinen Kenner der kirchlichen
Sexualgeschichte. Und längst laufe ich weg oder höre weg, wird das Problem,
etwa in den Nachrichten, thematisiert. Überrascht hätte mich dagegen, aufs Äußerste
überrascht, der Rücktritt auch bloß einiger Herren in höheren Rängen, wo man
immer tut, als seien sexuelle Verfehlungen nur eine Sache des gemeinen Fußvolks!
Ist
sexueller Missbrauch ein neues Phänomen in der Kirchengeschichte?
Sexuelle
"Fehltritte" aller Art sind so alt wie die Kirchengeschichte und sie
florierten, je christlicher die Welt wurde, desto mehr. Die Klöster waren oft
die reinsten Bordelle, doch mussten die armen Nonnen, aus Sittlichkeitsgründen
nicht selten sogar der Beichtväter beraubt, auch mit Kindern vorlieb nehmen,
mit Vierbeinern. Wie denn nur beispielhalber die Ritter des Deutschen Ordens,
verpflichtet, ein Leben "allein im Dienste ihrer himmlischen Dame Maria"
zu führen, alles vögelten, was eine Vagina hatte, Ehefrauen, Jungfrauen, kleine
Mädchen und, wie wir nicht ohne Grund vermuten dürfen, weibliche Tiere. Wie
es ja auch im Vatikan, lange, sehr lange, recht locker zuging, etwa - einer
für viele - Papst Sixtus IV, Erbauer der Sixtinischen Kapelle und eines Bordells,
noch seine Schwester und Kinder besprang, sein Neffe, Kardinal Pietro Riario,
sich buchstäblich zu Tode koitierte und auch noch, Ehre wem Ehre gebührt, eines
der schönsten Grabdenkmäler der Welt bekam.
Sehen Sie hier allein
das Versagen einzelner Menschen oder gibt es kirchliche Strukturen, die sexuellen
Missbrauch, also Straftaten begünstigen?
Die Hauptursache all der Missstände,
um die es hier geht, liegt in der kirchlichen Moral selbst. Sie ist weitgehend
widernatürlich, sie hemmt die Sexualenergie, setzt sie in Destruktivität um,
und sie führt in letzter terribelster Konsequenz vom Lustmord zur Mordlust.
Auch andere religiöse wie weltliche Diktaturen wussten und wissen davon zu profitieren.
Die christliche Sexualrepression führt aber nicht nur zur Steigerung des Kampfgeistes
im Krieg, sie führt auch zu einem permanenten Krieg gegen sich selbst. Viele
Hunderte erschütternder Briefe von Opfern klerikaler Sexualrepression haben
mich erreicht, Opfern oft von kaum vorstellbarer Not. Bei andern aber sucht
sich der unaufhaltbar gestaute Trieb ein Ventil für den Überdruck ...
Was
sollte die Kirche aus Ihrer Sicht als Kirchenhistoriker tun, um sexuellen Missbrauch
in Zukunft den Boden zu entziehen?
Nicht nur, um dem sexuellen
Missbrauch den Boden zu entziehen, denn der geistige ist oft noch viel schlimmer
- sie sollte verschwinden…