Der umstrittene EU-Vertrag von Lissabon beinhaltet die Möglichkeit zwischen
der EU-Spitze und Religionsführern einen "Dialog" zu führen. Dies
ist im Artikel 17 des AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Union) geregelt:
Artikel 17 (1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen
oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen,
und beeinträchtigt ihn nicht. (2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status,
den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
genießen. (3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung
ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und
regelmäßigen Dialog.
Zwar spricht der Artikel auch von "weltanschaulichen
Gemeinschaften", die EU müsste demnach also auch mit der Weltunion der
Freidenker, der Atheist Alliance International, der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union
Dialoge führen. Darüber wird man wohl nichts vernehmen können. Die Kirchen
haben sich mit diesem Vertragspunkt jedenfalls einen Platz im öffentlich-rechtlichen
Bereich gesichert.
Am 19. 7. 2010 wurde in manchen Medien kurz gemeldet,
dass sich EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso mit 20 hochrangigen Vertretern
von Christentum, Judentum, Islam, der Sikh- und der Hindu-Gemeinschaft in Brüssel
getroffen habe. Die Religionsgemeinschaften haben sich dort als Sozialdienste
präsentiert, was Barroso sogleich zur Äußerung verleitete, die kirchlichen
Wohlfahrtsverbände stellten in der Krise eine wichtige Ergänzung zu den Sozialversicherungssystemen
dar. Was eine furchtbare Übertreibung ist und sachlich zudem weitgehend
falsch. In Europa funktionieren die seinerzeit von der Arbeiterbewegung erkämpften
Sozialversicherungssysteme weitestgehend immer noch. Natürlich bleiben immer
ein paar Lücken, die durch gesetzliche Regelungen nicht unmittelbar gedeckt
sind. Dort setzen sich nun auch kirchliche Sozialdienste drauf und versuchen
den Eindruck zu erwecken, diese Dienste würden von den Religionsgemeinschaften
geleistet. Speziell vermischt man allgemein benötigte Dienste (z.B. Pflegedienste)
mit karikativem Tun, indem die Ersteren nicht als Dienstleistungen, sondern
gleichsam als Akte der Nächstenliebe propagiert werden. Was klarerweise Unsinn
ist. So erbringen die katholische Caritas oder die protestantische Diakonie
zwar Sozialdienstleistungen der verschiedensten Art, aber keineswegs werden
diese Dienste kirchlich finanziert oder erfolgen aus Humanität! Finanziert wird
vor allem aus öffentlichen Mitteln, sowie Nutzerbeiträgen und im Mikroausmass
durch gesammelte Spenden. Jede Freiwillige Feuerwehr
leistet mehr an kostenloser allgemeinnützlicher Arbeit als Caritas und
Diakonie!
Mit Religion haben Caritas, Diakonie etc. nur dadurch
zu tun, dass sie im Verbund mit religiösen Körperschaften sind. Die Kirchen
wissen, dass ihre eigentlichen Dienste in Europa auf immer weniger Interesse
stoßen, überall (sogar in Polen) geht die Teilnahme am religiösen Leben zurück,
sinkt die Zahl der Kirchenmitglieder, schwindet die ideologische Beeinflussung
der Menschen. Also wendet man sich verstärkt der säkularen Wirklichkeit zu,
indem man säkulare Sozialdienstleistungen als religiöse Dienstleistungen darzustellen
versucht.
Damit will man wieder in den menschlichen Alltag, nicht
mit Jesus und der Auferstehung, sondern mit Kindergärten und Pflegeheimen. Siehe
dazu auch: Die Wahrheit über die Behauptung,
Kirchen wären Sozialeinrichtungen!