Wenn man verschiedene Magazine liest, wenn man durchs Internet streift,
findet man immer wieder heftig kämpferische Artikel, die sich Kritik am Islam
verbieten. Zuerst ging's gegen Sarrazin, aktuell geht's gegen Alice Schwarzer.
Die Art der Antiargumentation ist immer wieder ähnlich, sie geht nicht auf
Kritikinhalte ein, sondern stellt Kritik per se in Frage. Sarrazin wird zum
Beispiel unterstellt, er bringe längst widerlegte genetische Argumente.
Das tut er in seinem Buch zwar nicht, aber in einem Interview hat er von einem
"Juden-Gen" gesprochen. Was natürlich rassistisch war, weil Juden
haben keine Gene. Oder so. Dass im Juni 2010 in der "Jüdischen Allgemeinen"
ein Artikel
erschien, in welchem verkündet wurde, es sei der Genforschung gelungen, innerhalb
der jüdischen Weltbevölkerung gemeinsame Gensequenzen nachzuweisen, die auf
eine gemeinsame Abkunft etwa aus der Zeit der sogenannten "Babylonischen
Gefangenschaft" zurückgehen, das war natürlich nicht rassistisch. Das ist
höchstens peinlich für die Leute, die meinen, Menschen mit gemeinsamer nationaler
oder religiöser oder kultureller Vergangenheit dürften keine gemeinsamen Gene
haben, sich also nicht innerhalb ihrer Gemeinschaften, sondern nur exogam fortgepflanzt
haben. Vermutlich hätten dann erst die Nazis die Endogamie erfunden. Der nutzenorientierte
Technokrat Sarrazin attackierte den Islam wegen seiner bildungsfernen Kultur.
Er sieht diese Bildungsferne in erster Linie kulturell bedingt, er argumentierte
z.B., dass in Großbritannien zwischen Migranten aus Indien und Pakistan auch
in der Generationenfolge sehr
deutliche Bildungsunterschiede bestünden, der Unterschied zwischen Indern und
Pakistani sei jedoch nicht die "Rasse", sondern die Religion.
Im
"Neuen Deutschland" (Ausgabe vom 25.9.) weiß ein Achim Bühl,
dass es nicht zulässig ist, wenn Alice Schwarzer schreibt: "Hinter
dieser Minarett-Abstimmung steckt natürlich viel mehr: nämlich das ganze Unbehagen!
Das Unbehagen an den Gottesstaaten und ihren Steinigungen und Selbstmordattentaten.
Das Unbehagen an der (Zwangs-)Verschleierung von Frauen sogar mitten in Europa.
Das Unbehagen an der Zwangsverheiratung von hierzulande aufgewachsenen Töchtern
und Söhnen. Das Unbehagen an der statistisch nachweisbaren höheren Gewalt in
traditionellen muslimischen Familien. Das Unbehagen an der Relativierung von
Emanzipation und Rechtsstaat, ja der ganzen Demokratie - und das im Namen 'anderer
Sitten' und eines 'wahren Glaubens'. Kurzum: Die Sorge um die in den letzten
200 Jahren so mühsam und blutig erkämpften Menschenrechte im Westen."
Nein
der Bühl weiß die Wahrheit. So ist es nach seiner Meinung nicht richtig,
dauernd negative Termini wie Steinigung, Gottesstaat
oder Selbstmordattentate im Zusammenhang mit dem Islam zu verwenden.
Weil solche "Begrifflichkeiten konstruieren den Islam als den prototypischen
Gegenspieler des Westens". Zusammenfassend wird Schwarzer so widerlegt:
"Das von Schwarzer transportierte Islambild stellt den Islam primär als
eine Bedrohung für die 'westliche Wertegemeinschaft' dar, als eine
politische und nicht als eine religiöse Größe, die mit hierarchischen Geschlechterverhältnissen
verknüpft ist. Der Islam wird auf diese Weise als kulturell unvereinbar mit
den Werten der Aufklärung und der Emanzipation charakterisiert, er erscheint
als Inbegriff des Rückständigen, als modernitätsfeindlich, gewalttätig und moralisch
unterlegen."
Nach Bühls Ansicht, ist im Islambereich keine dieser
Eigenschaften so auffällig vorhanden, dass man sie dem Islam kritisch vorwerfen
dürfte. Die unerhörte Sünde der
Islamkritiker ist "die Postulierung der westlichen Werte als universell",
was "zu einer Abwertung anderer Kulturen führt". Und andere Kulturen
zu kritisieren, ist unstatthaft. Dann hätte man vermutlich auch die "Kultur"
des katholischen Mittelalters oder die "Kultur" des Antimodernismus nicht
kritisieren dürfen. Wenn man also der abendländischen Kultur von Aufklärung,
Menschenrechten, Demokratie, Wissenschaft, Technik usw. den Vorzug gibt vor
einer vormodernen Religion, uh, das ist vermutlich kultureller Imperialismus!
Shame on us!
Mit dem Schwarzerschen Feminismus fährt der Bühl ganz
scharf ab: "Die Position des orthodoxen Feminismus und seiner islamfeindlichen
Variante bei Alice Schwarzer steht in der Tradition eines kolonialen Feminismus,
insofern die Setzung universell gültiger Normen und Werte nicht zu einem Dialog
gleichberechtigter Partner führt, sondern zu einer kolonialen Dominanz im Namen
der Aufklärung. Die Befreiung 'der muslimischen Frau' bedeutet dergestalt betrachtet
ihre 'Verwestlichung', ihre 'Modernisierung', ihre postkoloniale Normierung."
Also Leute die mittelalterlichen bis vormodernen Positionen des Islam müssen
als Kultur eines gleichberechtigten Partners gesehen werden, der man nicht kritisch
gegenübertreten darf! Weil das ist Neokolonialismus!
Prof. Dr. Achim Bühl ist Soziologe in Berlin. Der Artikel im ND ein Auszug des für Oktober angekündigten Buches "Islamfeindlichkeit in Deutschland. Ursprünge, Akteure, Stereotypen". Ein ND-Poster hat dem Professor zurückgeschrieben: "NATÜRLICH müssen wir uns Sorgen machen um die mühsam erkämpften Werte der Aufklärung. Und NATÜRLICH steht der Islam mit seinem archaischen, hierarchischen und antiemanzipatorischen Weltbild im Gegensatz zu den Ideen der Aufklärung, wie ja auch andere Religionen, etwa das Christentum. (..) Die Aufklärung hat ja bekanntlich mit dem Ausbau des kritischen Denkens und mutigen Hinterfragens alter Vorstellungen auch die Naturwissenschaften zur Blüte gebracht. (..) Und was heißt überhaupt "westliche Aufklärung"? (..) Aufklärung ist Teil der gesamten menschlichen Kultur, ja Fortschritts. Ja: Es ist wichtig, dafür entschieden einzustehen."
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, außer: der Islam hat sich anhaltende und ausgiebige Kritik redlich verdient! Trotz des aufklärungsphoben Geschwätzes von Bühl & Co.