Warum siegte das Kreuz?

Den 18. März 2011 muss man leider als dunkelschwarzen Freitag bezeichnen. Den deklarierten Religionsfreien wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in zweiter und letzter Instanz eine schwere Niederlage zugefügt, eine Niederlage, die den Säkularismus allgemein trifft, den Triumph konnte der Vatikan einstreifen.

Warum fiel diese Entscheidung so aus?

Der Grund ist eigentlich ganz einfach: Es ging um Machtfragen, die als Sachfragen ausgetragen wurden. Ausgetragen werden mussten! Die Auslegung des Rechtes in diesen Sachfragen war - wie sich in den Urteilen erster und zweiter Instanz zeigte - formal in beide Richtungen möglich. Die Berufungsinstanz teilte die Sachfragen in zwei Fragen auf: 1. in den Artikel 2, Protokoll Nr. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention - Recht auf Bildung und 2. in den Artikel 14, Diskriminierungsverbot. Behandelt wurde dann nur der Punkt eins.

Die Pointe des Urteils lautete: das Kreuz hänge passiv an der Wand, dadurch werde niemand indoktriniert, unter den Mitgliedstaaten des Europarats gäbe es keine Übereinstimmung bezüglich der Präsenz religiöser Symbole in staatlichen Schulen, der Gerichtshof habe daher nur zu beurteilen, ob dadurch eine Indoktrination erfolge, wenn die Mehrheitsreligion eine dominante Sichtbarkeit in der schulischen Umgebung erhalte. Der Gerichtshof sagte "nein". Er hätte genauso "ja" sagen können, beides lässt sich formaljuristisch argumentieren. Zum Artikel 14 sah der Gerichtshof keine Entscheidungsnotwendigkeit, weil wenn das Kreuz an der Wand keine Indoktrination sei, dann gebe es auch keine Diskriminierung. Punkt.

Johannes 18,36: "Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden kämpfen..". Da es jedoch nur diese Welt gibt, ist auch das Christenreich nur von dieser Welt und und seine Herren und Diener kämpfen - diesmal sehr erfolgreich - für die weltliche Macht des Christenreiches.

Gegangen ist es also um die weltliche Macht der christlichen, speziell der katholischen Religion. Das Zeichen "in hoc signum vinces" (in diesem Zeichen wirst du siegen), so heißt es in der Legende über den Sieg des römischen Kaisers Konstantin über seinen Widersacher Maxentius an der Milvischen Brücke im Jahr 312, sei dem Konstantin am Himmel erschienen. Verbreitet wurde diese Mär von Eusebius, Bischof von Caesarea, dem "Vater der Kirchengeschichte", der nach Konstantins Tod (337) eine Lobschrift auf den Kaiser verfasste, der mit seiner Hinwendung zum Christentum die Manifestierung dieser Religion zur römische Staatsreligion und damit die katholische Allmacht verursachte, was entsetzliches Leid und tiefes geistiges Elend über die Menschheit brachte.

Das Kreuz wurde zum Sieges- und Herrschaftszeichen. Es bedurfte jahrhundertelangen Widerstandskampfes, um die mit dem Zeichen des Kreuzes gebietende Allmacht zurückzudrängen. Die Trennung von Staat und Religion wäre der vorläufige Höhepunkt in dieser Entwicklung. Diese Trennung existiert verfassungsmäßig leider nur in wenigen Staaten, etwa in Frankreich, den USA, Russland und der Türkei (!!). In vielen europäischen Staaten wird formal von einer Trennung ausgegangen, ohne dass diese festgeschrieben oder wirklich allgemein ist. Z.B. wird in Österreich diese Trennung durch den Religionsunterricht an staatlichen Schulen durchbrochen, ebenso durch die Stellung der anerkannten Religionsgemeinschaften als öffentlich-rechtliche Körperschaften.

In der europäischen Lebenspraxis hat sich in den meisten Ländern die Trennung von Staat und Religion durchgesetzt, die Religion ist zur Privatangelegenheit geworden, Religion spielt nur für eine Minderheit der europäischen Bevölkerung eine wesentliche und wahrnehmbare Rolle. Gerade deshalb sind religiöse Symbole so wichtig: sie aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, bedeutete sie angemessen zu ihrem tatsächlichen Stellenwert zu behandeln, Religion ist privat, darum haben auch religiöse Symbole privat zu sein. Genau das wissen natürlich auch die Religionsgemeinschaften: sie wollen den öffentlichen Raum besetzen, um ihre Macht zu demonstrieren. Das rechts abgebildete Krukenkreuz war das Herrschaftszeichen der österreichischen Klerikalfaschisten, unter diesem Zeichen hatte die katholische Kirche in Österreich letztmalig wirklich gesiegt. Aber ein Dollfuß kommt nicht wieder.

Auch die christlichen Kirchen wissen, dass mit einem Kreuz im Kindergarten oder in den Schulklassen der Glaube nicht verbreitet wird, aber alle sollen sehen, dass die Kirchen ihre Finger, ihre Positionen im staatlichen Bereich haben. So wie der Islam mit Minaretten seine Bedeutung, seinen zunehmenden Einfluss manifestieren will, so wollen die Kirchen Signale für die Allmacht der Religion setzen. Auch wenn diese Allmacht längst Geschichte ist, auch wenn der Großteil der Menschen in Europa im Alltag religionsfrei lebt. Mit dem Sieg vor dem EGMR haben die Klerikalen gezeigt, dass ihr Herrschafts- und Triumphzeichen noch siegen kann.

Bei den Menschen haben sie damit aber nichts gewonnen. Das wird sich unter anderem in den nächsten Jahren bei der geplanten katholischen "Neuevangelisierung" Europas zeigen. Aktiv ihren Glauben Bekennende sind eine kleine Minderheit, die auch weiterhin immer kleiner werden wird. Wir haben eine Schlacht um die Freiheit von Religion verloren, die Religionen in Europa werden jedoch weiter an Macht und Einfluss verlieren. Auch die katholische Religion.