Gehorsamspflicht

Im Standard vom 13.8.2011 nahm der österreichische Oberkatholik Schönborn Stellung zum Konflikt zwischen der "Pfarrerinitiative" und der Kirchenhierarchie. Er äußert gleich einleitend, er könne einen "aus Gewissensgründen formulierten 'Aufruf zum Ungehorsam' in dieser Form sicher nicht stehen lassen".

Wobei dieser Aufruf durchaus Elemente enthält, die längst in vielen Pfarren Alltagspraxis sind. Etwa die Verabreichung der Kommunion an wiederverheiratete Geschiedene. Nach der christkatholischen Lehre werden nämlich katholische Ehen vor Gott geschlossen und was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht lösen. Es gibt zwar eine umständliche vatikanische Scheidungsprozedur (man muss dafür z.B. nachweisen, mit der Verehelichung eigentlich gar nicht einverstanden gewesen zu sein oder ähnlich), aber in der Regel lassen sich auch katholische Ehepaare ihre Zivilehe vom Zivilgericht scheiden und nicht die kirchliche Verehelichung vom Vatikan. Wenn sie dann aber standesamtlich wieder heiraten, dann leben sie nach kirchlicher Ansicht nicht in einer Ehe, sondern im Konkubinat und das ist eine schwere Sünde, darum dürfen gläubige wiederverheiratete Geschiedene den "Leib des HErrn" nicht verspeisen.

Längst scheren sich in ganz Österreich zahlreiche Priester nicht mehr um solche Vorschriften und geben auch diesen Leuten die Kommunion. Aber diese Priester tun das nicht offiziell, sondern so, wie sie selber vielleicht mit der vorgeschriebenen sexuellen Enthaltsamkeit umgehen, also ohne es lautstark zu verkünden, nicht enthaltsam leben. Die Heuchelei ist schließlich die katholische Grundtugend.

Die Pfarrerinitiative hat nun dieses Tabu verletzt und öffentlich aufgefordert, vorschriftswidrig zu handeln (siehe Pfarrerinitiative).

Im Standard-Interview wurde Schönborn vorgehalten, dass 80 % der katholischen Priester für ein Ende des Zölibats wären, der Kardinal hat ein recht einfaches Gegenargument: "Ich gehöre nicht zu den 80 Prozent. Ich bin klar für die Beibehaltung dieser Traditionen." Auf die Frage, ob Helmut Schüller, der Obmann der Pfarrerinitiative, mit Sanktionen zu rechnen habe, ist die Antwort ebenfalls klar: "Ich hoffe auf eine einvernehmliche Lösung. Aber wenn er - oder ein anderer dieser Gruppe - den Dissens in substanziellen Fragen aufrechterhält, muss er sich natürlich die Frage stellen, wie sein weiterer Weg in dieser Kirche und in diesem Amt aussieht. Als Pfarrer hat er den Amtseid geschworen, dass er sich zum Glauben bekennt und zum Lehramt der Kirche steht. Die Frage ist: Bin ich bereit, die gemeinsamen Regeln zu akzeptieren oder nicht? Jetzt setze ich einmal auf Nachdenklichkeit und Gespräch - und nicht auf die Keule. Aber eine Entscheidung steht an."

Also gibt's noch eine Gnadenfrist bis zur Einforderung der Gehorsamspflicht.

Weil man kann nicht gut 300 Priester aus dem Amte werfen, dazu gibt's zu wenige. Aber man kann eine Handvoll maßregeln und sie suspendieren oder ihnen ein Berufsverbot erteilen. Dann werden die übrigen schon zu Kreuze kriechen. Weil was soll ein Pfarrer tun, der - sagen wir - schon über 50 ist und sonst nichts gelernt hat? Der muss sich zurücknehmen und weiterheucheln.

Unterhaltsam auch, wie sich Schönborn die heutige Kirchenwelt zurechtredet, Zitat: "Wir kommen aus einer Zeit, wo der Sonntagsmessbesuch eine Selbstverständlichkeit war. Da sind noch 60, 80 Prozent der Menschen in die Kirche gegangen. Heute sind wir in der Situation, dass Menschen, die regelmäßig zum Gottesdienst gehen, das aus bewusster Entscheidung heraus machen - und eben nicht mehr aus einer Tradition heraus. Es ist ihnen wichtig. Langfristig gesehen ist das eine Chance."

Der Pastoraltheologe Zulehner hat zu diesen Veränderungen gesagt, in früheren Zeiten wäre Religion "Schicksal" gewesen, jetzt sei ein religiöses Leben eine bewusste Entscheidung. Was allerdings nichts daran ändert, dass heute 80 bis 90 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder ein weitgehend religionsfreies Leben führen.

Die Bedeutung der Religion wird weiter sinken, die Kirchenbesuche werden weiter zurückgehen, die Austritte werden weitergehen, der Sterbeüberhang wird deutlich zunehmen. Und dagegen kann sich die katholische Kirche nicht helfen, egal ob mit oder ohne Zölibat, egal ob wiederverheiratete Geschiedene als "Sünder" behandelt werden oder nicht. Wo da die Chance liegen soll, die Schönborn zu sehen glaubt?