Entweltlichung durch Gebetsecken

Ratzinger hatte auf seiner Deutschlandtournee mit seinen Forderungen (siehe Infos Nr. 606 und 607) nach Entweltlichung der Kirche und einem Abbau der Privilegien erhebliche Unruhe in der katholischen Hierarchie erzeugt. Den ständig fließenden Strom öffentlicher Mittel in die Kirchen will man klarerweise keinesfalls hergeben.

Darum versucht man jetzt wohl, diese Entweltlichung in eine andere Richtung zu kanalisieren. Der wegen seiner oft recht seltsamen Ansichten berühmte Kölner Kardinal Meisner trat nun mit einer diesbezüglichen Idee an die Öffentlichkeit, er sagte bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in seiner Predigt, in der es um die "Kartäuser" ging: "Dass es so etwas gibt: Ein kleiner, aber wichtiger Teil der Kirche, der seit 900 Jahren existiert, brauchte noch nie reformiert zu werden, weil er seine ursprüngliche Frische, Kraft und Tiefe bewahrt und immer vermehrt hat! - Das ist der Kartäuserorden, dessen Gründers, des hl. Bruno von Köln, die Kirche heute in ihrer Liturgie gedenkt. (..) Der kartäusische Lebensstil ist geprägt vom Eremitentum und vom Zönobitentum (Anm.: enges, streng geregeltes klösterliches Zusammenleben). Der Lebensstil gleicht einer Ellipse: Der erste Punkt ist eine kleine Kartause, ihr kleines Haus als Ort der einsamen Gottesbegegnung, und der zweite Ellipsenpunkt ist das gemeinsame Gotteshaus, die Begegnung des lebendigen Gottes mit den Brüdern. Die Liebe zu Gott braucht - wie alles im menschlichen Leben - feste Gestalt und innere Ordnung, sie braucht den rechten Ausdruck und muss nach außen das richtige Profil gewinnen. Dazu hilft dem Kartäuser die Gemeinschaft, die den Mönch aus seinem Einzeldasein in die Gemeinschaft der Brüder täglich ruft."


Die Kartäuser verbringen ihr Klosterleben großteils schweigend und betend, diese Art von Entweltlichung empfiehlt nun Kardinal Meisner seinem Kirchenvolk: "Wir wissen wahrscheinlich gar nicht, was wir der einzigen Kartause in Deutschland zu verdanken haben! Und ihre Treue zu ihrer Berufung zeigt sich gerade darin, dass von ihr kaum in unserer kirchlichen Gegenwart die Rede ist. In jedem Christen müsste ein Stück kartäusischer Existenz vorhanden sein. Er sollte in seiner Wohnung einen Gebetsort, eine Gebetsecke haben, wo er wie ein Kartäuser oder wie eine Kartäuserin täglich ein gutes Stück Einkehr halten kann. Kartäuser Praxis und Gesinnung lassen einen Christen bei Gesprächsrunden auf keinen Fall länger reden als er täglich betet. (..)"

Zu den Kartäusern muss angemerkt werden, dass es sich dabei um einen sogenannten kontemplativen Orden handelt, kontemplativ bedeutet "beschaulich" oder "meditativ", das heißt, es wird hauptsächlich gebetet und der Orden hat keine weltlich-nützliche Funktion. In Österreich wurden von Joseph II. die Kartäuserklöster im 18. Jahrhundert aufgehoben, der große und einzige habsburgische Reformer hob alle Orden auf, die im volkswirtschaftlichen Sinne unproduktiv waren, also keine Krankenpflege, Schulen oder andere soziale Aktivitäten betrieben, ihr Besitz wurde in den "Religionsfonds" übergeführt. Nebenbei bemerkt: die Ansicht, dass der Kartäuser-Orden nie reformiert zu werden brauchte, wie Meisner meint, stimmt nicht: laut Wikipedia wurde das Ordensstatut viermal reformiert.

Aber das nur nebenbei. Die Entweltlichung von braven Christen durch Gebetsecken, in denen sie sich täglich (vielleicht mehrmals) versammeln, um - wie die Kartäuser - "in Schweigen und Einsamkeit zu Gott zu finden", wäre sicherlich ein sinnvoller Weg. Da hätten sie dann Zeit, aus der Welt zu entschweben und sich ganz der Gottesliebe hinzugeben. Das einzige Problem, das dabei auftreten könnte, wäre der Mangel an Nachfrage nach solchen kontemplativen Privatfeiern. Weil wer heute in sich versunken meditieren will, der geht zu den Buddhisten oder sauft sich an.

Kontemplative Gebetsübung mit Alkohol- und Yogaunterstützung

Eine Massenentweltlichung wird sich mit kartäuserischen Gebetsecken nicht organisieren lassen. Aber es ist ein interessanter Versuch, von der materiellen Entweltlichung einen Pfad zur religiösen Entweltlichung zu legen. Weil die religiöse Entweltlichung kostet kein Geld und bewahrt die kirchlichen Privilegien vor Schaden.