Klage gegen religiöse Erziehung

Zwar endete das in Italien eingeleitete Verfahren gegen Kreuze in Schulen in der 2. Instanz des Europäischen Gerichtshofes mit einem Sieg der Kirche, aber dieser Sieg war keineswegs ein umfassender.
Das in Niederösterreich laufende Verfahren wegen Kindergartenkreuze und der landesgesetzlichen Bestimmung über "religiöse Erziehung" im Kindergarten scheiterte beim Verfassungsgerichtshof. Jetzt wurde dazu ein Beschwerdeverfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeleitet, die Initiative Religion ist Privatsache informiert dazu:

Erste Beschwerde gegen Österreich... beim EGMR

Erste Beschwerde gegen Österreich wegen Kreuze und religiöse Erziehung in öffentlichen Kindergärten beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht - Der neue Vorstoß könnte das Urteil im Fall "Lautsi gegen Italien" relativieren.
Die im März 2011 angekündigte Beschwerde gegen die Bestimmung des Niederösterreichischen Kindergartengesetzes, wonach in öffentlichen Kindergärten Kreuze anzubringen sind, wurde dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgelegt. Die Beschwerde richtet sich zusätzlich gegen einen weiteren Tatbestand, der die Kreuzanbringungspflicht in eine andere Dimension rücken lässt: die gesetzlich angeordnete Pflicht der Kindergärten, einen Beitrag zur religiösen "Bildung" (in der Tat - "Erziehung") zu leisten. Die vorliegende EGMR-Beschwerde wurde von einem niederösterreichischen Vater eingebracht, nachdem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seinem umstrittenen Urteil vom 9.3.2011 die Kreuzanbringungspflicht als Verfassungskonform betrachtet hat und sich zusätzlich überhaupt weigerte, das Thema der religiösen "Bildung" inhaltlich zu behandeln. Am 18.3.2011 kippte überraschend die Große Kammer des EGMR per Stimmenmehrheit das frühere, einstimmig gefällte, Urteil der Kleinen Kammer gegen das Anbringen von Kreuzen in italienischen Schulen. Anwältin MAG.A DORIS EINWALLNER, die den Beschwerdeführer vertritt, geht davon aus, dass die nun eingebrachte Beschwerde dennoch Erfolgschancen hat. "Der EGMR hielt im Fall Lautsi gegen Italien fest, dass das Anbringen von religiösen Symbolen in öffentlichen Schulen nur unter bestimmten Voraussetzungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sei. Und genau da setzt diese Beschwerde auch an: zweieinhalb Jahre alte Kindergartenkinder sind keine kritisch denkenden Schulkinder. Auch Alternativprogramme oder die Auseinandersetzung mit anderen Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen finden nicht statt, sondern religiöse Erziehung, die ausschließlich - stets unter dem Kreuz! - auf den christlichen Glauben Bezug nimmt. Trotz der oberflächlichen Ähnlichkeit unterscheidet sich der Fall meines Mandanten vom Fall "Lautsi gegen Italien" daher in wichtigen Punkten".

UNIV.-PROF. DR. HEINZ OBERHUMMER, Vorstandsmitglied der INITIATIVE RELIGION IST PRIVATSACHE, die das Verfahren begleitet und mitfinanziert, unterstützte die Beschwerde mit klaren Worten: "Diese Beschwerde sollte dem EGMR die Gelegenheit bieten, das selbst unter Juristen umstrittene Urteil der Großen Kammer im Fall Lautsi gegen Italien zumindest zu relativieren. Die religiöse Bevormundung durch den Staat muss nämlich auch ihre Grenzen haben". Gegenüber der österreichischen Politik übte Oberhummer harsche Kritik: "Die politische Heuchelei, die hierzulande, wenn immer Religion im Spiel ist, jahrzehntelang betrieben wurde und noch wird, ist beschämend. Ich appelliere sowohl an die Regierung als auch persönlich an jede einzelne Abgeordnete und jeden einzelnen Abgeordneten sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene, endlich die Trennung von Staat und Kirche ernst zu nehmen. Mit Religion lässt sich vielleicht politisches Kleingeld verdienen, die schlampige Trennung von Staat und Religion, wie sie in Österreich gelebt wird, ist einer pluralistischen Demokratie des 21. Jahrhunderts nicht würdig."

MAG. NIKO ALM, Vorsitzender DER KONFESSIONSFREIEN, dem Verband der wichtigsten laizistischen Organisationen Österreichs, dazu: "Kreuze in Klassenzimmern sind nur eines von vielen Beispielen, wo Religionsfreiheit im sogenannten ‚kooperativen Modell von Staat und Kirche' missbraucht wird. Der Staat ist in religiösen Belangen zur Neutralität verpflichtet. Die Förderung von einzelnen Religionsgesellschaften ist damit schlicht nicht vereinbar. Schon gar nicht, wenn Kindern mit Kreuzen in Klassenzimmern die Überlegenheit einer bestimmten Religion klar vor Augen geführt werden soll. Auch Österreich muss sich endlich zu Laizität, einer klaren Trennung von Staat und Religion, bekennen."

Die Beschwerdeschrift kann hier downgeloaden werden.