Neues Vertrauen in die Kirche?

Nachdem die Zahlen der Kirchenaustritte für 2011 bekanntgegeben wurden, beeilten sich katholische Funktionäre sogleich, alles schönzureden.
Auf der Site der Diözese Wien hieß es:

"Kirche konnte wieder Vertrauen aufbauen"

"Der deutliche Rückgang bei den Kirchenaustritten ist ein Zeichen dafür, dass die Kirche wieder Vertrauen aufbauen konnte." Das erklärte der Medienreferent der Bischofskonferenz, Paul Wuthe, mit Blick auf die aktuellen Katholikenzahlen. Ein Grund dafür sei "in den klaren Worten und konkreten Maßnahmen der Bischofskonferenz gegen Gewalt und Missbrauch im kirchlichen Bereich" zu sehen. Sie hätten "die Glaubwürdigkeit der Kirche gestärkt, wenn auch die Enttäuschung bei vielen Kirchenmitgliedern nach wie vor spürbar bleibt".
Gleichzeitig unterstrich Wuthe die Tatsache, dass die katholische Kirche die "mit Abstand größte Institution in Österreich ist, der rund 5,4 Millionen Frauen und Männer freiwillig angehören". Inmitten einer sehr dynamischen Gesellschaft würde sich die Kirche nach wie vor als sehr stabil erweisen. Für die allermeisten Katholikinnen und Katholiken bleibe die Kirche "eine geistliche Heimat, ein Ort des Glaubens und der christlichen Nächstenliebe auch und gerade in schwierigen Zeiten", so Wuthe.

Dass die Austritte 2011 die zweithöchsten Zahlen seit 1945 erreichten, beunruhigt den Herrn Medienreferenten offenbar nicht.

Er streicht alles glatt. Ein Drittel weniger Austritte als 2010, das ist ein Aufwärtstrend. Sogar die Glaubwürdigkeit der Kirche ist wieder gestärkt. Dazu dann die kühne Behauptung, dass der r.k. Kirche "rund 5,4 Millionen Frauen und Männer freiwillig angehören". Nahezu alle diese 5,4 Millionen sind jedoch Opfer der Säuglingstaufe und wurden nie gefragt, ob sie Kirchenmitglied werden wollen.

Die politischen Parteien hätten auch deutlich mehr Mitglieder, wenn es seit Generationen üblich wäre, schon für Neugeborene Parteibücher auszustellen. Zwar kann man ab 14 aus der Kirche austreten, aber es ist immer noch ausreichend "Schicksal" vorhanden, um den Kirchenaustritt zu keiner echten Massenbewegung werden zu lassen. SPÖ und ÖVP hatten früher viel mehr Mitglieder. Wegen des Arbeitsplatzes und der Wohnung war es hilfreich, bei der jeweils passenden Partei zu sein. Jetzt ist diese Parteibuchwirtschaft ziemlich abgekommen und damit auch die Mitgliedschaft.

Die Religion hat gegenüber einer Partei den Vorteil, dass die Religion in der realen Welt nicht so leicht durchschaubar ist. Ob wer von der Partei einen Posten bekommt, ist gleich erkennbar, ob Gott geholfen hat, das muss man glauben. Und wenn man ein bisschen dran glaubt, dann weiß man ja auch nicht so recht, ob der liebe Gott nicht doch beleidigt ist, wenn man keine Kirchensteuer mehr zahlt, somit zahlt man vorsichtshalber. Und außerdem gibt es ja auch heute noch den sozialen Zwang: die Oma tät sich kränken, wenn die Enkel nimmer katholisch sind, den Kindern könnte es in der Schule schaden, weil die Frau Lehrerin singt im Kirchenchor, die Erbtante geht jeden Sonntag in die Kirche u.ä.m.

Woraus sich ergibt, dass die Vermutung "für die allermeisten Katholikinnen und Katholiken bleibe die Kirche eine geistliche Heimat, ein Ort des Glaubens und der christlichen Nächstenliebe", weitab von der Realität liegt. Anzunehmen, dass die allermeisten der 5,4 Millionen Mitglieder der katholischen Kirche diese als "Heimat" sehen und mit dem Glauben tatsächlich verbunden wären, zeigt höchstens eine absurde Weltfremdheit im Kirchenapparat.

Laut kircheneigenen Angaben verlor die röm.-kath. Kirche zwischen 2003 und 2010 22,1% Gottesdienstteilnehmer, 10,5% Taufen, 20,3% Erstkommunionen, 10,5% Begräbnisse und 390.000 Mitglieder.

Darum sieht man fallweise die Sache auch realistischer:

Die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak meinte lt. kath.web u.a., ein Erosionsprozess bzw. Umbau der katholischen Kirche sei voll im Gang. Wenn man sich das Verhältnis von Taufen und Eintritten auf der einen Seite zu den Begräbnissen und Austritten auf der anderen Seite ansieht, sei klar: Die Kirche werde quantitativ kontinuierlich kleiner. Dieser Trend sei eindeutig, eine "Schubumkehr" nicht absehbar. Auch der Zuzug von Katholiken nach Österreich reiche dafür nicht aus. Die grundsätzliche Austrittsbereitschaft sei hoch, es brauche nur mehr wieder eine größere Krise und die nächste große Austrittswelle sei vorprogrammiert.
Alarmsignale wolle sie darüber hinaus im Blick auf die Jugend aussenden. Aus Studien sei klar, dass die Distanz junger Leute zur katholischen Kirche überdurchschnittlich hoch ist; zum anderen würden die Jugendlichen durch die demografische Entwicklung immer weniger. Polak: "In der nächsten Generation wird es massive Einbrüche geben." Die Sorge um die jungen Menschen müsse deshalb in der Kirche oberste Priorität haben. Polak plädierte dafür, sich vom traditionellen Bild der Volkskirche zu verabschieden. Sie wolle für die Zukunft nicht von einer "Elitenkirche" sprechen, aber von einer "Großkirche", geprägt von einem engagierten Kern bei gleichzeitiger breiter Ausstrahlung.

Der Pastoraltheologen Paul Zulehner lobt Schönborns Umgang mit dem Missbrauchsskandal und warnt davor, "jetzt die Hände in den Schoß zu legen und zu meinen, man kann so weitermachen wie zuvor". Es könne "kein Zurück vor das Konzil" geben. Es wäre "eine katastrophale Geschichte", wenn man als Reaktion nun nicht mehr die "Nähe zu den Menschen" suche, Pfarren für überflüssig erachte und nur mehr auf großräumige Pastoral setze; denn die Beziehung der Menschen zur Kirche sei weiterhin "labil" und von einer "latenten Austrittsbereitschaft" geprägt.

Nicht thematisiert wird jedoch der Glaube selber

Was bei solchen Statements regelmäßig nicht einmal am Rande gestreift wird, ist die Frage, ob die Probleme für traditionelle Religionsgemeinschaften nicht an der Religion selber liegen. In früheren Zeiten als die Menschen nur ein Minimum an Bildung hatten und daher das Wort des Priesters genügend Platz in den Köpfen fand, um einen vermeintlichen Sinn und eine vermeintliche Ordnung zu erstellen, ging es leicht: Man hatte zu glauben, weil sonst würde Gott nicht helfen, man hatte zu glauben, weil sonst würde Gott strafen. Die Hilfe Gottes wird in der heutigen Zeit weitaus seltener benötigt, weil früher wurde wegen Missernten, Krankheiten und anderen Dingen zu Gott gebetet, heute hat man Kunstdünger, die Krankenkasse und die Sozialversicherung. Den bösen strafenden Gott hat die Kirche selber aus dem Geschäft genommen, die Gottesfurcht ist daher stark gesunken und in den oben angesprochenen jungen Generationen kaum noch vorhanden, man lebt ohne Religion und verspürt trotzdem keine Beklemmungen.

Darum ist der Weg der Religionen vorgezeichnet

Das Schrumpfen des Glaubens steigert das Schrumpfen in allen Hinsichten: weniger Sonntagsmessbesucher, weniger Alltagsreligiosität, weniger Taufen, weniger Mitglieder. Aber auch die beiden zitierten realistischeren Stimmen glauben daran, dass trotzdem der Glaube eine Ausstrahlung hätte und die Kirchengemeinde einen maßgeblichen Einfluss auf die Menschen. Die Religionsfreiheit wird jedoch immer stärker als Freiheit von Religion wahrgenommen, diese neue Freiheit von Religion ist jedoch keine atheistische Freiheit gegen die Religion mehr, sondern eine Freiheit, weil Religion als entbehrlich erscheint. Oft nicht einmal das: Religion ist einfach egal. "Nicht einmal ignorieren" statt "für" oder "wider". Und das ist gut so.