Die Astrologie hat immer recht

Aus scienceblogs.de (1.6.2012):
Der Venustransit 2012: Astrologie und selektive Wahrnehmung

Ich habe gemerkt, dass schon sehr lange nichts mehr über Astrologie geschrieben zu haben. Es ist aber wichtig, sich immer wieder mal mit diesem Thema zu beschäftigen. Die Astrologen hören ja leider nicht auf, den Menschen einzureden, man könne anhand der Bewegung der Himmelskörper die Welt verstehen und die Zukunft vorhersagen (nach ausreichender Bezahlung versteht sich). Natürlich hat im astrologischen Weltbild auch der Venustransit eine besondere Bedeutung. Es ist ein schönes Beispiel, um die der Astrologie innewohnende völlige Beliebigkeit zu demonstrieren und die Technik, mit der die Astrologen scheinbar beeindruckende Aussagen produzieren.

Auf einem großen Astrologie-Portal hat die Astrologin Christine Keidel-Joura einen Artikel mit dem Titel "Der Venustransit am 6.6.2012 - und seine gesellschaftliche Bedeutung" veröffentlicht (WebCite). Darin schreibt sie:
"Die acht Jahre, in denen sich zwei Venusdurchgänge relativ kurz hintereinander vollziehen, in denen also die Energie der Venus aus astrologischer Sicht mit der der Sonne verschmilzt, stehen für die Verwirklichung und Gestaltung zentraler gesellschaftlicher Themen, stehen für große gesellschaftliche Entwicklungsschritte und für Veränderungen, die unser Leben, unser Miteinander nachhaltig beeinflussen."

Die Zeit zwischen zwei Venustransiten ist also ganz besonders bedeutsam für die Entwicklung der Menschen. In dieser Zeit passieren laut Keidel-Joura ganz besonders viele Sachen, die den Alltag der Menschen erleichtern und uns gesellschaftlich vorwärts bringen. Das "belegt" sie, in dem sie die Jahre 1518-1526, 1631-1639, 1761-1769 und 1874-1882 ansieht und aufzählt, was in diesem Zeitäumen an besonderen Dingen passiert ist. Zum Beispiel: "Acht-Jahres-Periode zwischen zwei Venusdurchgängen im Schützen 1874 und 1882:
Das Telefon wird patentiert (1876)
Der Ottomotor wird patentiert (1876)
Der erste Tonträger wird patentiert (1877)
Die ersten brauchbaren Glühbirnen können produziert werden.
1882 installiert Thomas Edison in New York das erste Elektrizitätswerk. Der Alltag der Menschen verwandelt sich bedeutend.
Einführung der ersten Sozialversicherungen durch Bismarck
Nietzsche formuliert 1882 in "Die fröhliche Wissenschaft" den Satz "Gott ist tot"."

Auch für die anderen 8-Jahresperioden zwischen den Transits findet Keidel-Joura jede Menge wichtige Ereignisse. Belegt das nun, dass die Zeit zwischen zwei Transits der Venus irgendwie besonders für die Entwicklung der Menschen ist?

Nein, natürlich nicht. Christine Keidel-Joura macht das, was typisch für die Arbeit der Astrologen ist (obwohl man es selten so schön und deutlich präsentiert bekommt): Sie sucht sich einfach all die Daten heraus, die zu ihren Behauptungen passen und ignoriert den Rest. Diese selektive Wahrnehmung ist bei den esoterischen Lehren weit verbreitet. Die Astrologie eignet sich allerdings besonders gut, Opfer der selektiven Wahrnehmung zu werden.

Denn hier hat
alles irgendeine Bedeutung. Die Himmelskörper stehen immer irgendwo: im Schützen, im vierten Haus, in Opposition zu Jupiter, und so weiter Und jede mögliche Konstellation hat eine Vielzahl an möglichen Interpretationen. Das liegt vor allem daran, dass die Astrologen sich selbst nicht einig sind, was die unterschiedlichen Positionen der Himmelskörper denn zu bedeuten haben. Hat man ein Horoskop erst mal erstellt, dann kann man daraus im wesentlichen alles herauslesen, was man möchte. Man muss sich nur auf die Himmelskörper und ihre Position konzentrieren, die gerade das bedeuten, was man gerne haben möchte. Den Rest ignoriert man. Da die Astrologie keine in sich konsistente Lehre ist und es keine verbindlichen Regeln gibt, die bestimmen, welche Himmelskörper relevant sind und welche nicht, hat man jede Freiheit die man möchte.

Die selektive Wahrnehmung funktioniert besonders gut im Rückblick. Die Astrologen sind immer besonders gut darin, Dinge "vorherzusehen", die schon längst passiert sind. Immer wenn irgendwo eine Naturkatastrophe stattfindet, ein Attentat passiert oder ein Filmstar heiratet: Danach wissen die Astrologen immer ganz genau, warum das genau so passieren hat müssen. Das ist nicht verwunderlich. Wenn man ein Horoskop für das entsprechende Datum erstellt, dann findet man wegen der astrologischen Beliebigkeit immer irgendeine Konstellation, die zu dem passt, was man erklären will. Den Rest ignoriert man. So macht es auch Frau Keidel-Joura.

Es stimmt: In den von ihr erwähnten 8-Jahres-Perioden sind tatsächlich viele gesellschaftliche relevanten Dinge passiert. Aber das gilt für jede beliebige 8-Jahres-Periode! Auf der Erde passieren andauernd irgendwelche Sachen und alle sind sie auf die eine oder andere Weise relevant für die Entwicklung der Gesellschaft. Im kompletten 20. Jahrhundert gab es keinen Venustransit. Und doch würde wohl niemand auf die Idee kommen, dass zwischen 1900 und 2000 keine Dinge passiert sind, die unsere Gesellschaft verändert haben. Ich habe mir mal die 8-Jahres-Periode zwischen 1989 und 1997 angesehen. Es braucht nicht viel Recherche (Wikipedia reicht völlig) um eine ähnlich bunt gemischte Liste zu erstellen wie die der Astrologin:
1989: Der eiserne Vorhang fällt
1990: Ende der Apartheid in Südafrika
1991: Der ICE nimmt seinen Betrieb auf
1992: USA ziehen die letzten in Europa stationierten Atomwaffen ab
1993: Das Hubble-Weltraumteleskop wird repariert und beginnt unser Bild vom Kosmos zu revolutionieren
1994: Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen
1995: Das erste Mal wird das Genom eines Lebewesens vollständig entschlüsselt
1996: Frankreich stellt die Atombombentests ein
1997: Der erste Harry-Potter-Band erscheint und bringt Millionen Kinder zum Lesen.

Natürlich geht es auch andersum. Man kann auch für die angeblich so positiven 8-Jahres-Perioden zwischen den Transiten jede Menge nicht ganz so positive Ereignisse finden. Zwischen 1874 und 1878 gab es Kriege zwischen Russland und dem Osmanischen Reich und zwischen Großbritannien und Afghanistan. Es gab antisemitische Pogrome in Russland, den Burenkrieg in Südafrika und das Massaker von Batak in Bulgarien mit tausenden Toten. Es gab Naturkatastrophen, Attentate, Mord und Totschlag und all die anderen schlimmen Dinge, die ständig auf der Erde passieren. Die 8-Jahres-Periode zwischen 1631 und 1638 fällt genau in die Zeit des 30jährigen Kriegs (1618-1648) und das war unbestritten eine der größten Katastrophen, die Europa je erleiden mussten - teilweise wurden ganze Landstriche entvölkert. Die darauf folgende 8-Jahres-Periode von 1761 bis 1769 überschnitt sich mit dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) und wenn ich wollte, könnte ich analog zu Frau Keidel-Joura argumentieren, dass die Zeit zwischen den Transits ganz besonders schlecht für die menschliche Gesellschaft ist und für jede Menge Kriege sorgt.

Auch die aktuelle Venustransit-Periode zwischen 2004 und 2012 war ja nicht frei von Kriegen! Natürlich sind während dieser Zeit auch viele Dinge passiert, die wichtig für die Entwicklung der Gesellschaft waren. Mir würde da zum Beispiel die Osterweiterung der EU einfallen. Oder die erste Frau in Deutschland, die Bundeskanzlerin wurde (bzw. der erste Afroamerikaner der amerikanischer Präsident wurde).
Frau Keidel-Joura hat andere Dinge gefunden:"Gesellschaftliche Phänomene aus der Zeit von 2004 bis 2012 sind bislang das Wachstum Chinas zur finanziellen Weltmacht, aber auch WikiLeaks, die Piratenpartei, Facebook und der Arabische Frühling."
Ok - es war als der kommende Venustransit, der für die Erfolge der Piratenpartei verantwortlich war ;) Das erklärt einiges...

Aber man findet eben immer irgendetwas. Weil auf diesem Planeten immer irgendetwas passiert. Im guten wie im schlechten. Wenn die Astrologie tatsächlich eine ernstzunehmende Lehre wäre, dann müsste sie Wege haben, um diese Beliebigkeit zu kontrollieren. Man müsste vernünftige Statistiken erstellen. Das sind Statistiken, bei denen man nicht nur in den Daten nach Bestätigung für seine Thesen sucht und alles andere einfach ignoriert. Aber das wird leider nicht passieren. Denn dann würden die Astrologen ja merken, dass ihre Horoskope doch nicht so aussagekräftig sind, wie sie glauben und wie sie es ihren Kunden erzählen.

Wir gehören übrigens alle zu den Kunden der Astrologen, ein klein wenig zumindest. Denn so wie viele andere Astrologen hat auch Frau Keidel-Joura eine Astrologie-Schule gegründet in der man die Astrologie "lernen" kann. Die Ausbildung muss man aber nicht komplett selbst bezahlen, man kann sie auch über die Bildungsprämie finanzieren lassen. Der Staat finanziert also die Ausbildung neuer Astrologen. Jeder von uns, der Steuern zahlt, trägt also dazu bei, den astrologischen Unsinn zu fördern. Und darum ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es sich dabei wirklich um Unsinn handelt. (Der letzte Absatz bezieht sich auf Deutschland - dass es in Österreich auch Bildungsprämien für Astrologie gibt, wäre doch eher überraschend)