PRESSEMITTEILUNG vom 7.11.2012
Die Planungen zur Legalisierung der Zwangs-Beschneidung von einwilligungsunfähigen
Jungen zieht erste sehr beunruhigende internationale Folgen nach sich: Mohamed
Kandeel, Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität in Menofiya,
Ägypten, und darüber hinaus Mitglied der Genfer Stiftung für Medizinische Ausbildung
und Forschung, kurz "gfmer", die eng mit der WHO zusammenarbeitet,
fordert eine weltweite Legalisierung der weiblichen Genitalverstümmelung
Typ Ia und Ib. Kandeel führt dazu aus, negative Folgen für die betroffenen
Frauen seien nicht nachweisbar - es sei deswegen nicht einzusehen, dass die
Beschneidung von Jungen erlaubt sein soll und die von Mädchen dagegen weltweit
geächtet. Kandeel bezieht sich hierbei, medizinisch korrekt, auf die grundsätzliche
Vergleichbarkeit von männlicher Beschneidung mit der in der schafiitischen islamischen
Rechtsschule vertretenen FGM Typ Ia und Ib, der Klitorisvorhautreduktion. Im
Gegensatz zu dem von der Bundesregierung geplanten Gesetz fordert Professor
Kandeel jedoch, dass Beschneidungen grundsätzlich im Krankenhaus und mit Betäubung
stattzufinden haben.
Dazu Christian Bahls, 1. Vorsitzender des Vereins
MOGiS e.V. - Eine Stimme für Betroffene: "TERRE DES FEMMES e.V. und
MOGIS e.V. verurteilen ausdrücklich jedweden Versuch, die Verstümmelung weiblicher
Genitalien zu legalisieren. Hierbei sind sowohl die Art der Ausführung, als
auch Motivation, Ort und medizinische Infrastruktur sowie die Qualifikation
des Ausführenden unerheblich. Nicht die Art und die Umstände, unter denen eine
solche Operation erfolgt, sondern die Auswirkungen derselben für die Betroffenen
sind der entscheidende Faktor für eine Bewertung. Dies meint nicht nur die direkten
Komplikationen durch die Operation, sondern auch die möglichen körperlichen
und seelischen Spätfolgen, die durch sie entstehen können."
Erst
heute hatte TERRE DES FEMMES der ägyptischen Botschaft in Berlin eine von 12.000
Unterstützern getragene Petition übergeben, in der ein Ende der dort nach wie
vor praktizierten weiblichen Genitalverstümmelung gefordert wird. Dazu die Vorsitzende
von TERRE DES FEMMES, Irmingard Schewe-Gerigk: "Unsere Befürchtungen
bestätigen sich: die Absicht des Gesetzgebers, den Schutz von Jungen vor Genitalverstümmelungen
grundsätzlich aufzuheben, bestärkt auch die Befürworter weiblicher Genitalverstümmelungen,
ihrerseits die Legalisierung durchaus vergleichbarer Formen zu fordern. Wir
protestieren gegen jeglichen Versuch den Schutz der körperlichen Unversehrtheit
von Kinder zu schwächen und fordern den Bundestag auf, den Schutz aller KInder
- unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Religion - vor jeglichen nicht therapeutischen
chirurgischen Eingriffen. Eine unterschiedlicher Schutz weiblicher und männlicher
Geschlechtsorgane ist weder ethisch, moralisch noch rechtlich hinnehmbar."
Alexander
Bachl vom Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. ergänzt: "Das
überstürzte Handeln der deutschen Politik bei der Legalisierung der nicht-therapeutischen
Vorhautamputation bei einwilligungsunfähigen Jungen hatte einen derart katastrophalen
Gesetzesentwurf zur Folge, dass dieser nun von entsprechend geneigten Personen
zur Legitimierung der Klitorisvorhautbeschneidung bei Mädchen missbraucht wird.
Die geplante Entrechtung von Jungen in Deutschland liefert wie befürchtet denjenigen
Aufwind, die für die Legalisierung ihrer Form der religiös oder traditionell
begründeten Körperverletzung an Kindern Lobby machen. Bedenken, für deren Äußerung
man in Debatten angeprangert wurde, werden nun mit erschreckender Geschwindigkeit
wahr."
Der von einer Vorhautamputation Betroffene Tayfun Aksoy
meinte hierzu: "Dürfen Erwachsene für Kinder entscheiden, ob diese später
als Erwachsene über vollständige Sexualorgane verfügen können? Gerade auch wenn
man das reduzierte Sexualempfinden in Betracht zieht? Darf überhaupt ein Mensch
soetwas für einen anderen Menschen entscheiden? Wertevermittlung spielt sich
im immaterialen Bereich ab, nicht aber in einer dauerhaften Manifestation am
Genital des Kindes. Die Grundrechte der Kinder auf (auch sexuelle) Selbstbestimmung
und körperliche Unversehrtheit sind in Gefahr!"
Für den Facharbeitskreis
Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. erklären weiterhin Georg Schepper, Rechtsanwalt
aus Bielefeld und Mitglied der Piratenpartei Deutschland, Victor Schiering,
ein Opernsänger Nürnberg und Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen sowie Werner
Erndl aus Künzing und Stefan Schritt aus Langwedel:
Der rechtliche
Status jeder Form von medizinisch nicht indizierten Operationen an den Genitalien
nicht zustimmungsfähiger Menschen kann und darf sich ausschliesslich aus den
Rechten der betroffenen Person ableiten. Hierbei vertreten wir die Ansicht,
dass die Rechte auf körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung, gewaltfreie
Erziehung und Freiheit des Glaubens des Einzelnen über den Rechten ihrer/seiner
Eltern, Familie und Religionsgemeinschaft stehen. Desweiteren ist jede Regelung,
die ein bestimmtes Geschlecht in Bezug auf die Wahrnehmung seiner Rechte benachteiligt
oder bevorzugt ein Verstoss gegen das Recht auf Gleichbehandlung, und somit
inakzeptabel.
Durch den Gesetzentwurf zum §1631d BGB, der eine genitale
Verstümmelung männlicher Kinder legalisieren soll, wären nicht nur die Rechte
der betroffenen Jungen ausser Kraft gesetzt. Es würde zudem die Basis geschaffen,
auf die Legalisierung weiterer rituell, moralisch oder gar kosmetisch begründeter
Praktiken und Rituale hinzuwirken, nicht zuletzt auch mit dem Argument der Gleichbehandlung
der Geschlechter und Religionen. Dies würde die bisher erreichten Fortschritte
im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Frage stellen, und die
internationalen Anstrengungen massiv behindern.
Wenn zwei vergleichbare Formen von medizinisch unnötigen Operationen in Deutschland gegensätzlichen rechtlichen Status erhielten, die eine explizit verboten, die andere explizit erlaubt, würde es schwer fallen, glaubhaft gegen die Verbotene zu argumentieren. Es kann deshalb nur Rechtssicherheit und Schutz von Grundrechten erlangt werden, wenn der Gesetzgeber alle medizinisch nicht indizierten Eingriffe in die Anatomie nur noch in Verbindung mit dem mündigen Einverständnis der Betroffenen für zulässig befindet. Nur so kann erreicht werden, das kulturell oder religiös geprägte Ignoranz gegenüber den möglichen Auswirkungen von chirurgischen Eingriffen in die sexuelle Integrität zurückgehen. Es muss sich das Bewusstsein durchsetzen, dass jeder Mensch mit den gleichen Rechten ausgestattet ist, ungeachtet des Geschlechts, Alters oder seiner religiösen/kulturellen Zugehörigkeit bzw. der seiner Familie.
Die ungeheuerliche Forderung nach einer Legalisierung weiblicher Genitalverstümmelung entlarvt die trügerische Sicherheit, in der uns die deutsche Gesetzesinitiative zur Legalisierung von männlicher Genitalverstümmelung wiegen will: Menschenrechte sind unteilbar und ein Kampf für körperliche und sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen kann durch die Einführung eines Zwei-Klassen-Rechts nur verloren werden.