Empörung über "Gegenanzeige" von IKG Präsident Deutsch.
(Wien, 5.12.12,
PUR) Auch Juden brechen nun ihr Schweigen und kritisieren Beschneidung an nicht
einwilligungsfähigen Babys als barbarischen Akt. Wissenschaftshistoriker Jerome
Segal, Assistenzprofessor an der Pariser Sorbonne, derzeit in Wien lehrend, übt
nun massive Kritik an der Haltung der israelitischen Kultusgemeinde. "Ich bin
empört über Oskar Deutschs Gegenanzeige", sagt Segal. Ein Missbrauchs- sowie ein
Beschneidungsopfer haben ja vergangene Woche einen Mohel (Beschneider)
angezeigt, der angibt, über 1000 jüdische Buben beschnitten zu haben. "Es muss
doch möglich sein, barbarische religiöse Rituale kritisieren zu dürfen." Segals
drei Söhne sind nicht beschnitten, auch er selbst ist es nicht -obwohl er
Mitglied der israelitischen Kultusgemeinde ist. "Ich halte Beschneidung an nicht
einwilligungsfähigen Babys und Kindern für grausam. Es ist eine starke
Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Österreich hat die
Kinderrechtskonvention ratifiziert", so Segal weiter. "Aus Art.19 gehe klar
hervor, dass Kindern keine körperliche Gewalt zugefügt werden
darf".
"Todesstrafe wurde ebenfalls abgeschafft"
Piercing ist erst ab
14 und Tätowierung ab 16 erlaubt (mit Zustimmmung der Eltern). "Eine Operation
wie die Zirkumzision, mit derart unwiderruflichen Folgen und möglichen negativen
Konsequenzen auf das Sexualleben, sollte vom Gesetzgeber erst mit 16 oder 18
Jahren zugelassen werden", sagt der Universitätsdozent. Segal ist bekennender
Atheist und lehnt Religionsprivilegien ab, vor allem wenn im Namen der Religion
Gewalt legitimiert wird. "In der Thora stehen auf Ehebruch und auf
Homosexualität die Todesstrafe, das wird zum Glück schon lange nicht mehr
angewendet", so Segal. In Israel gibt es seit über einem Jahrzehnt
Antibeschneidungsaktivisten, die sich für das "Brit Shalom" Ritual einsetzen -
das bedeutet, dass die Beschneidung nur noch symbolisch durchgeführt wird. Auch
www.jewsagainstcircumcision.org,
eine Gruppe liberaler amerikanischer Juden, ist gegen Beschneidung. "We are a
group of educated and enlightened Jews who realize that the barbaric, primitive,
torturous, and mutilating practice of circumcision has no place in modern
Judaism." steht auf deren Homepage.
Empörender Angriff auf
Meinungsfreiheit
Segal kennt auch noch andere Mitglieder der IKG, die
ebenfalls gegen Beschneidung sind, sich jedoch nicht trauen, das öffentlich zu
sagen. "Der soziale Druck innerhalb der Gemeinde ist einfach zu groß, sie
fürchten Repressalien. Etwa, dass ihren Söhnen der Besuch einer jüdischen Schule
verwehrt wird", so Segal. Im November fanden die IKG Wahlen statt. "Leider wagte
es keine der kandidierende Fraktionen, dieses tabuisierte Thema anzugehen. "In
der WINA, der Monatszeitschrift der IKG, stand groß zu lesen, dass Beschneidung
nicht zu hinterfragen sei", ärgert sich Segal. "Dass IKG Präsident Deutsch nun
diese Gegenanzeige zur Einschüchterung tätigt, ist für mich ein massiver Angriff
auf die Meinungsfreiheit. Dabei könnte Deutsch der jüdischen Gemeinschaft einen
Dienst erweisen, wenn er sich für eine symbolischen Beschneidung bei
Minderjährigen einsetzen würde" so Segal abschließend.
Jerome Segal
im TV-Interview (5 Minuten)