Der ägyptische Präsident Mursi scheint mit seinem Trick, sich selber die
unbegrenzte und rechtlich unangreifbare Staatsmacht zu verleihen (siehe
Info Nr. 1160, Nr. 1170
und Info Nr. 1173), letztlich zumindest vorläufig
gesiegt zu haben. Als die säkularen Teile der ägyptischen Bevölkerung ihren
Widerstand auf die Straße trugen und erneut Verhältnisse entstanden wie seinerzeit
beim Aufstand gegen Mubarak, hat Mursi nun erklärt, seine selbstverliehene Allmacht
wieder ablegen zu wollen, aber die Abstimmung über die neue islamistische Verfassung
am 15.12.2012 durchführen zu lassen.
Weil damit wäre der Sinn der ganzen Vorgangsweise erfüllt: der Verfassungsentwurf
hätte die Anwesenheit von mindesten 75 der 100 Mitglieder des Verfassungsgremiums
und der Zustimmung von 67 zu jedem einzelnen Artikel bedurft. Da die säkularen
und christlichen Kräfte in den Entwurf ihre Vorstellungen gegen die islamistische
Mehrheit im Gremium nicht einbringen konnten, blieb ihnen nichts anderes über,
als durch Sitzungsboykotte den Beschluss einer islamistischen Verfassung zu
verhindern.
Der eigenmächtig bevollmächtigte Mursi ließ das Verfassungsgremium von Gnaden
der selbstverliehenen Macht durch Ersatzmitglieder auffüllen und das Gremium
ruckzuck islamistisch abstimmen, wenn am 15.12. die Muslimbrüder und die Salafisten
die Volksabstimmung gewinnen, braucht Mursi seine Allmacht nimmer, denn die
Islamisten haben ihre Verfassungsallmacht. Heil Allah.
In Europa melden sich inzwischen schon wieder die philoislamistischen Hilfskräfte
und erzählen der Menschheit, auch die Verfassung unter Mubarak habe bereits
Verweise auf die Scharia und andere islamistische Elemente enthalten, man soll
daher die Abstimmung über den Entwurf der Muslimbrüder & Salafisten akzeptieren.
Diesen Schönrednern entgeht dabei das Grundsätzliche: der Autokrat Mubarak
scherte sich nicht darum, was Islamistisches in der Verfassung stand, es regierten
schließlich Mubarak und seine Freunde und keine Imame und Muftis. Was jetzt
Muslimbrüder und Salafisten mit einer islamistischen Verfassung sozusagen rechtmäßig
zulassen können. Ein ägyptischer Gottesstaat kann jetzt verfassungskonform im
Parlament beschlossen werden und die philoislamistischen Hohlköpfe werden dann
über soviel staatliche Religiosität mitjubeln oder überrascht staunen, was da
jetzt alles möglich ist und womit sie eigentlich doch nicht gerechnet hätten,
weil sie die Islamisten für so aufgeklärte Liberale gehalten hatten, wie sie
selber gerne sein möchten. So bombastische politische Naivität kann einem fast
schon körperlich weh tun. Aber diese Philoislamisten werden ja vermutlich auch
ihr Verständnis dann noch äußern, wenn die Salafisten - wie sie schon gefordert
haben - die ägyptischen Pyramiden als teuflische nichtislamische Kultstätten
in die Luft sprengen.
Aber vielleicht halten die vernünftigen Kräfte in Ägypten durch und zeigen
der Welt, dass der Sturz des Mubarak-Regimes nicht aus Sehnsucht nach einem
Gottesstaat erfolgte. Eine zweite Revolution kann notwendig werden!