Abstimmung über Islamverfassung

Aus ORF-Meldung vom 16.12.2012, mittags: "Die Ägypter haben nach Angaben der Muslimbruderschaft in der ersten Wahlrunde mit knapper Mehrheit für die umstrittene Verfassung gestimmt. "Im Referendum votierten 56,5 Prozent mit Ja", sagte ein hochrangiger Vertreter der Muslimbrüder heute. Wegen der jüngsten Proteste fand das Referendum unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Opposition lehnt den Entwurf ab, weil er ihrer Ansicht nach zu einseitig islamistisch ausgerichtet ist. Präsident Mohammed Mursi hatte die Abstimmung trotz heftiger Proteste nicht verschoben." Am 15.12. wurde in Kairo, Alexandria und acht weiteren Provinzen gewählt, in den restlichen 17 Provinzen wird am 22.12. gewählt. Die Wahlbeteiligung sei nur bei ca. 33 % gelegen, somit hätten bloß um die 18 % der Wahlberechtigten der neuen Verfassung zugestimmt.

Gegenüber den mehr als 70 % für die klerikalen Muslimbrüder und die faschistoiden Salafisten bei den Parlamentwahlen zeigt dieses Zwischenergebnis die Ernüchterung über die Muslimregierung, aber leider auch Resignation. Weil bei so einer geringen Wahlbeteiligung hätte die Opposition das Ergebnis auch umdrehen können, aber man hatte die längste Zeit zu einem Wahlboykott aufgerufen, der nun offenbar den Säkularen und Nichtmuslimen selber auf den Kopf fällt. Bei den Parlamentswahlen war die Beteiligung über 50 % gewesen, also lag jetzt ein Sieg der Opposition durchaus im Bereich des Möglichen. Ob es jedoch in den eher kleinstädtisch-ländlichen Bereichen der zweiten Runde ausreichend oppositionelle Wähler gibt, ist zweifelhaft.

Es könnte daher sein, dass die säkularen Kreise wieder verlieren, weil sie keine entschlossene Einheit gebildet haben. Sowohl bei den Parlamentswahlen als auch bei den Präsidentenwahlen agierten sie extrem aufgesplittert und konnten deshalb von den beiden großen islamistischen Verbände übertrumpft werden. Bei der Verfassung brauchte Präsident Mursi einen üblen Trick, um den islamistischen Verfassungsentwurf durchzubringen, er erfand für sich eine präsidiale Allmacht und zwang damit den Entwurfbeschluss durch (siehe Info Nr. 1192). Am 22.12. ist noch eine kleine Chance, die klerikale Verfassung und damit die islamistische Staatsgrundlage zu verhindern. Die Chance ist aber nicht groß, der ägyptische Frühling könnte alsbald zum frostigen islamistischen Winter werden.