Der mickrige Jesus

Auf idea.de war am 1.1.2013 ein unterhaltsamer Text zu finden. Demnach hat sich ein US-Pastor und evangelikaler Theologe namens David Platt aus Birmingham/Alabama darüber beschwert, dass viele Christen den "Herrscher und Erretter der Welt" zu einem "mickrigen Heiland, der uns anbettelt, ihn in unser Herz aufzunehmen" machten.

Das führe zu falschen Vorstellungen davon, was es bedeute, ein "Nachfolger Christi zu sein". Man dürfe die biblische Botschaft nicht verändern, um sie schmackhafter zu machen. Denn dann komme es dazu, dass man Lobpreislieder auf sich selbst singe und dabei denke, dass man Gott anbete. Pastor Platt verlangt, dass Gläubige ihr ganzes Leben in den Dienst Jesu stellen sollten, ihn beim Wort nehmen und alles für ein Leben in seiner Nachfolge aufzugeben.

Der evangelikale Prediger bezieht sich dabei offenbar auf die Bibelstelle Markus 8, 34: "Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach."

Man sieht daran die Spannbreite der Möglichkeiten der christlichen Religion. Denn in Europa ist es schon viele Jahre der Brauch, den mickrigen Jesus zu präsentieren, den lieben Jesus, der alle Menschen so lieb hat und darum hofft, dass ihn die Leute auch ein bisschen lieb haben.

Dieses Gewinsel wirkt aber eher abschreckend, weil damit wird sozusagen ein Gott präsentiert, der sich bangevoll davor fürchtet, nicht geliebt zu werden. Die alte Gottesfurcht dreht sich damit um, nicht die Menschen fürchten sich vor einem strafenden Gott, sondern dieser Gott fürchtet sich vor Liebesentzug.

Die evangelikale Forderung, einer religiösen Figur bedingungslos nachzufolgen, bräuchte psychische Voraussetzungen, die in Europa selten zu finden sind, voller Liebe, Hingabe und Selbstaufopferung einem Führer zu folgen, hat in unseren Breiten keinen Stellenwert mehr.

Es gibt zwei Gründe, religiös zu sein oder religiös zu scheinen.

Der erste Grund ist Angst. Sich vorm bösen Gott zu fürchten, der alle in die ewige Verdammnis stürzt, die ihm nicht folgen. Oder sich vorm bösen Diktator zu fürchten, der alle verfolgt, die nicht an seinen Gott glauben. Die Geschichte des Christentums war über die längste Zeit ein Gemisch dieser beiden Ängste.

Der zweite Grund wurde auf dieser Homepage ebenfalls schon bis zum Gehtnichtmehr strapaziert: Gott als vermutete, erhoffte Hilfe und Stütze, Religion als der berühmte "Seufzer der bedrängten Kreatur", als "Gemüt einer herzlosen Welt", als "Geist geistloser Zustände", als "Opium des Volkes".

In Europa sind seit langem beide Gründe im Schwinden, denn der Klerikalfaschismus landete am Müllhaufen der Geschichte, die Gottesfurcht wurde von den christlichen Kirchen selber abgebaut, vermutlich wollte man keinen Gott mehr verkünden, der den Menschen weitaus mehr Qualen androht als seinerzeit die Gestapo den Staatsfeinden. Und der Bedarf an göttlichem Beistand verschwand aus dem durchschnittlichen Alltag. Wir haben ja - im Gegensatz zu den USA und vielen Weltgegenden - den Sozialstaat. Niemand muss wie der biblische Lazarus  auf die Brosamen vom Tisch des reichen Prassers warten, wir haben Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung, wenn das nicht reicht auch noch entsprechende Einrichtungen der Sozialhilfe. Auf die Gnade Gottes sind wir in unserem Alltag nimmer angewiesen.

Die Gestalt des Jesus ist mickrig, der Jesus droht nimmer mit Heulen und Zähneknirschen im ewigen Feuer und er hilft nimmer.

Geholfen hat er zwar sowieso nie, aber Hoffnungslose sahen in ihm oder anderen Göttern die letzte Hoffnung. Auch wenn die christlichen Parteien sich noch so abmühen, den Sozialstaat abzubauen, auf dass es den Spekulanten wohl ergehe auf Erden, unsere Welt ist so gut beisammen, dass Religion als "Opium des Volkes" keine nennenswerten Suchtgefahren mehr hervorruft. Für fallweise Seufzer der bedrängten Kreatur ist jetzt die Arbeiterkammer zuständig und kein Jesus.

Der mickrige Jesus herrscht und rettet nicht mehr! Und mächtiger als er ist sogar der schwachbrüstige österreichische Gewerkschaftsbund.