Publiziert am 3. Februar 2013 von ilex (E. Ahrens) auf http://www.wissenbloggt.de/
Zentraler
theologischer Punkt des Christentums ist die Rechtfertigung des Menschen seiner
Sünden wegen vor Gott. Welcher Sünden? Nun, der Gott des Alten Testamentes
ist einer, der eher an Gehorsam als an Verehrung interessiert ist. Den Juden
hat er vielfältige Regeln des Gehorsams gegen seine Gebote auferlegt, die als
Bedingung für seinen Schutz der Juden quasi vertraglich vereinbart wurden. Immerhin
hat sich Jahwe selbst verpflichtet, sich dann auch an diesen Vertrag zu halten,
wenn es die Menschen tun. Der Gott des Islam ist da ja noch einen Schritt weiter
gegangen und schwebt so ganz ohne Verpflichtung für die Menschen über den Wolken
- die Unterworfenen sind allein von seinem Wohlwollen abhängig und nur die Todeskämpfer
für den Glauben an ihn können einer jenseitigen Belohnung sicher sein.
Das
Christentum nimmt hier eine Zwitterstellung ein. Die Übernahme der jüdischen
Verpflichtung, sich an die Gebote Gottes zu halten, macht den Menschen sündig
quasi seit Eva den verbotenen Apfel aß und auch Adam dazu verführte. Die Sünde
gegen Gott ist nach christlicher Überzeugung der menschlichen Existenz immanent
und vererbbar und jeder Mensch bedarf der Rechtfertigung und Erlösung. Die erlangt
man - durch eine großzügige Geste Gottes vor etwa 2000 Jahren veranlasst - in
dem man fest und vertrauensvoll daran glaubt, das Jesus die Sünden der Menschen
durch seinen Tod an sich gezogen hat. Als Bonus wird dazu noch das ewige Leben
versprochen.
Rechtfertigung ist also allein durch Glauben möglich.
Gute Werke können zwar nicht schaden, bewirken allein aber nichts für die Gnade
Gottes. Als dann die katholische Kirche auch noch auf die Idee kam, die Qual
sündiger Seelen im Fegefeuer durch schlichte Geldzahlung abzulassen, riss in
Wittenberg an der Elbe dem Theologieprofessor Martin Luther am Abend des 31.10.1517
der Geduldsfaden und er forderte mit 95 Thesen zur theologischen Diskussion
über die Missbräuche der katholischen Amtskirche auf.
Nun - lediglich
41 Thesen wurden von der Kirche offiziell verdammt. Die anderen 54 Thesen
wurden also sogleich mehr oder minder akzeptiert. Zum Widerruf seiner Ansichten
am 18.4.1521 in Worms vor Kaiser und Reich aufgefordert blieb Luther bei seinen
Thesen, da er - anders als etwa 100 Jahre vor ihm der Reformator Jan Hus - sich
starker weltlicher Protektion sicher sein konnte. Er erklärte, bei seinen Ansichten
bleiben zu wollen, wenn "nicht durch Zeugnisse der Schrift oder durch einleuchtende
Vernunftgründe" ihm das Gegenteil bewiesen werden könne. Wobei bemerkenswert
ist, dass er als Theologieprofessor immerhin einleuchtende Vernunftgründe als
Wahrheitsbeweis zu akzeptieren bereit war. Damit folgte er den Ideen seiner
gedanklichen Vorgänger an der Universität Paris, die mit ähnlichen Argumenten
250 Jahre zuvor schon die christliche Amtskirche in argumentative Bedrängnis
gebracht hatten.
Es kam, wie es kommen musste, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen,
die erst durch den Augsburger Religionsfrieden 1555 einigermaßen gezähmt wurden.
Dadurch hat die Stadt Augsburg bis heute am 8. August einen zusätzlichen gesetzlichen
Feiertag. Indes schwelte die theologische Auseinandersetzung über die Rechtfertigungslehre
weiterhin zwischen Katholiken und Lutheranern.
Erst kaum 500 Jahre später
einigte man sich auf einen Minimalkonsens. Symbolisch sowohl am 31. Oktober
als auch in Augsburg schlossen Katholiken und Lutheraner 1999 eine Vereinbarung
über die Rechtfertigungslehre. In diesem Text heißt es: "Wir bekennen gemeinsam,
dass der Mensch im Blick auf sein Heil völlig auf die rettende Gnade Gottes
angewiesen ist. Die Freiheit, die er gegenüber den Menschen und den Dingen der
Welt besitzt, ist keine Freiheit auf sein Heil hin. Das heißt, als Sünder steht
er unter dem Gericht Gottes und ist unfähig, sich von sich aus Gott um Rettung
zuzuwenden. Rechtfertigung geschieht allein aus Gnade."
Also nichts mit guten Werken und sonstigem. Der theologisch saubere Standpunkt
Luthers hatte sich durchgesetzt. Das hätte die katholische Kirche auch schon
beinahe 500 Jahre eher haben können und dann hätte es die protestantische Abspaltung
wohl nicht gegeben. Selbst wenn diese Vereinbarung vom 31.10.1999 dem katholischen
Laien relativ unbekannt ist - Papst Benedikt XVI kennt sie sehr wohl, war er
doch um jene Zeit (seit 1981) der verantwortliche Mann für die Festlegung der
katholischen Ideologielinie. Daher war er wohl auch bei seinem kürzlichen Besuch
in Deutschland in Worten relativ sanft zu der lutheranischen Konkurrenz.
Nun
wird man natürlich als Atheist auf dem Standpunkt stehen, dass sowohl der katholische
als auch der protestantische Standpunkt der Rechtfertigungslehre in beiden Fällen
auf reiner Fiktion beruht und der jahrhundertelange Streit einer um des Kaisers
Bart gewesen sei. Das ist wohl so.
Dessen ungeachtet hat Luthers Rebellion gegen die weltlichen Auswüchse
des Papsttums (er kannte als junger Mann noch Rodrigo Borgia, der bis 1503
als Alexander VI Papst war) eine psychologische Ablösung von der römischen
Allmacht der Kirche in Gang gebracht, die dann die Abkehr vom Glauben erleichterte.
Wenn sich denn lutherische Fürsten katholische Kirchengüter unter den Nagel
rissen, so hatte dies natürlich wenig mit Glauben zu tun, sondern eher mit Gier
und Machtzuwachs. Trotzdem war dies ein weiterer Baustein zum Schwinden der
allumfassenden Macht der katholischen Überzeugung. Man sah, dass es möglich
war, ohne die Rechtleitung des Papstes auszukommen.
Betrachten wir also
den 31. Oktober als Gedenktag für den ersten Schritt, sich von starren Glauben
an vorgegebene Dogmen und Machstrukturen zu lösen. Wer dann noch den zweiten
Schritt getan hat und überhaupt nicht an Gott glaubt, kann jeden Theologen Luther
zitierend auffordern, ihm doch "durch einleuchtende Vernunftgründe"
das Gegenteil zu beweisen.