Arik Platzek auf diesseits.de (19.2.2013)
Kreationismus an christlichen Privatschulen: Eine aktuelle Stellungnahme
zu einem pädagogischen Orientierungspapier des Verbandes Evangelischer Bekenntnisschulen
sieht die staatlichen Aufsichtsbehörden in der Pflicht zum Handeln.
"Der
naturwissenschaftliche Unterricht muss in allen Fächern rein wissenschaftlich
bleiben", heißt es in der von der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft
"Evolution in Biologie, Kultur und Gesellschaft" (AG EvoBio) am vergangenen
Wochenende veröffentlichten Stellungnahme.
Mit der Stellungnahme reagierte
die Arbeitsgemeinschaft auf einen vom Verband Evangelischer Bekenntnisschulen
(VEBS) verbreiteten Text des Geschäftsführers der christlich-fundamentalistischen
"Studiengemeinschaft Wort und Wissen", Reinhard Junker. Der Text mit
dem Titel "Evolution und Schöpfung an christlichen Bekenntnisschulen"
wird seit einigen Monaten vom VEBS zur Orientierung "in den Fachkollegien
in Religion und Naturwissenschaften sowie für Schulleiter und Vorstände"
empfohlen.
Die Arbeitsgemeinschaft Evolution in Biologie, Kultur und
Gesellschaft ist ein gemeinnütziger, wissenschaftlicher Verein zur Aufklärung
über das interdisziplinäre Konzept der Evolution im Allgemeinen, unter besonderer
Berücksichtigung der Evolutionsbiologie im Spannungsfeld religiöser Ideologien
(Kreationismus, Intelligent Design). Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sind
unter anderem Prof. Axel Meyer, Inhaber des Lehrstuhls für Zoologie/Evolutionsbiologie
an der Universität Konstanz, der Leiter der Abteilung für Allgemeine Zoologie
an der Universität von Duisburg-Essen, Prof. Hynek Burda, sowie der Verhaltenswissenschaftler
Hansjörg Hemminger, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelischen
Landeskirche in Württemberg. Mehr Informationen liefert die Homepage der AG
EvoBio und die Facebookseite.
Im
Papier der Bekenntnisschulen heißt es unter anderem, dass die Naturwissenschaften
für Schülerinnen und Schülern an den Schulen des Verbandes als "Indizienlieferanten",
deren Befunde in der Regel uneindeutig seien, dargestellt werden sollen. Die
Erkenntnisse über die Evolution und "alternative Herangehensweisen, die
von einer Schöpfung ausgehen", sollen im Unterricht nebeneinander erklärt
werden. Weiter heißt es, es solle kein Druck dahingehend ausgeübt werden, dass
die Schüler die Evolution für wahr halten.
"Schulunterricht sollte
der wissenschaftlichen Denkweise verpflichtet sein, den Stand wissenschaftlicher
Erkenntnis darstellen und begründen, weshalb an den gängigen Theorien der Evolution,
Geologie, Kosmologie usw. keine vernünftigen Zweifel angebracht sind",
so die Stellungnahme zu den Ausführungen Junkers.
Die vom VEBS verbreiteten
Vorgaben aus der Feder des prominenten Kreationismus-Vertreters beurteilt Martin
Neukamm, Geschäftsführer der AG EvoBio, daher als gänzlich ungeeignet zur Orientierung
bei der Gestaltung von Lehrinhalten naturwissenschaftlicher Fächer. "Die
Schöpfungslehre ist im Religionsunterricht korrekt verortet, nirgendwo sonst."
Sie könne keinerlei Alternative zu Evolutionstheorien sein. Denn während
die Erforschung der Evolution seit 150 Jahren floriere und mit Hilfe der Wissenschaft
"Lücke um Lücke" geschlossen werde, habe die Schöpfungslehre bei der
Erklärung der Entstehung des Lebens und der Arten "so gut wie nichts vorzuweisen".
Der
anlässlich des "Darwin-Jahres" 2009 veröffentlichte Sammelband "Evolution
im Fadenkreuz des Kreationismus: Darwins religiöse Gegner und ihre Argumentation"
enthält 13 Beiträge, die sich mit den Gegnern der Evolutionstheorie und ihren
Methoden der Argumentation kritisch auseinandersetzen. Die Beiträge richten
sich sowohl an interessierte Laien als auch an Biowissenschaftler, aufgeklärte
Christen und Publizisten, die sich kritisch mit den Argumenten der Anti-Evolutionsbewegung
auseinandersetzen wollen oder müssen. Die Autoren haben sich langjährig mit
der Materie beschäftigt, unter ihnen Christina Aus der Au, Andreas Beyer, Hansjörg
Hemminger, Thomas Junker, Peter Michael Kaiser, Stefan Schneckenburger und Johannes
Sikorski.
In der Stellungnahme der AG EvoBio heißt es weiter, die vom
VEBS als "Forderung nach einem Glaubensbekenntnis zur Evolution" abgelehnte
"Festlegung auf die Weltsicht der Evolutionstheorie im Schulunterricht
ist aus naturwissenschaftlicher Sicht derzeit sehr gut begründet und ebenso
alternativlos wie etwa die Festlegung der Meteorologie auf die Weltsicht der
Atmosphärenphysik." Im Unterricht könne zwar nicht verordnet werden, dass
die Schüler wissenschaftliche Erkenntnisse für wahr halten: "Der Lehrer
hat aber die Pflicht, sauber zu begründen, weshalb entsprechende Zweifel nicht
vernünftig sind." Und die Evolutionstheorie als "dogmatisch zu
bezeichnen wäre so, als würde man dem Meteorologen ankreiden, er berücksichtige
Gottes Einfluss auf das Wettergeschehen nicht."
Bei der Arbeitsgemeinschaft
Evolution in Biologie, Kultur und Gesellschaft sieht man daher die zuständigen
Aufsichtsbehörden in der Pflicht. Deren Aufgabe sei es sicherzustellen, dass
die Erkenntnisse über die Evolution auch in christlichen Bekenntnisschulen nicht
relativiert werden: "Falls im Unterricht schöpfungstheoretische und
evolutionsbiologische Ansätze nebeneinander behandelt werden, muss aus wissenschaftstheoretischer
Sicht dargelegt werden, dass die zentralen Auffassungen des Kreationismus keinen
empirisch-wissenschaftlichen Gehalt haben."