Papst im SPÖ-Wahlprogramm?

Die SPÖ ist im 19. Jahrhundert als Interessensvertretung für die arbeitende Bevölkerung gegründet worden. Im 20. Jahrhundert hat man für diese Interessen die Menschen mobilisiert und den politischen Kampf organisiert. Mit manchmal weniger und manchmal mehr Erfolg. In den 1970er-Jahren gab es in Österreich unter der Regierung Kreisky das sozialdemokratische Zeitalter.

Als die Partei dann unter die Banker und Manager fiel, der Neoliberalismus als Selbstverständlichkeit und dann sogar als sozialdemokratische Handlungsanleitung akzeptiert wurde, segelte die einstige 50-%-Partei in niedrigere Höhen hinunter, die Rechtsparteien konnten im Jahre 2000 die Macht übernehmen und den Neoliberalismus noch weiter steigern. Zum Schaden des Landes und seiner Menschen.

Durch die g'schissenste Regierung, die Österreich seit 1945 hatte, gelang es dem Bundeskanzler Schüssel, seine ÖVP und seine verbündeten Parteien FPÖ und BZÖ soweit zu schwächen, dass die SPÖ sogar unter dem Vorsitz eines blinden Polithuhns wie Alfred Gusenbauer genügend Protestwähler fand, um einen größeren Haufen an Wählerstimmen einzufahren. Gusenbauer wurde dann doch wie seine unsozialdemokratischen Vorgänger Vranitzky und Klima in die Privatwirtschaft entsorgt und man versuchte es mit dem scheinbaren Strahlemann Faymann.

Die Nationalratswahl danach hat Faymann gewonnen. Nicht weil er so gut war und schon überhaupt nicht, weil die SPÖ als Interessensvertretung für die arbeitenden Klasse in Erscheinung getreten wäre, sondern weil die ÖVP als das größere und gefährlichere Übel erkannt wurde.

Am 1. Mai 2013 hatte sich Faymann ganz überraschend sogar dazu hineinreißen lassen, seine Partei in aller Öffentlichkeit als die Interessenvertretung der arbeitenden Menschen darzustellen - siehe Info Nr. 1414.

Am 16.5. sagte Papst Franz auf einem Botschafterempfang u.a., eine uneingeschränkte Freiheit der Märkte und Spekulationen ohne staatliche Kontrollen führten zu einer "neuen, unsichtbaren Tyrannei", die erbarmungslos ihre eigenen Regeln durchsetze. Die Folge sei, dass die Gewinne einer Minderheit um das Vielfache in die Höhe stiegen, während die Mehrheit ärmer werde. Als Südamerikaner hat der Franz wohl im Laufe der Jahrzehnte auch öfters Ansichten aus befreiungstheologischen Kreisen vernommen und diese Ansichten trotz deren Verdammung durch den Vatikan nicht ganz aus seinem Gedächtnis gestrichen.

Was nun passierte, ist wieder ein Anlass, über die SPÖ heftig den Kopf zu schütteln. Denn am selben Tag trat der SPÖ-Klubobmann Josef Cap auf einer Diskussionsveranstaltung in Wien-Hernals auf und verkündete dort, "dieser Papst scheint sich nachhaltig gegen Ungleichheiten einzusetzen, nicht nur im ökonomischen Sinn, sondern auch bei Zugang zu Information und Bildung. Er ist gegen die Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen weniger, er ist gegen deregulierte Märkte." Und es ging noch heftiger weiter: die Papstworte ließen sich eins zu eins ins Wahlprogramm der SPÖ übernehmen.
Hier ein kurzer Cap-Ausschnitt aus "Religion aktuell" vom 17.5.:

(zum Abspielen der mp3 wird Quick-Time-Plug-In o.ä. benötigt, wenn ein solcher Plugin nicht installiert ist, dann ist hier oberhalb statt einer Abspielvorrichtung nur eine leere Zeile zu sehen)

Hat die SPÖ kein Wahlprogramm, in welchem diesbezüglich was steht? Ist die SPÖ schon derartig degeneriert? Laut Cap schaut es so aus, er und die SPÖ brauchten päpstliche Tipps! Dabei hätte er zum Beispiel diese Dinge aus dem Papstprogramm, die ihm so gut gefallen hatten, der christlichen ÖVP weiterschicken und zur Übernahme ins christkatholische ÖVP-Programm empfehlen können. Weil dort steht sicher auch nix über hohe Gewinne und eine ärmer werdende Mehrheit. Die hohen Gewinne und die ärmer werdende Mehrheit hat schließlich die ÖVP gegen den - freilich sehr geringfügigen Widerstand - ihres Koalitionspartners SPÖ erfolgreich durchgesetzt!

Aber machen wir zum Abschluss noch einen Blick zu anderen päpstlichen Aspekten, weil sonst glauben die Leute noch, der Franz sei ein Sozialist. Papst Franz prangerte den "Konsumrausch" an, weil wenn jemand mit irgendwas eine Freude hat, dann ist das der katholischen Kirche sofort verdächtig. Außer die Spekulanten freuen sich über Gewinne, da freuen sich christliche Parteien mit ihnen!

In der ORF-Meldung heißt gegen Schluss: "Der Papst liebt alle Menschen, reiche und arme", hob Franziskus in seiner Ansprache hervor. Er habe jedoch die Pflicht, die Reichen im Namen Christi daran zu erinnern, dass sie den Armen helfen, sie respektieren und fördern müssten.

Er ist also bloß für Almosen und für Respekt, das passt gut zur ÖVP.
Die Gedichtzeilen von Bert Brecht,
"Reicher Mann und armer Mann
Standen da und sah'n sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich"

kennen beide nicht, Papst Franz und Clubobmann Cap. Und für die ÖVP wäre das sowieso Hochverrat am heiligen Kapitalismus.