Ägypten: Tage der entmachteten Wut

Ein Kommentar vom 18.8.2013 von Hartmut Krauss zu den antiislamistischen Aufräumarbeiten des "arabischen Frühlings" in Ägypten und ihren Entstellungen in den hiesigen Medien

Es ist erschreckend bis abstoßend, wie sich große Teil der (unwählbaren) politischen Klasse und der Medien im Westen offen bis verdeckt auf die Seite der radikalislamischen Muslimbrüder schlagen und die blutigen Auseinandersetzungen in Ägypten und anderen arabischen Ländern mit wohlfeilen Phrasen und Forderungen falsch einschätzen und bewerten.

Damit fallen sie den dort glücklicherweise vorhandenen antiislamistischen Fortschrittskräften in den Rücken, die sich vom Joch des islamischen Sittenkorsetts befreien wollen und unter komplizierten Bedingungen für eine säkular-demokratische Lebensordnung kämpfen, in der Religion Privatsache ist und keine absolute Normierungsmacht mehr besitzt.

Eine zentrale Voraussetzung hierfür ist allerdings die Brechung der Vorherrschaft islamischer Kräfte in Staat und Gesellschaft. Und diese Intention ist kein kurzfristiges Zuckerschlecken. In Ägypten jedenfalls gehört offenkundig das Aufstellen von antiislamistischen Bürgerwehren dazu, um sich vor der Gewalt der Gottesfanatiker zu schützen.

Im Gegensatz hierzu war und ist es das Ziel der international agierenden Muslimbrüder, einen totalitären Gottesstaat zu errichten, in dem das absolute Gesetz der Scharia gilt und sämtliche elementaren Grund- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wenden die Islamisten - nicht nur in Ägypten - im Rahmen einer arbeitsteiligen Strategie und in Abhängigkeit von realen Kräfteverhältnissen sämtliche Mittel an: gewaltsame und scheinbar friedliche. Wie wir uns erinnern, nahmen auch die Nationalsozialisten an Wahlen teil und gewannen sogar die letzten Reichstagswahlen. Waren sie deshalb "legitimiert"?
Vgl. hierzu: Demokratie unter islamis(tis)cher Vorherrschaft?

Die gleichen Politiker und Journalisten, die kaum ein Wort der Kritik gegenüber den islamisch begründeten Diktaturen im Iran und in den Golfstaaten verlieren oder auf geistig-moralischer Tauchstation sind, wenn - wie in Tunesien - säkulare Politiker auf offener Straße erschossen werden oder im Iran angebliche Ehebrecher und Gotteslästerer gesteinigt werden und sich auch nicht scheuen, Waffenlieferungen an islamische Despotenstaaten zu genehmigen, werden mit einem Mal wehleidig und sanktionsbeflissen. Ausgerechnet jetzt, da ausnahmsweise einmal nicht die islamische Seite der Gewaltanwendung dominiert, fabulieren sie einseitig von einem "Massaker an Muslimbrüdern" und machen sich damit die Sprachregelung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zu eigen, also eines ebenso erfahrenen wie demagogischen Repressionspolitikers par excellence.

Nun ist zwar das ägyptische Militär nicht zimperlich. Aber diese proislamistische Behauptung eines "Massakers" widerspricht den Tatsachen und ist als unredlich zurückzuweisen. Denn sie blendet die Hauptverantwortung der Muslimbrüder für die Gewalteskalation aus: So haben die Islamisten die mehrfachen Aufforderungen zur Räumung der die Infrastruktur gefährdenden Blockadecamps beharrlich ignoriert und damit regelrecht um ein Eingreifen der Sicherheitskräfte gebettelt, ja offensichtlich gezielt provoziert, um eine aggressionssteigernde Märtyrerpropaganda anzuheizen, die bis zum Sinai, nach Israel und in die brodelnden Anrainerstaaten ausstrahlen soll. Ebenso haben sie die mehrfachen Aufrufe der Übergangsregierung zu Gesprächen desavouiert.

Hinzu kommt, dass die Muslimbrüder selbst - ganz im zu erwartenden Stil von religiösen Fanatikern - extrem gewalttätig auftreten, reihenweise Wutaufmärsche inszenieren ("Freitag der Wut") und damit verständlichen Hass und Gegenwehr auf sich ziehen. So wirft es schon ein bezeichnendes Licht auf die "Friedensreligion Islam", wenn Massen von "streng gläubigen Muslimen" direkt von der Moschee zu gewalttätigen Demonstrationen aufbrechen, bislang 40 Kirchen und mehrere Regierungsgebäude anzünden, zahlreiche Menschen massakrieren, die sich ihren martialischen Gewaltaufmärschen entgegenstellen und mit Schnellfeuergewehren von Minaretten besetzter Moscheen wild um sich schießen. Wer so handelt, büßt das Recht ein, sich über die selbst heraufbeschworenen Konsequenzen zu beklagen.

In den arabischen Ländern treffen jetzt und für lange Zeit unversöhnliche und nur schwer verhandelbare Gegensätze aufeinander, die auch in Europa über einen langen Zeitraum blutig ausgetragen wurden: Gottesherrschaft und göttliches Gesetz (Scharia) vs. Säkulare Lebensordnung und Menschenrechte. Jeder Schritt in die richtige Richtung sollte begrüßt, die breite Ablehnung der Muslimbruderschaft durch große Teile der ägyptischen Bevölkerung wertgeschätzt und larmoyante Protektion der reaktionären Kräfte auf jeden Fall unterlassen werden.

Die westlichen Überwachungsregierungen, von ihren Bevölkerungen nur noch sehr lose und in Fragen der Islampolitik überhaupt nicht mehr gestützt, tun sich keinen Gefallen, wenn sie sich jetzt als scheinheilige Schutzpatrone der Muslimbrüder aufspielen und es in ihren Ländern zulassen, das eingewanderte Unterstützer der Islamisten unbehelligt durch die Straßen ziehen.