© Dr. Daniel Krause, Februar 2014
Aktive Sterbehilfe im Rechtsvergleich und unter der Europäischen
Menschenrechtskonvention heißt das aktuelle Buch von Nicola Müller. Dr.
Daniel Krause hat uns eine Rezension zur Verfügung gestellt, in der er aufgrund
der Rechtslage für ein differenziertes Urteil plädiert. Zuerst veröffentlicht am
14.2. bei freidenker.at als
Rezension:
"Aktive Sterbehilfe im Rechtsvergleich und unter der Europäischen
Menschenrechtskonvention"
Die aktuelle Entscheidung des belgischen Parlaments bezüglich der aktiven
Sterbehilfe bei Minderjährigen wurde mit breiter Mehrheit von Sozialdemokraten,
Liberalen und Grünen gefällt. Demnach kann ein Arzt etwa einem krebskranken Kind
auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin eine tödliche Dosis Medikamente
verabreichen, sofern das Kind und die Eltern sowie ein Gremium aus
professionellen Betreuern zustimmen. Dieses neues Modell ist in der belgischen
Bevölkerung auf breite Zustimmung gestoßen, in Umfragen begrüßen drei Viertel
der Belgier das neue Gesetz.
In den übrigen europäischen Länders ist dieses anders: Die Niederlande und
Luxemburg sowie die Schweiz haben zwar längst gefestige Praktiken zur
Sterbehilfe, welche jedoch gerade bei Minderjährigen weit hinter dem neuen
belgischen Modell zurückbleiben. In Deutschland hingegen ist die aktive direkte
Sterbehilfe verboten, und eine politische Mehrheit zur Aufhebung dieses Verbots
ist bisweilen schwer vorstellbar.
In Österreich ist die Stimmung
diesbezüglich ähnlich konservativ wie in Deutschland. In diesen beiden Ländern
liebäugeln manche sterbewilligen Menschen folglich damit, ihren Wunsch nach
einem humanen Freitod in einem der genannten europäischen Nachbarländer zu
verwirklichen.
Das aktuelle Buch "Aktive Sterbehilfe im Rechtsvergleich und
unter der Europäischen Menschenrechtskonvention" vergleicht die
Rechtslagen der europäischen Staaten miteinander. Diese Dissertation von Nicola
Jacob untersucht die Fragestellung, was die Europäische Menschenrechtskonvention
(EMRK) zur aktiven Sterbehilfe vorgibt, welchen Spielraum die Mitgliedsstaaten
innerhalb dieses Rahmens haben und auf welche Weise diese Staaten diesen
Spielraum bisweilen unterschiedlich nutzen. Folglich setzt sich die Arbeit zum
Einen mit der Dogmatik und Rechtssprechung zur EMRK auseinander, zum Anderen
untersucht sie die Regelungen in fünf ausgewählten Staaten: Deutschland,
Niederlande, Belgien, Luxemburg, Schweiz.
Die Wortlaute der nationalen Gesetze werden im Buch vorgestellt und von der
Autorin erläutert, verständlich auch für Nicht-Juristen. Die rechtlichen und
politischen Diskussionen innerhalb der fünf Staaten werden jeweils umrissen,
wobei sich die Autorin als nüchterne Analysten sich jeder Wertung enthält.
Deutlich wird: Den einzelenen Mitgliedsstaaten der EMRK steht es frei, ob er
die aktive Sterbehilfe verbietet oder erlaubt. Ein "Gebot" ist aus der EMRK
nicht ableitbar, ebensowenig ein "Anspruch". Die EMRK stellt lediglich klar, das
die "unfreiwillige" Sterbehilfe nicht gestattet ist. Darüber hinaus jedoch liegt
die Souveränität ganz eindeutig bei den jeweiligen Nationalstaaten, keiner
dieser Staaten kann zu einer bestimmten Gesetzgebung oder Handhabung der
Sterbehilfe gezwungen werden.
Dass ein Konsens zwischen den europäischen Staaten in weiter Ferne liegt,
wird bei der Lektüre dieses Buches mehr als deutlich. Doch gerade dieses macht
das Werk so interessant: Die Leserinnen und Leser können sich nach der Lektüre
ein ausgesprochen differenziertes Urteil darüber bilden, inwieweit die
Entwicklungen in Belgien auch in die anderen Länder "überschwappen" könnten und
welche Veränderungen der nationalen Rechtslagen hierfür vonnöten sind. Und um es
ganz unverblümt zu sagen: Wer damit liebäugelt, an sich selbst die aktive
Sterbehilfe vornehmen zu lassen, hat in Gestalt dieses Buches eine wertvolle
"Reiseorientierung" an der Hand.
© Dr. Daniel Krause, Februar 2014