Wir kennen alle Karlheinz
Deschner, den unermüdlichen Religionskritiker, der mit seinem zehnbändigen
Riesenwerk
"Kriminalgeschichte des Christentums" eine der schlimmsten Ideologien
der Menschheitsgeschichte mit weltlichen Fakten aus den himmlischen Illussionen auf die
Erde zurückgeholt hat. Am 10.4. wurde bekannt, dass Deschner am 8. April
2014 im 89. Lebensjahr verstorben ist.
Wir alle verlieren damit einen wunderbaren
Freund, einen kompromisslosen Aufklärer, einen Säkularisten der Extrasonderklasse.
Er hat für die Vernunft mehr geleistet als für einen einzelnen Menschen
vorstellbar ist. Die Kirchen haben ihn mit allem Hass ihrer "Feindesliebe"
verabscheut, aber sie haben ihm nie nachweisen können, dass er sie in seinen
Schriften verleumdet hätte, was Deschner über das Christentum schrieb,
war die Wahrheit und nichts als die Wahrheit!
Karlheinz Deschner ist tot. Der "größte Kirchenkritiker aller Zeiten" (Dieter
Birnbacher) starb am vergangenen Dienstag im Alter von 89 Jahren in seiner
Heimatstadt Haßfurt. Ein Nachruf von Michael Schmidt-Salomon.
"Aufklärung ist Ärgernis, wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck
deutlicher."
Mit diesem Aphorismus formulierte Karlheinz Deschner das eigene
Lebensmotto. Denn Deschner war die Personifikation des aufklärerischen
Ärgernisses, ein Stachel im Fleisch der Zeit, an dem sich die Diskussion immer
wieder entzünden musste.
Schon sein erstes Werk, der 1956 veröffentlichte Roman "Die Nacht steht um
mein Haus" war eine literarische Sensation, ein atemberaubend schonungsloses
Buch, das den Leser wie eine Lawine überrollt. Helmut Uhlig versuchte die
Besonderheit dieses "Romans" (eher ein Stück radikaler Autobiographie) so zu
fassen: "Deschners Aufzeichnungen liegen jenseits des Selbstmords, so wie
Gottfried Benns spätere Gedichte jenseits des Nihilismus liegen ... Dieses Buch
wird schockieren ... Genau besehen, ist es nichts anderes als die
Krankengeschichte unserer Zeit." Diese "Krankengeschichte unserer Zeit", die
von der Brutalität des Krieges, des verächtlichen Umgangs des Menschen mit
seinen Artgenossen und der Natur erzählte, war zugleich eine Krankengeschichte
des Autors, der, von der steten Gefahr des Nervenzusammenbruchs bedroht, sich
schreibend selbst therapierte.
Die Schreibblockaden, die ihn zuvor gequält hatten, waren auf einen Schlag
verschwunden. Bereits ein Jahr später erschien Deschners berühmte Streitschrift
"Kitsch, Konvention und Kunst", die einer ganzen Generation den Zugang zur
Literatur eröffnete und unterschätzte Autoren wie Robert Musil erstmals einer
breiten Leserschaft bekannt machte. Noch im selben Jahr gab er das Buch "Was
halten Sie vom Christentum?" heraus, das Pro- und Contra Meinungen verschiedener
Autoren, aber keine Positionierung des Herausgebers, enthielt. Kritiker
missdeuteten dies als Ausdruck fehlender Courage, was ein radikaler Denker wie
Karlheinz Deschner natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Und so zog er
sich nach der Veröffentlichung des zweiten Romans "Florenz ohne Sonne" mehrere
Monate lang zurück, um ausführliche Studien zur Geschichte des Christentums zu
betreiben.
Dies war, wie wir heute wissen, ein wahrer Glücksfall für die säkulare
Emanzipationsbewegung, denn 1962 kam "Abermals krähte der Hahn", das
Grundlagenwerk der modernen Kirchenkritik, auf den Markt. Auch wenn Deschner in
der Folgezeit keineswegs nur religionskritische Bücher veröffentlichte
(beispielsweise erschien mit "Talente, Dichter, Dilettanten" eine weitere
literarische Streitschrift, mit "Der Moloch" eine kritische Geschichte der USA
und mit "Für einen Bissen Fleisch" ein Plädoyer für den Vegetarismus), so wurde
der Autor nach dem sensationellen Erfolg des "Hahns" fortan hauptsächlich als
Kirchenkritiker wahrgenommen.
Welch befreiende Wirkung Deschners religions- und kulturkritische Schriften
entfalteten, wird deutlich, wenn man einen Blick in die Abertausende von
Leserbriefen wirft, die der Autor über die Jahre hinweg erhielt. Deschner hat
wie kaum ein anderer ausgesprochen, was andere vielleicht ahnten, aber nicht
zu formulieren wagten. Wer das mulmige, indifferente Gefühl hatte, dass da
irgendetwas Grundlegendes nicht stimmt, an dieser Religion, diesem Staat, dieser
Gesellschaft, dieser Kunst, der fand in Karlheinz Deschner einen, der es
prägnant auf den Punkt brachte.
Als Deschner 1984 seinen 60. Geburtstag feierte, konnte er auf ein wahrhaft
imposantes Werk zurückblicken und doch sollte das Wesentliche erst noch
kommen. 1986 brachte Rowohlt den ersten Band der "Kriminalgeschichte des
Christentums" heraus. In einem Alter, in dem die meisten an den Ruhestand
denken, begann Deschner mit der Niederschrift einer der größten
Anklageschriften, die jemals verfasst wurden. Mehr als ein Vierteljahrhundert
später war es dann tatsächlich vollbracht: In den 10 Bänden der
"Kriminalgeschichte" mit ihren nahezu 6000 Seiten und mehr als 100.000
Quellenbelegen hat Deschner eine Generalabrechnung mit der "Religion der
Nächstenliebe" vorgelegt, die in der Weltliteratur ihresgleichen sucht.
Die Arbeit am letzten Band war jedoch eine Tortur, die ihm alles
abverlangte. Seine Kraft reichte danach nicht mehr aus, um den inoffiziellen
11. Band, "Die Politik der Päpste", der die Entwicklungen seit dem 19.
Jahrhundert auf mehr als 1200 Seiten beschreibt, selbst zu aktualisieren,
weshalb ich die Darstellung der zweiten Hälfte des Pontifikats von Johannes Paul
II. und Benedikt XVI. übernahm. Als wir im März 2013 die Vollendung der
"Kriminalgeschichte" in Oberwesel und wenige Wochen später am 23. Mai seinen 89.
Geburtstag in Haßfurt feierten, war er schon deutlich geschwächt. Sein Zustand
verschlechterte sich nochmals dramatisch, als er wegen eines Aneurysmas gleich
zweimal operiert werden musste. Letztlich konnte der lebensbedrohliche Riss der
Blutgefäße aber nicht verhindert werden. Am Dienstagmorgen um 8.00 Uhr starb
Karlheinz Deschner in einer Haßfurter Klinik.
Karlheinz schrieb einmal: "Berühmte sind Leute, die man etwas später
vergisst." Wie so häufig traf er auch mit dieser Formulierung ins Schwarze.
Unsterblich ist nicht einmal der Ruhm Ludwig van Beethovens. Selbst er so
ungeheuerlich es auch erscheint wird irgendwann einmal vergessen sein, wie
alles, was Homo sapiens je hervorgebracht hat. So sicher es also ist, dass auch
das Werk Karlheinz Deschners irgendwann einmal in Vergessenheit geraten wird:
Wenn es in der Kultur- und Geistesgeschichte auch nur halbwegs mit rechten
Dingen zugeht, dürfte dies in absehbarer Zeit kaum geschehen.
Schon allein aufgrund seiner ungeheuren literarischen Qualität gehört
Deschners Werk zu den kostbarsten Juwelen der Aufklärung, ein Juwel, das auch in
Zukunft noch funkeln wird, um die Welt zu erhellen und jenen Dreck zu
verdeutlichen, der ansonsten liebend gerne wieder unter den Teppich gekehrt
würde. Ich bin überzeugt: Der Aufklärer Deschner wird noch lange ein Ärgernis
bleiben. Nicht nur, weil die Themen, die er behandelte, aktuell bleiben werden,
sondern auch, weil Schriftsteller seines Formats seltene Ausnahmeerscheinungen
sind in dem Meer der Mittelmäßigkeit, das uns umgibt.
Mit seiner Sprachgewalt stellte Karlheinz Deschner selbst Nietzsche in den
Schatten. Ich wüsste niemanden, der ihm als "Streitschriftsteller" oder
Aphoristiker das Wasser reichen könnte. Es war ein unglaubliches Privileg, ihn
kennenlernen zu dürfen. Ich habe ihn außerordentlich geschätzt nicht nur als
Schriftsteller, sondern auch als Mensch, als Freund. Umso schmerzlicher ist der
Verlust.