Der Zölibat als Bildungsvernichter

In den OÖNachrichten erschien am 26. 4. 2014 ein Artikel des Univ.Prof. Dr. Roman Sandgruber, Vorstand des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Linz, mit dem Titel "Das Elend des Zölibats". Darin weist Dr. Sandgruber auf einen Aspekt des Zölibats hin, der wohl zu Unrecht bisher in der kritischen Auseinandersetzung mit der katholischen Religion wenig Beachtung gefunden hat.

Im Artikel wird aufgezählt, wie vor hundert Jahren in Österreich die Verteilung der Reichtümer ausfiel: katholische Reiche und Superreiche lagen weit unter dem katholischen Bevölkerungsanteil, der Reichenanteil unter Protestanten lag mehrfach darüber, bei den Juden noch wesentlich höher.

Dr. Sandgruber erklärt diese Tatsache so: "Ein nicht unwesentlicher Teil des Unglücks der katholischen Länder war der Zölibat. Er machte es unmöglich, dass aus Pfarrerhaushalten ähnlich wie aus Pastoren- oder Rabbinerfamilien sich eine geistige Elite rekrutieren konnte. Im katholischen Bereich blieb hingegen viel Intelligenz auf der Strecke. Die höhere Bildung sollte vorrangig auf die geistlichen Berufe vorbereiten. Während in Pastoren- und Rabbinerfamilien dieses Bildungsgut weitergegeben werden konnte und die Kinder aus diesem Milieu in den Gesellschaftsspitzen stark vertreten waren, fehlte diese Möglichkeit bei der katholischen Geistlichkeit."

Bei der jüdischen Gemeinschaft kam natürlich noch dazu, dass Bildung auch unter Nichtrabbinern als wichtig angesehen wurde und dass durch eine Reihe von Berufsverboten für Juden (kein landwirtschaftlicher Besitz, keine Mitgliedschaft in Handwerker-Zünften) die Konzentration auf Handel und Geld (christliches Zinsverbot!) vorgegeben war. Die Juden hätten ein Volk von Idioten sein müssen, wenn sie unter diesen Umständen im Kapitalismus nicht überproportional erfolgreich gewesen wären. Dazu kam dann noch, dass mit der Erlangung der vollen staatsbürgerlichen Rechte, Juden auch in den intellektuellen Berufen durch ihre Bildungstradition weit überproportional erfolgreich waren, der israelisch-deutsche Historiker Rafael Seligmann sah Juden als die "Nutznießer der Moderne, gleichgültig, ob als Demokraten, Kapitalisten, Intellektuelle oder Kommunisten". Denn "ihr geschulter Geist verlieh ihnen einen Vorsprung gegenüber den Nichtjuden, bei denen die Alphabetisierung der Masse erst im 19.Jahrhundert eingesetzt hatte." Seligmann sieht diese Unterschiede in der Bildungstradition auch als eine wesentliche Ursache des Antisemitismus.

Der Umstand, dass die katholische Kirche durch viele Jahrhunderte die als am bildungsfähigsten erscheinenden jungen Männer für den klerikalen Bereich abschöpfte, vernichtete intellektuelle Traditionen der Antike und förderte die Finsternis des Mittelalters. Der Katholizismus zerstörte für tausend Jahre die geistige Entwicklung der Menschheit, weil die vorhandenen Leistungskapazitäten dem Religionsapparat völlig überproportional zugeführt wurden und sich durch den Zölibat keine entsprechenden Bildungstraditionen aufbauen konnte. Neben allen anderen katholischen Untaten kann man das sicherlich als eines der wesentlichen unverzeihlichen Verbrechen der katholischen Kirche an der Menschheit sehen.
Auch wenn dies nicht der Bildungsvernichtung, sondern der Vermeidung feudaler Erbstrukturen in der Kirche diente, weil Rom über die römisch-katholische Kirche nur absolut regieren konnte, wenn Bischöfe und Pfarrer ihre Bistümer und Pfarren nicht wie Herzöge und Grafen ihre Güter in der Familie weitergeben konnten.

Durch die Jahrhunderte war es ganz konkret üblich, dass sich Pfarrer in ihrer Gemeinde um heranwachsende Jugendliche, die eine überdurchschnittliche Begabung zeigten, kümmerten, deren Eltern, speziell deren Mütter zu überzeugen trachteten, dass der Sohn für ein geistliches Amt geeignet wäre und es dem Seelenheil der Eltern diente, wenn ein Sohn Geistlicher würde. Heute ist das nicht mehr möglich und darum steigt der katholische Priestermangel in den entwickelten Staaten immer mehr an.

Prof. Sandgruber kommt in seinem Artikel zum Schluss: "Heute hat sich die Situation grundlegend verändert. Der Zölibat behindert zwar nicht mehr die Bildung von Sozialkapital. Er versperrt oder reduziert aber den Priesternachwuchs und zerstört damit indirekt auch ein intaktes Pfarrleben. Die katholischen Gemeinschaften drohen auszurinnen. Der Zölibat ist kein Glaubensgut. Er ist zu einem Glaubwürdigkeitsproblem geworden. Seine Freigabe löst zwar nicht alle Kirchenprobleme. Aber es wäre der erste wirklich sichtbare innerkirchliche Reformschritt, auch wenn er wahrscheinlich schon zu spät kommt."

Wozu man abschließend anmerken kann: die Vernichtung erheblicher Teile der heranreifenden gesellschaftlichen Intelligenz durch dessen Absorption in den Kirchenapparat kann nicht mehr stattfinden. Die Zerstörung des Kirchenapparates durch den Zölibat wäre eine kleine Revanche für das Entsetzliche, das die katholische Kirche mittels Zölibat der geistigen Entwicklung der Gesellschaft angetan hat. Und mit der Aussage, dass "der erste wirklich sichtbare innerkirchliche Reformschritt (..) wahrscheinlich schon zu spät kommt" liegt Dr. Sandgruber sicherlich richtig, das Schrumpfen der Herde der Gläubigen liegt höher als das Schrumpfen der Priesterkaste, weil in den aufgeklärten Gebieten die religiöse Tradierung in den Familien großteils erloschen ist und sich nicht mehr wiederbeleben lässt. Denn inzwischen ist Bildung selbst in katholischen Ländern ein verbreitetes gesellschaftliches Element. Und Wissen war und ist immerzu der machtvolle Gegensatz des Glaubens.