Trachtenverein als Trost

Das bietet allen Ernstes am 3. Mai 2014 Mag. Gerald Mandlbauer, der Chefredakteur der OÖNachrichten seinen Lesern an. Inzwischen haben nämlich sogar schon sehr gut bezahlte Journalisten ein bisschen ein Wissen aus dem realen Leben der Menschen erworben und sie wissen, dass die Stimmung in der Bevölkerung stetig schlechter wird. Was tut man dagegen?

Auch Eugen Freund, ehemaliger sehr gut bezahlter ORF-Journalist und nunmehriger SPÖ-EU-Wahl-Spitzenkandidat, hat erfahren, dass der Durchschnittslohn eines österreichischen Arbeiters nicht - wie er glaubte - bei 3.000 Euro liegt. Vorher hatte er sich als politischer Redakteur darüber keinerlei Gedanken gemacht.

Die Menschen in Europa erleben mit Hilfe der EU die unbeschränkte globale Weltherrschaft des Profits. Es geht nur noch darum, dass mit möglichst wenig Personal, möglichst rasch, möglichst viel produziert wird. Da klarerweise in Ländern wie China oder Indien die Reproduktionskosten für die Arbeiterklasse weitaus niedriger sind als in unseren Breiten, gibt es zwei Möglichkeiten:
1. alles was nicht unbedingt vororts produziert werden muss, wird über die Welt verteilt ausgelagert,
2. die Reproduktionskosten der Arbeiterklasse werden gekürzt.
In der Praxis geschieht beides. Unsere Kleidung, unser Unterhaltungselektronik stammt aus Indien und China, die Lohnkosten werden überall möglichst nach unten gedrückt. Auch ein junger Briefträger verdient weniger als sein älterer Kollege, obwohl seine Arbeit nicht nach Indien ausgelagert werden kann. Aber es geht schließlich nur um die Aktienkurse.

So erlebt der Werktätige in Europa, dass er sich zwar theoretisch monatlich um seinen Nettolohn vier DVD-Recorder kaufen könnte, blöderweise aber nach der Bezahlung der Wohnungsmiete nur Geld für zwei solche Geräte bliebe. Und er kann leider nicht billig in China wohnen, wo billig die billigen Geräte erzeugt werden. Aber er kann ja Überstunden machen! Was heißt "kann", er muss Überstunden machen. Und mit fünfzig sind die Bandscheiben kaputt, aber gearbeitet wird bis 65. Und die EU kümmert sich liebevoll um ihn, er darf keine Glühbirnen mehr verwenden und rauchen nur noch am Scheißhaus.

Wenn man schon ein bisschen älter ist, sich also an die Zeit vor dem EU-Beitritt noch gut erinnern kann, dann weiß man noch: damals hatte das Wort "Reform" die Bedeutung: irgendwas wird besser! Und jetzt hat dieses Wort die Bedeutung: es wird schlechter und nächstes Jahr wird es noch schlechter.

Die EU-Jubler haben uns jahrelang vorgejubelt, wie hochklassig es ist, dass wir an den Grenzen keinen Pass mehr zeigen müssen. Wem dann die Wohnung von passlosen Einbrechern ausgeräumt wurde, müsste sich wohl darüber freuen, dass dadurch Arbeitsplätze in der Justiz geschaffen werden! Und arbeiten dürfen wir jetzt auch in Portugal oder in Finnland! Das war es, was wir ersehnten von der Zukunft Fernen. Ersehnt hatten wir vielleicht durch den EU-Propaganda-Jubel ein besseres Einkommen, gesicherte Spareinlagen, leistbare Wohnungen, einen gut ausgebauten Sozialstaat. Aber das schadet alles der Wirtschaft! Und was der Wirtschaft schadet, das ist des Teufels und dieser Teufel wird von der EU ausgetrieben.

Die EU-Verkünder und Propheten der wunderbaren neoliberalen Globalwelt sehen langsam, dass die Verunglimpfung der EU-Kritik nur noch bedingt wahrgenommen wird und der EU-Glaube nicht zum Ansteigen gebracht werden kann.
Mandlbauer schreibt darum in den OÖN u.a.: "Man kann jene wählen, die die simpelsten Antworten haben. Dummerweise sind diese billigen Rezepte meist falsch. Oder: Man kann sich an Klischees klammern. Diese vereinfachen die Wirklichkeit radikal: Alle Politiker sind unfähig und überbezahlt. Manager sind grundsätzlich gierig. Brüssel ist ein Krake, und überhaupt: In die jetzige Lage haben uns eh nur die Banken gebracht. Diese Einfachmodelle halten sich nicht mit Details auf, sind daher verständlich, doch auch sie stimmen selten."

Der Herr Chefredakteur traut es sich dazu allerdings in der Fortsetzung seines Textes nicht, zu schreiben, Faymann und Spindelegger wären fähige und unterbezahlte Politiker, Manager wären um das Wohlergehen der arbeitenden Menschen besorgt und Brüssel kümmere sich um das Glück der Menschen und nicht der Banken.

Mandlbauer hat eine weit bessere Idee, er schließt seinen Artikel so: "Ein Teil der Gesellschaft wählt den Fluchtweg in eine andere Normalität. Lange Zeit konnte uns die Welt nicht groß genug sein. Jetzt, da sie uns zunehmend überfordert, lernen wir Heimat, Natur, Brauchtum, Traditionen schätzen. Die Familie profitiert von dieser Renaissance der Werte. Die zyklische Wiederkehr der Jahreszeiten, der Gewohnheiten, das alles befriedigt, wenn schon das andere kaum auszuhalten ist. Die Unaufgeregten sind die Glücklicheren, der Garten ist ihre Couch. Das ist zwar kein allgemein zu empfehlendes Rezept für den Umgang mit Politik. Aber glauben Sie, es hilft. In diesem Sinne liefern Ihnen die OÖNachrichten heute erstmals 'Hoamatland' zu Ihrer Zeitung. Dieses Magazin hat sich dem Positiven und Traditionellen verschrieben. Gleichzeitig können wir Ihnen nicht versprechen, dass wir Ihnen die nüchterne Realität künftig vorenthalten werden. Wir müssen, auch das ist gute Zeitung, weiter lästig, kritisch und auch nörgelnd sein."

Und in der "Hoamatland"-Beilage steht dann dieser Einleitungssatz im Vorwort: "Hereinspaziert ins Hoamatland - In einer globalisierten, beschleunigten Welt brauchen wir einen Zufluchtsort, an dem wir uns geborgen fühlen."

Früher hatten die christlichen Religionen verkündet, nach dem Ende irdischen Jammertal-Lebens würden die Mühseligen und Beladenen im Jenseits die Ersten sein. Sowas traut man sich im Hoamatland Oberösterreich heute nimmer zu sagen. Der obige Unsinn ist zwar diesseitig ausgerichtet, aber fast genauso dumm. Trachtenverein statt Widerstand gegen den von den Konzernen und Banken gegen die Beschäftigten und Kunden geführten Klassenkampf.

Unsere Welt hat nur noch einen einzigen Wert: den Profit.

Und alles und alle müssen sich der maßlosen Gier der Superreichen, der Milliardäre und Multimilliardäre unterordnen. Weil die freie Marktwirtschaft bringt allen was: den einen den Profit, den anderen die Arbeit.

Früher gab es eine Massenbewegung, die für die Interessen der arbeitenden Menschen kämpfte.
Mit dem Konkurs der Sowjetunion gingen nicht nur die KPs im Westen auch in Konkurs, sondern ebenso die Sozialdemokratie. Ganz typisches Signal dazu der anfangs erwähnte Eugen Freund: der arbeitende Mensch ist ihm gänzlich fremd, aber er ist der SPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl. Die österreichische Sozialdemokratie hat es zustande gebracht, durch hemmungsloses Spekulieren die Gewerkschaftsbank zu ruinieren und das Vermögen des Gewerkschaftsbundes zu vernichten, sie hat mit Vranitzky und Klima zwei gestandene Neoliberale zu Bundeskanzlern gemacht und danach als Massenverwalter einen Gusenbauer und einen Faymann platziert, die hauptsächlich durch ihre politische Unfähigkeit und ihr ständiges Knien vor der neoliberalen ÖVP Aufsehen erreg(t)en. Ein ÖVP-Nachtlicht wie Spindelegger zieht eine politisch leere SPÖ-Flasche wie den Faymann immer noch über den Tisch.

Weit haben wir es gebracht.

Wenn es so weitergeht, wird es den Menschen irgendwann einmal gänzlich zuviel werden und dann hilft auch ein Trachtenverein der herrschenden Klasse nicht mehr.
Darum als Abschluss: Genosse Ernst Busch singt "Das Lied vom Klassenfeind" (Text: Bert Brecht, Musik: Hanns Eisler). Es dauert zwar zehn Minuten und ist Jahrzehnte alt. Aber sein Inhalt ist und bleibt aktuell...

...denn wir leben in einer Welt des unbarmherzigen Klassenkampfes. Aber er wird nur noch vom Klassenfeind, also nur noch von oben nach unten geführt...