Erstmals
erschien 1968 mit “Das Elend des Christentums” ein kritisches Werk eines promovierten
Theologen, der durch sein Studium zum Atheisten geworden war. Joachim Kahls
Klassiker der modernen Christentumskritik liegt jetzt in einer Neuausgabe für
eine neue Lesergeneration vor:
Joachim Kahl, Das Elend des Christentums
oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott, Tectum-Verlag 2014,
216 Seiten, Preis in Österreich: 18,50 Euro
Fragt
man nach den bedeutsamsten christentums- und kirchenkritischen Bücher der
Nachkriegszeit, so dürfte man direkt nach Karlheinz Deschners “Abermals
krähte der Hahn” Joachim Kahls “Das Elend des Christentums” nennen. Mit
diesem Titel – und dem wichtigen Untertitel – “Plädoyer für eine Humanität
ohne Gott” – erschien 1968 im Rowohlt-Taschenbuchverlag eine Schrift, die bis
Anfang der 1980er Jahre eine Auflage von 120.000 Exemplaren erreichte. Übersetzungen
erschienen in englischer, holländischer, japanischer und italienischer
Sprache.
Ein Grund für diesen Erfolg dürfte mit der persönliche
Hintergrund des Autors gewesen sein: Kahl hatte eine Promotion in protestantischer
Theologie erfolgreich abgeschlossen und war danach aus der Kirche ausgetreten.
Sein "Pamphlet" - er sprach selbst von einer "polemischen Absicht" - sollte
diesen Schritt nachträglich und öffentlich begründen. 1993 erschien
eine Neuausgabe ebenfalls im Rowohlt-Verlag, 2014 fand "Das Elend des Christentums"
im Tectum-Verlag einen neuen Publikationsort.
Er wirbt auf dem Buchcover
mit der Aufschrift "Ein Klassiker der Religionskritik in neuer Auflage".
In der Tat handelt es sich um einen modernen Klassiker in diesem Bereich. Kahl
hat den Text lediglich um ein aktuelles Vorwort und die "Umrahmungen"
aus der vorherigen Neuausgabe ergänzt. Im Haupttext problematisierte er
zunächst, dass Schwierigkeiten zu verbindlichen Aussagen über das
Christentum bestünden, denn: "Die Christen wissen selber nicht, was
christlich ist." Dann widmete Kahl sich der "Realbilanz der Kirchengeschichte"
bezogen auf – so lauten die Kapitelüberschriften - “Die Kirche als Sklavenhalterin",
"Die blutige Verfolgung der Heiden", "Die blutige Verfolgung
der Juden", "Die blutige Verfolgung der Christen untereinander"
und "Die Verteufelung der Sexualität und die Diffamierung der Frauen".
Das Besondere in diesen Ausführungen besteht darin, dass Kahl mit Hinweisen
auf Textpassagen aus dem Neuen Testament einen Kontext von theologischen Grundlagen
und menschenverachtender Praxis deutlich machen konnte.
Dem folgend ging
es um die "Unerkennbarkeit des historischen Jesus", liegen
doch in der Tat über sein Wirken keine aussagekräftigen nicht-theologischen
Quellen vor. Ausführlich thematisierte Kahl danach das "Chaos im
Dogma" anhand der Theologiegeschichte vom Neuen Testament bis in die
seinerzeitige Gegenwart. In dem "Programm der Entmythologisierung"
zeitgenössischer progressiver Theologen erblickte er nur einen romantischen
"Versuch einer Ehrenrettung des christlichen Glaubens". Und
schließlich plädierte Kahl für eine "postchristliche
Perspektive" für die Religionsfreiheit mit seinen Forderungen
nach konsequenter Trennung von Staat und Kirchen, Universität und Kirchen
und Schule und Kirchen. In einem danach erneut abgedruckten Nachwort von 1993
hatte der Autor auch "Leitmotive eines atheistischen Humanismus" formuliert.
Er richte sich gegen jede Form von "Bekehrungseifer", "Erwählungsbewusstsein"
und "Fanatismus" und vermeide "anthropozentrische", "eurozentrische"
und "logozentrische" Sackgassen im Denken.
Dem Tectum-Verlag
kommt das Verdienst zu, einen echten Klassiker der modernen Christentumskritik
erneut zugänglich gemacht zu haben. Die Lektüre eines 1968 erstmals
erschienenen Textes macht an vielen Stellen die bleibende Aktualität seinerzeitiger
Forderungen und Kritik deutlich. Insofern sind auch dieser dritten Ausgabe viele
neue Leser zu wünschen. (..)Im neuen Vorwort macht Kahl dazu interessante
Bemerkungen wie etwa die, wonach er immer eine "humanistische Alternative"
im Kopf gehabt habe und nicht zum “Religionshass” übergegangen sei.
Armin Pfahl-Traughber - Quelle der Rezension: http://hpd.de