Von den nahe gelegenen Teichen kamen sie herbeigehüpft, um das ungeheuerliche Geschehen zu betrachten. „Ich bin die Mutter“ quakte eine Fröschin voller Freude und nahm sich des Winzlings an. Ihr Ehemann schaute zwar etwas betroffen, denn er war ja nicht der Vater, aber er stellte keine weiteren Fragen und fügte sich in sein Schicksal. Frau Fröschin, die aus dem Nachbarteich Nazareth stammte, hatte sofort eine griffige und allgemeinverständliche Erklärung parat, wie es denn zu diesem Wunder gekommen sein könnte, wo doch allen klar war, dass Herr Frosch nicht der Vater sein konnte: „Es war ein Geist, der mich des nachts überkam“. Damals glaubte man so etwas und beließ es dabei, schließlich kursierten viele solcher Stories im Lande. Warum sollte man der Frau also die Freude nehmen?
Der frische Frosch wuchs heran und entwickelte sich prächtig. Seine
Lieblingsbeschäftigung war quaken. Er quakte von früh bis spät und sammelte
viele um sich, die ihm gerne zuhörten, so schön machte er das. Diese Zuhörer
nannten sich Jünger, obwohl sie zumeist viel älter waren als der junge Quaker*.
Er wurde immer bekannter, auch in den Kreisen, die damals das Land beherrschten.
Das waren die Kröten und die sprachen eine ganz andere Sprache als die
heimischen Frösche. Sie waren mit ihrer Sprache und ihrer überlegenen Technik
ins Land der Frösche eingedrungen und hatten diese sehr bald unterjocht. Den
Emporkömmling nannten sie in ihrer „lingua“ Rana. Es lässt sich nicht mehr genau
klären, warum sie die weibliche Form benutzten. Wahrscheinlich lag es daran,
dass der Fremde bei allem Quaken immer sehr sanftmütig daherkam und niemandem
mit guten Ohren etwas zuleide tat. Oder vielleicht war es auch nur eine frühe
krötische Variante von Gender Mainstreaming. Wie auch immer: die Frösche hielten
sich an die Bezeichnung.
*Quaker ist ganz schlicht der Begriff für jemanden, der quakt. Mit einer
ähnlich lautenden Gemeinschaft im fernen Amerika hat er nichts zu tun.
Rana zog dann eines Tages in das Zentrum der Krötenmacht. Einige der Frösche
glaubten, dass dies nun ihr zukünftiger König sei, der sie endlich von der
Herrschaft der Kröten befreien könne. Andere, die Einflussreichen und Gelehrten,
sahen sich in ihrer Kooperation mit den Kröten gestört und betrachteten den
Eindringling als Aufwiegler und Aufrührer. Als Rana keinen Hehl aus seiner
Verachtung für die Kollaborateure machte, riss denen schließlich der
Geduldsfaden. Es kam wie es kommen musste: Sie schwärzten Rana bei den
krötischen Besatzern an. Die waren zwar nicht völlig überzeugt, dass der junge
Quaker wirklich eine Gefahr für das Krötenimperium darstellen könne – aber
endlich willigten sie ein, den Störenfried zu beseitigen. Zu jener Zeit war es
üblich, jede Art von Verbrechern nach krötischem Brauch an ein Kreuz zu nageln,
bis der Delinquent, daran hängend, jämmerlich zu Grunde ging. Das war nicht sehr
nett, aber moderneres Material zur Störenfriedbeseitigung stand eben damals
nicht für Verfügung.
(Anm.:
Bild stammt vom 1997 verstorbenen Künstler Martin Kippenberger, siehe
dazu Wikipedia-Text: Sein 1990 geschaffenes Werk "Zuerst die Füße" – ein ans Kreuz
genagelter grasgrüner Frosch mit Bierkrug und Ei in den Händen – sorgte 2008 für
Aufmerksamkeit. Papst Benedikt XVI. unterstützte den Präsidenten des
Südtiroler Regionalrates, Franz
Pahl, mit einem Brief, dass der gekreuzigte Frosch die religiösen Gefühle
vieler Menschen verletze. Pahl trat in einen Hungerstreik, um das Kunstwerk aus
dem Museum für Moderne Kunst in Bozen entfernen zu lassen. Trotz des Hungerstreiks, Mahnwachen und Leserbriefen bestätigten die Direktorin
des Museums und der Verwaltungsrat ihre Entscheidung, die Skulptur im Museum bis
zum regulären Ausstellungsende zu belassen)
Zur Verhöhnung Ranas brachten die Kröten eine Inschrift auf dem Querbalken
des Kreuzes an – wie oben zu sehen. Für diejenigen, die heutzutage Krötisch nur
unzulänglich oder überhaupt nicht mehr beherrschen sollten: RNRR steht für Rana
Nazarena Regina Ranarum, was etwa so viel heisst wie „Frosch aus Nazareth,
Königin aller Frösche“. Damit wollten sie jegliche Hoffnung der Frösche auf
Widerstand gegen die Kröten endgültig zunichte machen.
Alles verlief zunächst nach Plan, doch dann ging so gut wie alles schief.
Rana starb zwar wie vorgesehen. Doch er dachte gar nicht daran, den Weg ins
Frosch-Jenseits anzutreten. Unvermittelt wachte der Totgeglaubte wieder auf und
hüpfte munter quakend weiter durch die Gegend. Er berichtete von seinen
Begegnungen mit dem spirituellen Vater, dem er seine Existenz verdankte und dass
nun fortan alle Frösche dies zu glauben hätten. Schließlich aber verließ er
seine Jünger. Der Tag des Abschieds wird bis auf den heutigen Tag mit
Biergelagen und bunten Ausflügen gefeiert, seltsamerweise nur von den männlichen
Fröschen. Diejenigen, die dem nun verschwundenen Quaker glaubten, nannten sich
fortan Ranisten und sie verbreiteten die Botschaft Ranas über die ganze
Welt.
Die Existenz der frohen Botschaft dieses Artikels verdanken wir dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er verhindert,
dass nunmehr Ranisten daherkommen können, um den Urhebern solcher Erzählungen
mit unsinnigen Vorwürfen wie „Blasphemie“ oder ähnlichem an die Karre fahren zu
können. Herzlichen Dank, Gerichtshof!
Wenn nun das Gericht noch die Güte hätte, den Koran mit Grimms Märchen auf
eine Stufe zu stellen, wäre auch hier der mögliche Blasphemie-Vorwurf
ausgeräumt.