Change is gonna come

Publiziert am 20. August 2014 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt

Im Englischen bedeutet change sowohl den Wechsel als auch das Wechselgeld (bzw. Kleingeld). Die Frage ist, was kommt denn nun? Kommt der Wechsel in der globalen Finanzpolitik, der die Ungleichheit verringert und der Allgemeinheit einen gerechten Anteil an den Wohlstandsgewinnen bringt? Oder wird sie weiterhin mit Kleingeld abgefunden? (Bild: PublicDomainPictures, pixabay)

Dies Thema ist unerwartet in Bereiche vorgedrungen, die man bisher der Kleingeld-Seite zurechnen konnte. Dem Großkapital wohlgemerkt, das den anderen nur Kleingeld überlässt. In dem wissenbloggt-Artikel Der schwerbeschädigte Kapitalismus wird dargelegt, wie selbst ein Bundesbankvertreter Lohnsteigerungen fordert, um die Kaufkraft des Binnenmarkts zu stärken.

Ähnliches vertritt ZEIT ONLINE in einem Artikel vom 19.8.,  Einkommensverteilung – Die Wall Street entdeckt die Ungerechtigkeit. Demnach warnt die Ratingagentur Standard & Poor's: Zu große Einkommensunterschiede schaden der Wirtschaft. Das verwundert, wo doch Standard & Poor's keinesfalls auf der Seite der Mildtätigen zu suchen ist. Es geht vielmehr um handfeste Geschäftsinteressen.

Im Moment gäben die Amerikaner einfach zu wenig Geld aus, heißt es, der Trend zu schlecht bezahlten Jobs halte an, und die Ungleichheit der Arbeitseinkommen werde wohl noch weiter zunehmen. Das betrifft wieder den Binnenmarkt, dessen Stärkung endlich als förderlich für die gesamte Wirtschaft erkannt wird. Im Teil II des Zeit-Artikels wird erklärt, was die Politik für mehr Gleichheit kann: nachhaltigeres, langfristiges Wachstum fördern und mehr Geld für die Bildung.

Für sozial Denkende ist das nichts Neues, siehe auch den wb-Artikel Philosophie um Sicherheit und Freiheit und Ungleichheit, wo für mehr Durchlässigkeit im sozialen System geworben wird. Noch ein paar Fakten dazu, wie sie am 12.5. in der Süddeutschen Zeitung dargestellt wurden, in Kritik der sozialen Ungleichheit in Deutschland von Hans-Ulrich Wehler (nicht online):
Die Gehälter (mit Boni und Betriebsrenten bei denen, die solche Wohltaten genießen) sind ungleich verteilt, die oberen 20% bekommen 44% vom Ganzen, die nächsten 60% kriegen 49% und die unteren 20% nur 5,6%. Die Vermögen wurden über die Jahre immer ungleicher verteilt, die oberen 10% hatten 1970 immerhin 44% und 2010 schon 66%. Das obere 1% allein hatte 2010 bereits 36% an sich gezogen. Im Jahr 1989 lagen die Top-Gehälter bei 500.000 DM, mit dem Verhältnis 1:20 gegenüber dem Durchschnittsgehalt. 2010 waren es 6.000.000 Euro mit einem Verhältnis von 1:200. Konträr dazu sanken die Kapitalsteuern von den 28% im Jahr 1980 auf 25% im Jahr 2010, und die Arbeitssteuern stiegen von ebenfalls 28% (1980) auf 45% (2010). Bezeichnend ist auch das derzeitige Steuereinkommen, 80% kommen aus Löhnen und MWSt, 12% aus Unternehmens- und Gewinnsteuern.

Die amerikanischen Zahlen sind noch ungleicher (siehe auch Deregulierter Kapitalismus siegt, mit weiteren Links). Mehr dazu auch in Die US-Oligarchie – Neue Studie zur Demokratie in den USA (12.6.). Aussage: die USA sind keine Demokratie mehr, sondern eine Oligarchie, wo die Reichen herrschen.

Weiteres Datenmaterial findet man in der Studie Testing Theories of American Politics: Elites, Interest Groups (9.4.). Demnach zeigen die Analysen, dass die ökonomische Elite und organisierte (Lobby-) Gruppen maßgeblichen Einfluss auf die US-Politik haben, während der breiten Masse praktisch kein Einfluss zugeschrieben wird. Die Theorie, dass die Elite regiere, wird davon gestützt, während der Einfluss der demokratischen Willensbildung de facto unmaßgeblich ist.

Dies dürfte die Grundlage zu dem aktuellen Zeit-Artikel sein, und natürlich die Studie, auf die der Artikel hinweist, How Increasing Income Inequality Is Dampening U.S. Economic Growth, And Possible Ways To Change The Tide (5.8.). Da wird es nochmal ganz deutlich gesagt, die Einkommensgleichheit dämpft das ökonomische Wachstum, und es gibt Wege, das zu ändern.

Exreme Ungleichheit, wie sie jetzt wieder einreißt (vor 100 Jahren war es auch schon so), beeinträchtigt über kurz oder lang die ökonomische Entwicklung. Und die USA erreichen diesen Zustand. Standard & Poor's sieht die Ungleichheit als Bremse für die Langzeitentwicklung. Weil die Gehälter der Akademiker doppelt so hoch sind wie die der Facharbeiter, werden Investitionen in die Bildung als effektiver Weg zu mehr Gleichheit und gesunderen Verhältnissen gesehen – nicht nur für die Betroffenen, sondern für die Staatsökonomie. Wenn die Allgemeinheit bloß ein Jahr länger zur Schule ginge, würden die Produktivitätsgewinne 2,4% mehr Bruttosozialprodukt bringen, spekuliert S&P. Die Firma empfiehlt einen moderaten Ansatz, die Ungleichheit zu reduzieren, doch sie warnt vor extremen Maßnahmen, weil die kontraproduktiv sein könnten.

Die Studie zeigt schöne Diagramme, um ihre Erkenntnisse zu stützen. Das sind Belege für die Notwendigkeit zur Schließung der Einkommensschere, die sich immer weiter öffnet (2011 hatten die reichsten 10% neunmal mehr als die ärmsten 10%, das obere 1% hatte von 2009 bis 2010 ein Plus von 15%, und die unteren 90% nur 1% in derselben Zeit. Die Einkommenskonzentration ganz oben wächst; 2007 waren alle Arten von Einkommen weniger gleich verteilt als 1979.

Dazu verhalf auch der Superstar- und Super-Magager-Effekt, nach dem Motto "the winner takes it all". Die Arbeitseinkommen waren mal 3/4 (1979) vom Gesamteinkommen und sind nun 2/3 (2007). Die Bildung spielt auch eine Rolle, die USA geraten da ins Hintertreffen, weil sie zu wenig Highschool-Absolventen haben. Deshalb soll mehr in die Bildung investiert werden. Auch der Mindestlohn wird als nützlich diskutiert, und sogar Investitionen in das Gesundheitssystem. All das verbessert die Lage, um mehr Amerikaner aus der Armut zu holen, ihnen Kaufkraft zu geben und vor allem das Wachstum zu fördern.

Das Bild, das am Ende gemalt wird: man will doch kein Rettungsboot für einige wenige, umgeben von den vielen, die wassertreten. Da riskiert das Boot, umgekippt zu werden.

Das sind recht schwache Argumente für mehr Gerechtigkeit. Das Wort taucht auch gar nicht auf in den Überlegungen. Es geht ums Wachstum. Ein bitterer Beigeschmack, dass das Wachstum für Gerechtigkeit sorgen sollte, wo es doch so skeptisch diskutiert wird (siehe Wirtschaft ohne Wachstum?). Sollte die ökonomische Logik womöglich doch bessere Argumente in der Hinterhand haben? Dass die Allgemeinheit nicht bloß als Ausbeutungsobjekt gebraucht wird, sondern auch als Träger der Kaufkraft? Dass mehr fürs Wachstum spricht, als gedacht? Mal sehen, ob ein Wechsel kommt, und wie er ausfällt. Mal sehen, ob solche Argumente wie hier die herrschende Kaste in den USA zum Umlenken bewegen können.

Demokratische Willensbildung ist nach den aufgeführten Studien nicht mehr maßgeblich, und das dürfte hierzulande genauso gelten. Also change im Sinn von Wandel, oder change im Sinn von Kleingeld? Oder passiert wieder mal garnix außer Gerede?