Zwei
bezeichnende Absätze daraus:
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges
lagen die Sympathien des Papstes auf Seiten der Doppelmonarchie und seines kirchentreuen
Monarchen. Dem Kardinalstaatssekretär soll er anvertraut haben: "Auf
Kaiser Franz Joseph, der sein ganzes Leben lang dem Heiligen Stuhl gegenüber
loyal und treu ergeben war und der derzeit einen gerechten Krieg führt,
kann ich keinen Druck ausüben." Der bayerische Geschäftsträger
am Heiligen Stuhl hatte schon am 26. Juli 1914 nach München telegraphiert:
"Der Papst billigt ein scharfes Vorgehen Österreichs gegen Serbien."
Wenngleich die Österreicher nie von der Notiz Kenntnis erhielten, gibt
sie Aufschluss über die Gedankenwelt Pius' X.
In einem Gesprächsprotokoll
des österreichischen Gesandten mit dem Kardinalsstaatssekretär vom
27. Juli hieß es fast gleichlautend: "Im Verlaufe der letzten Jahre
hat Seine Heiligkeit mehrmals das Bedauern geäußert, dass Österreich-Ungarn
es unterlassen habe, seinen gefährlichen Nachbarn an der Donau zu 'züchtigen'".
Noch am Todestag des Papstes hatte der Vatikan diese Meldung als "tendenziös"
dementieren lassen. Allerdings hatte auch der russische Gesandte im Vatikan
zur gleichen Zeit an seinen Außenminister telegrafiert, dass Pius X.
in Österreich-Ungarn den letzten "Hort des Katholizismus" sehe
und deshalb auf dessen Seite stehe.
Soweit aus dem "Spiegel". Dass der "Hort des Katholizismus"
1918 unterging, erfuhr Pius X. somit nicht mehr. Das Ende der Großmacht
Österreich-Ungarn war auch das Ende des Habsburgerreiches, das mit Ausnahme
des Aufklärers Joseph II. von strengkatholischen Herrschern als dieser
Hort des Katholizismus erhalten wurde.
Hundert Jahre später ist
der ehemalige Katholikenhort weit in den Säkularismus vorgedrungen.
Es sind nur noch etwas über 62 Prozent der Bevölkerung Mitglieder
der katholischen Kirche. Sicherlich immer noch eine große Anzahl, aber
sich dem Herrschaftsterror dieser Kirche zu entziehen, ging nicht schnell. Seinerzeit
in der Gegenreformation wurden die Österreicher wieder "katholisch
gemacht" und die sich nicht katholisch machen ließen, wurden aus
dem Land vertrieben. Das Pflichtkatholische war daher fest im Volke verwurzelt,
auszutreten oder gar die Kinder nicht taufen zu lassen, war faktisch eine Heldentat.
Ja, in den dörflichen Gemeinschaften bedurfte es schon einer gewissen
Beherztheit, sonntags nicht zur Kirche zu gehen.
Bis 1981 ist durch
Bevölkerungsvermehrung und Zuzug die Zahl der Katholiken in Österreich
sogar noch gestiegen, die Höchstzahl war 6.372.645. Seither ist der
Mitgliederbestand um mehr als eine Million gesunken, von 1995 bis 2013 sind
860.949 ausgetreten. Wenn der Austritt in diesem Schnitt weitergeht, hat die
katholische Kirche 2114 noch knapp 800.000 Mitglieder. Dass jedoch der Mitgliedernachwuchs
(Täuflinge) zunehmend weniger werden und der Sterbeüberschuss massiv
wachsen wird, lässt für die nächsten hundert Jahre ein noch essentielleres
Dahinschwinden der römisch-katholischen Kirche erwarten, die jahrhundertelang
ihre Macht und Herrlichkeit gegen die österreichische Bevölkerung
ausüben konnte.
Papst Pius X. wurde 1954 heiliggesprochen, er
hatte 1910 den für alle Kleriker verpflichtenden Antimodernisteneid eingeführte,
dieser wurde erst 1967 abgeschafft und hat längerfristig mitgeholfen, dem
Volk einen Vorsprung vor der Kirche zu geben. Die katholische Kirche ist
immer noch nicht wirklich in der Moderne angekommen, die Kirchenmitglieder leben
also schon längere Zeit in einer anderen Welt und sehen in kirchlichen
Positionen weit überwiegend nichts mehr, das mit ihrem wirklichen Leben
was zu tun hat.