Schizophrenie kann schön sein. Zumindest muss
man das bei Regierungen wie der deutschen, der amerikanischen oder
britischen vermuten. Deren Truppen treiben sich schon lange ohne
jegliche Legitimation in Afghanistan rum oder auch im Irak. Die
unterstützten - die USA und England mehr, die Deutschen weniger - mit
Waffen und Geld in Libyen oder Syrien Separatisten. Rufen aber laut
"haltet den Dieb", wenn etwas scheinbar Ähnliches von Russland in der
Ukraine betrieben wird. Aber wenn man dann dringlich nach Beweisen für
russische Untaten sucht, dann lagern die ausgewerteten Daten der
Flugschreiber des Flug MH17 der Malaysia Airlines seit Wochen
unveröffentlicht in Holland, die Protokolle des Funkverkehrs zwischen
dem Flughafen Kiew und dem Absturzflugzeug liegen sogar seit Mitte Juli
beim ukrainischen Geheimdienst SBU unter Verschluss, und die neuesten
NATO-Satellitenbilder über russische Truppenbewegungen haben die
Qualität schlechtester Hobby-Fälschungen. Macht nix, sagten die
Steinmeiers im Dienste der USA beim jüngsten Außenminister-Treffen der
EU und diagnostizieren eine "neue Dimension" in der Ost-Ukraine. So ist
es bei Bewusstseins-Spaltungen: Der Balken im eigenen Auge macht die
Splitter im fremden Auge erst so richtig sichtbar.
Nun also noch mehr Sanktionen als zuvor.
Verkündeten die über den faden Schein eines Gedanken erhabenen Lenker
der EU am Wochenende in Brüssel. Fällt jemandem auf, dass hier ein
dringender Wunsch der USA erfüllt wird? Denn das Handelsvolumen der EU
mit Russland ist zehnmal größer als das zwischen den USA und Russland.
Die USA verlieren nichts, wenn sie die Wirtschaftsbeziehung zu Russland
abbrechen. Denn Sanktionen haben zuweilen Bumerang-Charakter: Man will
Putin treffen und hat wenig später das krumme Holz am eigenen Kopf.
Beispiel Deutschland: Russland steht unter den deutschen Handelspartnern
an 11. Stelle. Mehr als 300.000 Arbeitsplätze hängen hierzulande vom
Handel mit Russland ab. Deutsche Unternehmen haben in Russland rund 20
Milliarden Euro direkt investiert. Rund 200 Unternehmen mit deutscher
Beteiligung sind in Russland aktiv. Und vor allem die Automobilindustrie
hat große Pläne. VW-Chef Martin Winterkorn hatte sich schon die Hände
gerieben: "Bis Ende 2018 investieren wir weitere 1,2 Milliarden Euro in
Russland." Und, so ganz nebenbei: Deutschland bezieht 36 Prozent seiner
Öl-Importe und 35 Prozent seiner Gas-Einfuhren aus Russland. Das kann
ein kalter Winter werden, wenn Deutschland und die EU weiter den König
des ukrainischen Gashahns, Petro Poroshenko und seine Milizen in der
Ostukraine unterstützen. "Strafmaßnahmen" wollen die EU-Chefs gegen
Russland verhängen. Als seien sie die Lehrer und Russland der Schüler.
Aber die Lehrer handeln gegen die eigenen, die nationalen Interessen.
Weil der Oberlehrer, der berühmte Experte für Menschenrechte Obama das
so will.
Putin ist nach dem Verständnis der USA dabei,
ein schweres Verbrechen zu begehen, das die Herren Saddam Hussein (Irak)
und Muammar al-Gaddafi (Libyen) bereits Leben und Staat gekostet hat.
Auch die hatten überlegt ihr Öl nicht mehr auf Dollarbasis zu verkaufen.
Nun denkt man Russland darüber nach Gas und Öl künftig in Rubel, Euro
oder der chinesischen Währung Yuan zu handeln. So kann man es in
Zeitungen in Österreich und der Schweiz lesen. In deutschen Zeitungen
kaum: Die sind längst das Papier nicht mehr wert, auf dem sie gedruckt
werden. Da die völlig verschuldeten USA - deren Staatsverschuldung
unvorstellbare 17.556 Milliarden Dollar beträgt - ihre Vormachtstellung
nur halten kann, wenn der Ölpreis weiter an den Dollar gekoppelt ist,
kann sie Putins Ankündigung nur als Kriegserklärung begreifen. Denn nur
wenn der an den Ölpreis gebundene US-Dollar als globale Leitwährung
Bestand hat, kann die USA weiterhin billiges Papier bunt bedrucken,
behaupten es sei echtes Geld. Und damit jene Militärmacht finanzieren,
die in fast jeder Ecke der Welt fast jeden, den sie zum Gegner erklärt,
unterwerfen kann. Da sind Sanktionen, auch wenn sie Europa Geld und
Arbeitsplätze kosten, vergleichsweise harmlose Drohungen.
Manche Drohungen schleichen sich an, sind kaum
merkbar und doch erkennbar. Jüngst in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN
ZEITUNG: Eine Todesanzeige. An sieben Tote der Familie Pagenkopf, die
von zwei Weltkriegen gefressen wurden, wird dort erinnert. Einer der
Pagenkopfs blieb für immer in einer dieser blutigen Schlachten des
Ersten Weltkrieges: Bei Craonne/Aisne. Auf dem Soldatenfriedhof im
Departement Aisne liegen 11.089 deutsche Soldaten und 7.236
französische. Ein anderer der Familie kam aus Witebsk, damals
Sowjetunion, nicht mehr lebend zurück. Der war im Zweitem Weltkrieg ein
Soldat der Wehrmacht. Nach der Eroberung vom eben diesem Witebsk durch
die Deutschen wurde die gute Gelegenheit genutzt, um 15.000 Juden zu
erschiessen. Über den Namen der Traueranzeige steht: "Sie starben für
ihr Vaterland". Es ist wieder möglich, die militärische Mordmaschine des
Kaiser-Reiches und den Vernichtungsapparat des Hitler-Reiches
öffentlich zum Vaterland zu erklären. Schleichend kommt das Vaterland
wieder in Mode. Ja, für ein richtiges Vaterland, da übernimmt man doch
gern Verantwortung. Unverantwortlich jene Redaktion, die einer
Trauer-Ode auf Militarismus und Faschismus einen schwarz umrandeten
Platz einräumt. Einer der gefallenen Pagenkopfs hatte gerade mal sein
Abitur gemacht: Gefallen. Wie niedlich das klingt, als sei der
Abiturient gestolpert.
Ja, man kann auch in Kriege auch reinstolpern.
Wenn man nur lange genug die eigene Propaganda für die Wirklichkeit
hält. Und so schleicht sich, nach neuesten Meldungen, die NATO an
Russland ran. Fünf neue Stützpunkte wird es bald geben: Drei in den
baltischen Staaten, zwei in Polen und Rumänien. Weil die gespenstisch
wirre NATO Russland als "Bedrohung für die euroatlantische Sicherheit"
einstuft. Deutschland wird dabei sein, wenn sich die NATO an Russland
ran robbt. Demnächst könnte dann in Anzeigen stehen: Nach dem Hirntod
der deutschen Regierung ist unser Sohn in Russland verschollen. Das
deutsche Vaterland lässt grüßen.