Die Drehtür dreht sich weiter

Publiziert am 11. September 2014 von Wilfried Müller auf wissenbloggt.de

Die Druckausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 11.9. titelt Schlüsselressorts für London und Paris, um auf die Ernennung vom neuen EU-Wirtschaftskommissar und vom neuen EU-Finanzkommissar einzugehen. Das Wirtschaftsressort wird mit einem französischen Sozialisten besetzt, das Finanzressort mit einem britischen Finanzlobbyisten – doppelt schlechte Aussichten für die zukünftige Politik der EU-Kommission (Bild: Hans, pixabay).

Die Ernennungen sind nicht nur Zugeständnisse an England und Frankreich, denn dass die Länder diese Positionen zugeschustert bekommen, darf man getrost als Geschenk sehen. Es sind aber auch zwei programmatische Aussagen. Einmal wird die Kommission sich für die französische Methode des Schluldenmachens einsetzen, d.h. möglichst viel EU-Geld lockermachen statt zu reformieren. Zum zweiten wird die Finanzpolitik der EU-Kommission von innen heraus lobbygesteuert – dazu unten mehr.

Online liest sich das bei der SZ von heute (11.9.) viel unverfänglicher, Neue EU-Vizepräsidenten – Mit diesen Köpfen will Juncker Politik machen – der Artikel stellt die neuen Vizepräsidenten vor, allerdings nicht die neuen Kommissare für Wirtschaft und Finanzen. Die freundliche Sicht hat Tradition, in Verkennung des Geschehens sah die SZ den neuen EU-Kommissionspräsidenten gar als Reformator EU-Kommissionspräsident Juncker – Brutale Profitgier bedroht Europas Leistungen (16.7.): Der friedliche, faire Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, die Beteiligung aller am Erfolg und eine menschenwürdige Grundsicherung für alle Bürger gehören zu den großen Leistungen Europas. Sie sind in einer Welt maximalen Wettbewerbs und brutaler Profitgier bedroht. Gelingt es Juncker, sie zu verteidigen, lässt sich der Vormarsch nationalistischer, anti-europäischer Gruppen stoppen.

Von innen heraus hört man aus dem EU-Parlament ganz andere Töne. Da heißt es, die Ernennung des Rechtskonservativen Jonathan Hill zum Finanzmarkt-Kommissar sei eine Provokation. Der Mann, der nun für den Posten des EU-Kommissars für Finanzmarktstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmärkte nominiert ist und damit zum Entscheider über die Bankenabwicklungsbehörde der Eurozone gemacht werden soll, stellt ein Problem dar. Er wird ja für die zentralen Themen der Finanzmarkregulierung wie Bankenabwicklung und Regulierung von Finanzprodukten zuständig.

Damit fallen Macht und Verantwortung auseinander, weil Großbritannien sich an der EU-Bankenabwicklung nicht beteiligen wird und über Hill trotzdem Verfügungsgewalt darüber gewinnen soll. Die Stabilität unseres Finanzsystems sollte aber keine politische Handelsware sein und nicht solcherart für Repressalien zur Disposition gestellt werden. Schließlich hat sich die britische Regierung durch zahlreiche Klagen gegen die EU-Finanzmarktpolitik hervorgetan. Der Kandidat ist also denkbar ungeeignet – und außerdem ist er ein Banken-Lobbyist.

Hill ist Mitbegründer der Beratungsfirma 'Quiller Consulting', zu deren Kunden Unternehmen aus der Finanzbranche wie die HSBC gehören. Er hat beste Kontakte zur Londoner City und zur Finanzmarktlobby – und der soll nun an die zentralen Schalthebeln für die zukünftige Finanzmarktregulierung drankommen. Das finden viele unakzeptabel und provokant. Das EU-Parlament wird dem Kandidaten Hill ein schwieriges Hearing im federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Währung bereiten, heißt es. Man ist dort vorgewarnt, nachdem die vorige Vorsitzende Sharon Bowles die Drehtür von ihrem öffentlichen Amt in die Finanzbranche genommen hat, siehe Bäumchen-wechsle-dich – Politiker als Lobbyisten.

Diese Personalien machen klar, dass Juncker seine zweite Chance nutzen will, sich als Reichtumspfleger und Bankenbeglücker zu profilieren. Das hat er ja schon als Premierminister der Steueroase Luxemburg geleistet, siehe auch  EU-Interna – Kampf um Macht und Geld. Ein Eigenzitat daraus:

Was bei dem Hickhack untergeht, ist die Grundfrage des Postengeschiebes: Macht es überhaupt einen Unterschied? Was wäre, wenn es keinen Kommissionspräsidenten usw. gibt, und keiner merkt was? Grundsätzliche Kritik bleibt aber ohnehin aus, dabei hat Juncker Luxemburgs Weg zur Steueroase maßgeblich mitgestaltet.

Kleine Korrektur am Ende: Das bedeutet dreimal schlechte Aussichten, nicht nur zweimal:
zum ersten dürfte die neue Kommission sich für die französische Methode des Schuldenmachens einsetzen, d.h. möglichst viel EU-Geld lockermachen statt zu reformieren
zum zweiten dürfte die Finanzpolitik der EU-Kommission von innen heraus lobbygesteuert werden, weil man den Bock zum Gärtner machen wird
und zum dritten ist die Personalie Juncker wohl ohnehin eine Gewähr für Reichtumspflege und Bankenbeglückung – der EZB-Chef Draghi darf sich auf einen kompetenten Mitstreiter für die Belange der Abzockerelite freuen.