Zeitgleich haben diese Woche das Parlament der EU in Strasbourg und
jenes der Ukraine in Kiew mit großem Pomp ein Assoziierungsabkommen
unterzeichnet. Bilder von den langanhaltendem, nicht enden wollenden
standing ovations gingen um die Welt. In der Tat ein historischer
Augenblick: Wächst da zusammen, was zusammengehört? EU und ukrainische
Junta können nun gemeinsam untergehen und ihre Bevölkerung dabei
mitnehmen. Das unfreiwillig Komische daran: Keine der beiden Seiten kann
sich das leisten.
Um die Bewältigung der finanziellen Folgen dieser Vereinbarung
wenigstens etwas weiter in die Zukunft zu verschieben (ein gern
benutztes Instrument aktueller Politik in der EU und deren
Mitgliedsstaaten), haben Kiew und Brüssel flugs vereinbart, den Beginn
der Assoziierung bis zum 1. Januar 2016 zu verzögern. Das wurde von den
Maidan-Neofaschisten als Verrat Poroschenkos an der »nationalen Sache«
gewertet, weshalb sie versuchten, mal wieder das Parlament zu stürmen.
Doch ohne den Aufschub wären sofort die russischen Zölle für alle Waren
aus der Ukraine auf das Niveau, wie es für die Importe aus dem
EU-Bereich gilt, angehoben worden. Da Rußland nach wie vor der bei
weitem größte Abnehmer ukrainischer Produkte ist (von denen die meisten
im Westen nicht absetzbar wären) hätte das sofortige Inkrafttreten der
Assoziierung die Ukraine zwischen sechs und zehn Milliarden Euro im Jahr
an Exportverlusten gekostet. Spätestens dann wäre der ökonomische und
staatliche Kollaps des trotz westlicher Hilfen bereits wirtschaftlich
und finanziell am Boden liegenden Landes unvermeidlich gewesen.
Aus genau diesem Grund hatte Präsident Wiktor Janukowitsch im November
2013 darauf bestanden, die auch damals schon geplante Assoziierung zu
verschieben. Er wußte, sein Land konnte es sich nicht erlauben, den
sicheren russischen Absatzmarkt für ukrainische Produkte gegen den vagen
Freihandel mit der EU zu tauschen. Nach der Unterschriftsverweigerung
gab es nicht nur einen Aufschrei der Empörung interessierter Kreise.
Auch das vom Westen gesteuerte Maidan-Szenario wurde gestartet.
Aber auch ohne Inkrafttreten des Assoziierungsabkommen sieht sich die
Junta in Kiew mit einer katastrophalen Lage konfrontiert. Laut Londoner
Financial Times (FT), die sich auf einen Bericht der Europäischen Bank
für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) beruft, ist im August fast ein
Viertel (21,4 Prozent) der Industrieproduktion im Vergleich zum
Vorjahresmonat weggebrochen. Nach einer EBRD-Prognose soll die
Wirtschaftsleistung des Landes dieses Jahr um neun Prozent schrumpfen,
weitaus stärker, als der Internationale Währungsfonds IWF im Rahmen
seines 17 Milliarden Dollar schweren »Hilfspakets« angenommen hatte.
Dies lasse starke Zweifel aufkommen, ob Kiew die Kredite für die
Staatsschulden weiter bedienen könne und schürt Bedenken, daß das Land
schließlich zu einem Bankrott und oder einer Umstrukturierung seiner
Schulden gezwungen sein wird«, so die FT.
Bereits Anfang dieser Woche war die Währung der Ukraine auf ein neues
Rekordtief gefallen. Zugleich verurteilte der IWF in einem Brandbrief an
die Junta den »groben Mißbrauch« der Banknotenpresse scharf. Der Fonds
drohte gar, schon zugesagte Tranchen von Hilfskrediten zu kürzen.
Erschwerend kommt hinzu, daß der IWF weitere Kredite davon abhängig
gemacht hat, daß der industriell stark entwickelte Osten des Landes
politisch und wirtschaftlich unter der Kontrolle von Kiew bleibt. Im
Rahmen des zuletzt im belorussischen Minsk ausgehandelten
Waffenstillstandsabkommens wird den aufständischen Ostprovinzen
weitgehende politische, finanzielle und wirtschaftliche Autonomie
eingeräumt. Eine offizielle Reaktion des IWF darauf steht noch aus.
Derweil hat die Bank of America ihre Spekulantenklientel am Dienstag in
einem Rundschreiben alarmiert, daß die Währungsreserven der Junta auf
ein »kritisches Niveau« von 15 Milliarden Dollar gefallen seien. Zudem
sei auch weiterhin mit substantiellen Abwertungen der Griwna zu rechnen.
Seit Anfang des Jahres hat die Landeswährung fast 50 Prozent ihres
Außenwertes verloren, was in den Geschäften zu einer Explosion der
Preise für Importware geführt hat. Wie unter diesen Umständen die Junta
angesichts des bevorstehenden Winters die notwendigen Energieimporte
bezahlen will, steht in den Sternen. Es sei denn, die Regierungen der
EU-Länder, die ihren eigenen Bevölkerungen zur Rettung des Euro rigorose
Ausgabenkürzungen z.B. für Gesundheit, Bildung und Soziales aufzwingen,
greifen ihren Kiewer Brüdern im Geiste großzügig unter die Arme.
Angesichts einer drohenden weiteren Rezession im selbsternannten
»Europa« ist das kaum zu erwarten. Auch die US-Regierung, ohnehin selbst
bis zur Halskrause verschuldet, ist politisch kaum in der Lage und
vermutlich auch nicht erpicht darauf, die Junta finanziell zu retten.
Quelle:
"Junge Welt" vom 20.9.2014