Die TV-Übertragung des Bundestag-Festivals zum 25. Jahrestag des Mauerfalls
begann stilecht mit einem Verhör Gregor Gysis zum Unrechtsstaat: Ob er
denn nicht doch dafür sei, gegen den DDR-Unrechtsstaat zu sein, wollte
der Blockwart von Phoenix-TV wissen und schloss seine Vorab-Inquisition mit
einer Warnung an die LINKEN: Gleich wolle er doch mal sehen, ob die denn auch
die Nationalhymne mitsingen würden. Das würde er ganz genau beobachten!
Leider gab es keine Bilder von den Abgeordneten zur Hymne, und so wissen wir
denn auch nicht, wer nach dem Nicht-Singen auf dem Phoenix-TV-Scheiterhaufen
gelandet sein könnte.
Aber als das Ruhrkohle AG-Aufsichtsratsmitglied
Norbert Lammert, das im Nebenberuf Bundestagspräsident ist, zur Eröffnung
der 25-Jahre-Sitzung aus seinem Zylinder ein altes Karnickel holte, dass sich
umgehend als Drachentöter ausgab, wurde es dann doch lustig. Denn der Sänger
Wolf Biermann, von Lammert für die Feier angeheuert, behauptete fest, er
sei hauptberuflich Drachentöter. Er musste noch vor dem Singen die "Drachenbrut",
er meinte die Linkspartei, mit seiner eingelegten Lanze anpöbeln. Die sei
doch einfach reaktionär. Der Drachentöter Sankt Georg hat in der katholischen
Mythologie nicht nur eine Jungfrau befreit. Das soll dem Biermann mit den Jahren
auch bei einigen Jungfrauen geglückt sein. Der Heilige Georg hatte anschliessend
außerdem eine Massentaufe unter den Heiden angerichtet. Genau das versucht
Biermann schon lange. Doch die meisten LINKEN blieben bisher hartnäckig
ungläubig. Es muss eine völlig untaugliche, christliche Marinade
gewesen sein, in die der Barde seine Zwangstaufen-Lanze eingelegt hatte.
Lammert
hält sich für einen Fuchs. Hatte er doch zum Jahrestag des DDR-Endes
eine große Auswahl unter den DDR-Oppositionellen gehabt, die zu diesem
Anlass hätten reden können. So zum Beispiel den Pfarrer Schorlemmer,
der 1968 bereits gegen die Ereignisse in der CSSR opponierte, als Biermann sich
noch als Sozialist verstand und bei Margot Honecker ein und aus ging. Aber Friedrich
Schorlemmer hätte nachdenkliche Töne angeschlagen. Nachdenken sollten
die Abgeordneten aber nicht, sie sollten mit Biermann den Sieg der alten Bundesrepublik
über die DDR feiern. Der kundige LINKEN-Abgeordnete Diether Dehm hatte
dem Sänger vorab vorgeschlagen, er solle doch so ein schönes seiner
alten Lieder singen wie "So oder so, die Erde wird rot". Oder auch
das von den Soldaten in grauer Norm vortragen, die sich alle gleich sind. Dieses
alte Lied passe doch gut zu den neuen deutschen Auslandseinsätzen. Das
mochte Biermann aber nun wirklich nicht.
So nahm denn das Festival weiter
seinen Lauf: Die GRÜNEN redeten über die Freiheit. Auch die CDU und
sogar die CSU nahmen das Wort in den Mund. Einzig die SPD-Abgeordnete Iris Gleicke
mochte daran erinnern, dass die Mauer auch ein Ergebnis von Faschismus und Krieg
war. Und nur Gregor Gysi war es zu verdanken, die vorhandene Mauer zwischen
den Armen und den Reichen auf die Bundestagsbühne gebracht zu haben.
Und nur er mochte in Erinnerung bringen, dass weder die DDR noch die alte Bundesrepublik
in den Jahren ihres Bestehens jemals Krieg geführt hatten.
Hätte
aber jemand gesagt, dass der Mauerbau, die Zweiteilung der Welt faktisch schon
mit dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki begonnen hatte.
Und dass die Blockspaltung mit einem Kriegsverbrechen der USA begann, das nur
die Sowjetunion von einem weiteren Vorrücken in Fernost abschrecken sollte
und so die Anti-Hitler-Koalition der Alliierten aufkündigte, diese schlichte
Wahrheit auszusprechen hätte das Bundestags-Festival zum Ende der DDR vielleicht
zu Erkenntnissen führen können. Statt also die Mauer als ein schreckliches
Ergebnis der Zweiteilung der Welt zu werten, durfte irgendeiner von der CDU
darüber fantasieren, dass es eine Verleumdung sei, wenn man in der Kiewer
Regierung Faschisten feststelle. Dass der Mann tapfer auf der Seite neuer Mauer-Projektierer
an der ukrainisch-russischen Grenze jubelte: Geschenkt.
So wurde dann
Wolf Biermann mit seinem Lied "Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit" von Phoenix-TV in der Umbaupause noch mal gespielt.
Schließlich haben die Zuschauer doch Gebühren gezahlt! Dass die
Zeiten tatsächlich härter werden, dass die alte Block-Konfrontation
in neuem Gewand wiedergekehrt ist und dass, wer jetzt Sanktions-Härte zeigt,
nur dem nächsten Krieg näher kommt, diesen Erkenntnisgewinn mochte
man den Zuschauern nicht zumuten.