Während sich das offizielle Österreich infolge der Pariser Anschläge
kämpferisch zeigt und beteuert, das Recht auf Meinungsfreiheit kompromisslos
verteidigen zu wollen, präsentiert die gelebte Realität in Österreich
ein ganz anderes Bild. Wie jüngst bekannt wurde, ist kurz vor Weihnachten
ein Philosophielehrer in einem Salzburger Gymnasium, kurz vor seiner Pensionierung,
als Klassenlehrer in eine andere Klasse versetzt worden. Ihm wird unter anderem
vorgeworfen, dass er, ausgehend vom berühmten "Theodizeeproblem",
die Existenz eines Gottes bezweifelte bzw. dass er seine atheistische Überzeugung
im Rahmen des Unterrichts "überproportional" vertrat. Eine
Handvoll Eltern, die sich gegen religionskritische Äußerungen des
Lehrers beschwerten, blitzten anfangs ab. Während die Schuldirektion zu
den Vorwürfen keine Stellung bezog, stellte sich der Landesschulinspektor
hinter den Lehrer.
Ein paar Tage später kam es jedoch zu einer
überraschenden Wende: der Lehrer wurde von seiner Klasse, die demnächst
maturieren wird, abgesetzt und in eine andere versetzt. Gleichzeitig musste
eine Kollegin aus ihrer Klasse, in der sie Psychologie unterrichtete, im Tausch
in die 8. Klasse wechseln. "Mir wurde bisher nicht mitgeteilt, gegen welche
Vorschrift ich im Rahmen meines Unterrichts verstoßen habe. Von der Eröffnung
eines Disziplinarverfahrens zur Begründung der Versetzung ist mir bisher
auch nichts bekannt geworden. Als Philosophielehrer ist es meine Pflicht, auch
Religionskritik in meinen Unterricht einfließen zu lassen. Offensichtlich
dürfen im Rahmen des Unterrichts in dieser Klasse aber ausschließlich
pro-religiöse Ansichten vertreten werden" meint der Lehrer, der die
Weisung befolgen musste.
"Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde
ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen
Frage nicht zu erwarten ist" - so die Argumentation des Österreichischen
Verfassungsgerichtshofes (VfGH) in seinem jüngst ergangenen Beschluss (kein
Urteil!) zum systematischen Missbrauch des Musik- und Rechenunterrichts in der
Volksschule Atzenbrugg-Heiligeneich (Bez. Tulln) für die Vorbereitung der
katholischen Kinder auf die Erstkommunion. Ergänzend präzisiert der
VfGH: "Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden
Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des
einfachen Gesetzes."
Die Weigerung des VfGH sich mit dem Fall
inhaltlich auseinanderzusetzen folgte einem ähnlichen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts.
Dieser wies eine entsprechende Maßnahmenbeschwerde im September 2014 "als
unzulässig" zurück. Um den Bogen zu schließen trat der
VfGH die Beschwerde nun an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ab. "Die
Beschwerdeführer werden die Entscheidung des VwGH abwarten um gegebenenfalls
den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen" gab
Eytan Reif, Sprecher der "Initiative Religion ist Privatsache", die
das Verfahren von Anbeginn begleitet, bekannt.
Nicht nur den jüngsten
Beschluss sondern auch das sich ergebende Gesamtbild betrachtet Reif als äußerst
bedenklich: "Das Erstkommunionsverfahren, das langsam aber sicher zu
einem Justizskandal wird, veranschaulicht zunehmend, dass in Österreich
Kircheninteressen gegenüber der Rechtstaatlichkeit und Meinungsfreiheit
den Vorrang haben. Hier wird aber mit zweierlei Maß gemessen. Während
Religionszwang in Niederösterreich gerichtlich akzeptiert wird, wird Religionskritik
in Salzburg bestraft. Solange aber die Europäische Menschenrechtskonvention
in Österreich Verfassungsrang genießt, haben Erstkommunionsvorbereitungen
im Musik- und Rechenunterricht zu unterbleiben und religionskritische Inhalte
im Rahmen des Philosophieunterrichts haben geduldet zu werden. Religionsfreiheit
darf nämlich keine Einbahnstraße sein.