Religionszwang ja, Religionskritik nein

Das titelte am 16.01.2015 die Initiative Religion ist Privatsache zum Thema Meinungsfreiheit in der Schule:

Während sich das offizielle Österreich infolge der Pariser Anschläge kämpferisch zeigt und beteuert, das Recht auf Meinungsfreiheit kompromisslos verteidigen zu wollen, präsentiert die gelebte Realität in Österreich ein ganz anderes Bild. Wie jüngst bekannt wurde, ist kurz vor Weihnachten ein Philosophielehrer in einem Salzburger Gymnasium, kurz vor seiner Pensionierung, als Klassenlehrer in eine andere Klasse versetzt worden. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, dass er, ausgehend vom berühmten "Theodizeeproblem", die Existenz eines Gottes bezweifelte bzw. dass er seine atheistische Überzeugung im Rahmen des Unterrichts "überproportional" vertrat. Eine Handvoll Eltern, die sich gegen religionskritische Äußerungen des Lehrers beschwerten, blitzten anfangs ab. Während die Schuldirektion zu den Vorwürfen keine Stellung bezog, stellte sich der Landesschulinspektor hinter den Lehrer.

Ein paar Tage später kam es jedoch zu einer überraschenden Wende: der Lehrer wurde von seiner Klasse, die demnächst maturieren wird, abgesetzt und in eine andere versetzt. Gleichzeitig musste eine Kollegin aus ihrer Klasse, in der sie Psychologie unterrichtete, im Tausch in die 8. Klasse wechseln. "Mir wurde bisher nicht mitgeteilt, gegen welche Vorschrift ich im Rahmen meines Unterrichts verstoßen habe. Von der Eröffnung eines Disziplinarverfahrens zur Begründung der Versetzung ist mir bisher auch nichts bekannt geworden. Als Philosophielehrer ist es meine Pflicht, auch Religionskritik in meinen Unterricht einfließen zu lassen. Offensichtlich dürfen im Rahmen des Unterrichts in dieser Klasse aber ausschließlich pro-religiöse Ansichten vertreten werden" meint der Lehrer, der die Weisung befolgen musste.

Während Religionskritik in einer Schule verboten ist, wird in einer anderen Schule Religionszwang, behördlich sowie gerichtlich, zugelassen.

"Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist" - so die Argumentation des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH) in seinem jüngst ergangenen Beschluss (kein Urteil!) zum systematischen Missbrauch des Musik- und Rechenunterrichts in der Volksschule Atzenbrugg-Heiligeneich (Bez. Tulln) für die Vorbereitung der katholischen Kinder auf die Erstkommunion. Ergänzend präzisiert der VfGH: "Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes."

Die Weigerung des VfGH sich mit dem Fall inhaltlich auseinanderzusetzen folgte einem ähnlichen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts. Dieser wies eine entsprechende Maßnahmenbeschwerde im September 2014 "als unzulässig" zurück. Um den Bogen zu schließen trat der VfGH die Beschwerde nun an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ab. "Die Beschwerdeführer werden die Entscheidung des VwGH abwarten um gegebenenfalls den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen" gab Eytan Reif, Sprecher der "Initiative Religion ist Privatsache", die das Verfahren von Anbeginn begleitet, bekannt.

Nicht nur den jüngsten Beschluss sondern auch das sich ergebende Gesamtbild betrachtet Reif als äußerst bedenklich: "Das Erstkommunionsverfahren, das langsam aber sicher zu einem Justizskandal wird, veranschaulicht zunehmend, dass in Österreich Kircheninteressen gegenüber der Rechtstaatlichkeit und Meinungsfreiheit den Vorrang haben. Hier wird aber mit zweierlei Maß gemessen. Während Religionszwang in Niederösterreich gerichtlich akzeptiert wird, wird Religionskritik in Salzburg bestraft. Solange aber die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich Verfassungsrang genießt, haben Erstkommunionsvorbereitungen im Musik- und Rechenunterricht zu unterbleiben und religionskritische Inhalte im Rahmen des Philosophieunterrichts haben geduldet zu werden. Religionsfreiheit darf nämlich keine Einbahnstraße sein.