Der Titel ist bei Frank Berghaus geklaut, der unter Islamisierung
I und II über Risiken und Nebenwirkungen der sogenannten Islamisierung
geschrieben hat. Am 6.2. (aktualisiert 9.2.) hat ZEIT ONLINE ein
Interview mit dem Ökonomen Paul Collier gebracht, in dem der Interviewer
Philip Faigle ihm bedenkenswerte Antworten zu Fragen der Integration
abverlangte.
Der lesenswerte dreiteilige Artikel heißt etwas reißerisch Migration "Wir reichen den Menschen den geladenen Revolver" (Bild: stevepb, pixabay). Inhaltlich geht es aber sachlich zu.
Der Oxford-Professor kann in seiner unaufgeregten Art Dinge
aussprechen, die woanders zu heftigen Reaktionen führen würden. Er warnt
vor falschen Tabus, und er findet Misstrauen gegen Migranten normal.
Zugleich sagt er, dass Europas Migrationspolitik tötet. Ausgewogenheit
auf allen Ebenen. Hier ein kurzes Referat über die inhaltlichen
Schwerpunkte:
Bürgerprotest
Der Einstieg geht über Pegida, den Bürgerprotest gegen die
"Islamisierung des Abendlandes". Die ausgewogene Antwort heißt, der dort
geäußerte Hass sei unentschuldbar, man müsse sich aber mehr Mühe geben,
solche extremen Bewegungen zu verstehen, zumal sie auch in anderen
Ländern aufkommen.
Die Studien des Professors legen als Ursache nahe, dass die Politiker
der Mitte es versäumt haben, das Thema Migrationspolitik zu besetzen. Es
sei ein vertrauter Befund der akademischen Forschung, dass Menschen
überall beunruhigt sind, wenn sich ihre vertraute gesellschaftliche
Umgebung durch Einwanderung ändere. Nicht die Migration selbst
verursache die Sorgen, sondern das Totschweigen des Themas durch die
Politik.
Die Debatte sei emotional, lächerlich und polarisiert, weil sie in der Frage gipfelt, ist Einwanderung gut oder schlecht?
Die einen seien bedingungslos für mehr Einwanderung, die anderen
lehnen sie pauschal ab. Die richtige und entscheidende Frage sei
dagegen, wie viel Migration ist für alle am besten?
Wie viel Migration?
Das sei die wesentliche Frage für die reichen Länder, in die gewandert
wird, und auch für die Herkunftsländer. Maßgeblich seien auch nicht die
ökonomischen Folgen der Einwanderung, sondern die sozialen Folgen.
Und
hier kommt die wesentliche Differenzierung:
Ein gewisses Maß an kultureller Verschiedenheit nutze einer
Gesellschaft, weil die Migranten Innovation und Abwechslung bringen.
Wenn die Gesellschaften zu ungleich werden, können aber negative Folgen
eintreten. Je verschiedener die Gesellschaft zusammengesetzt ist, desto
schwieriger werde die Kooperation innerhalb von solchen Systemen,
darüber seien sich die Forscher einig.
Zu viel Migration könne daher schädlich sein, so Collier. Das wirke
sich dann negativ auf die Großzügigkeit gegenüber den Bedürftigen aus,
wie sie in den europäischen Gesellschaften herrscht. Ein zu hohes Maß an
Migration senke die Bereitschaft von Gesellschaften, großzügige
Sozialleistungen zu gewähren, wie zahlreiche Studien belegten. Die
Gesellschaften sollten darüber verhandeln, welches Maß angemessen ist.
Die Politik sollte zwischen den aufgeschlossenen Jungen und den eher
misstrauischen Alten vermitteln.
Zwei Seiten
Das pauschale Argument, Deutschland müsse aus demografischen Gründen
mehr Zuwanderung haben, hält Collier für einen "bizarren Irrtum".
Immigration könne nicht die erste Wahl sein, um solch ein dauerhaftes
Problem wie das demografische zu lösen. Man sollte anders anfangen, die
Bevölkerung zu stabilisieren.
Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Migration neben den
Schwierigkeiten in unseren eigenen Ländern auch in den Herhunftsländern
Probleme verursache. Dort entstehe ein Verlust, wenn sich talentierte
Menschen auf die Reise machen, die zuhause als Motor von Fortschritt und
Entwicklung dienen können. Das verzögere oft die Fähigkeit dieser
Länder, zu den reicheren Ländern der Welt aufzuschließen.
Das rechtfertige die Aussage, wir lebten auf Kosten dieser Länder. Nur
ein Land hindere seine Einwohner an der Ausreise, nämlich Nordkorea.
Für alle anderen Länder sei unsere Migrationspolitik von Bedeutung, wir
entscheiden dadurch auch über das Wohlergehen dieser Staaten.
Das Argument, die Immigranten würden viel Geld zurücküberweisen, hält
Collier für "etwas gedankenfaul". Es kämen ja weniger die Bedürftigen zu
uns, sondern Menschen mit vergleichsweise guter Ausbildung und ein
wenig Geld. Auch in den Herkunftsländern sei das eine Frage des
richtigen Maßes. Da könne die Auswanderung positive Effekte haben, bis
es zuviel wird, und dann nähmen diese Länder Schaden.
Die offene Tür
Tatsächlich sei dieser Punkt in vielen armen Ländern schon
überschritten. Diese Länder erlebten einen Exodus. Das Paradox sei die
Entwicklungshilfe auf der einen Seite und die schädliche
Migrationspolitik auf der anderen Seite. Aber können die reichen Länder
überhaupt beeinflussen, wer sich auf die Reise macht?
Hier redet Collier Klartext, wir sollten nicht aufhören, die Einwanderung zu steuern.
Auf die Schwierigkeiten bei der Zuzugskontrolle hinzuweisen sei ein
unehrliches Argument. Nach Umfragen sei zu erwarten, dass rund 40% der
Einwohner ärmerer Länder gerne im reichen Teil der Erde leben wollten.
Würde also Deutschland seine Tore aufmachen, würden diese Leute
irgendwann kommen, deshalb sei die offene Tür ist keine Option.
Der Interviewer fragt nochmal nach, ob das so sicher sei. Collier gibt
darauf zurück, dass es zwei entscheidende Faktoren für die weltweite
Migration gebe. Das seien die Einkommenskluft zwischen den Staaten und
die Größe der jeweiligen Diaspora ("Verstreutheit") in den
Zuwanderungsländern.
Nun sei die Schere zwischen den reichen und armen Ländern der Erde in
den vergangenen Jahrzehnten aufgegangen, was die Migration beschleunige.
Auch durch die Diaspora werde die Zuwanderung weiter angetrieben.
Irgendwann später mag sich die Situation ändern, aber bis dahin seien
Einwanderungskontrollen kein Relikt aus rassistischen Zeiten, sondern
ein absolut notwendiges Instrument.
Tödliche Politik
Auch wenn die Abriegelung der Grenzen so schreckliche Folgen hat wie im
Mittelmeer, wo Tausende ertranken? Heißt das nicht, dass unsere
Grenzpolitik Menschen tötet? Ja, sagt Collier, unsere Politik sei
tödlich, denn wir machten den Menschen falsche Hoffnungen. Warum setze
sich denn jemand in ein Boot und riskiere sein Leben?
Einmal natürlich, weil er 4.000 Dollar für die Schlepper aufgetrieben
habe und bereit sei, ein Risiko einzugehen. Zum anderen, weil er weiß,
er bekommt viel mehr Rechte, sobald er bis zum Strand von Lampedusa
geschafft hat. Dieses unausgesprochene Versprechen locke die Menschen in
die Boote, mit der Konsequenz, dass mittlerweile 17.000 Menschen
gestorben sind.
Das führt zu dem Revolver-Spruch: Wir drücken den Menschen den geladenen Revolver in die Hand und sagen: Komm, spiel Russisch Roulette. Das
sei keine moralisch robuste Position, sagt Collier, und nebenbei
förderten wir eine kriminelle Industrie, die sich auf die Schlepperei
von Flüchtlingen spezialisiert hat.
Alternative
Als Alternative müssten wir zuerst dafür sorgen, dass die wirklich
Bedürftigen kommen, und dazu müsse das Asylverfahren dorthin verlagert
werden, wo die Reise beginnt, also außerhalb Europas. Wer dort Asyl
erhalte, solle auf legalem Weg kommen dürfen.
Aber wenn in den Flüchtlingscamps Hunderttausende in Not seien, wie
soll dann entschieden werden, wer Asyl bekommt und wer nicht? Auf diese
schwierige Frage stellt Collier die Gegenfrage: Wie wird es denn heute
entscheiden ? Diejenigen werden belohnt, die 4.000 Dollar
zusammenbekommen und genug risikobereit sind. Aber diese Leute seien
nicht unbedingt diejenigen, die unsere Hilfe am ehesten benötigen, eher
seien sie die Gewinner einer Lotterie, quasi nur die Spitze des
Eisberges.
Darin sieht Collier ein Grundproblem unserer Politik. Wir müssten uns
mehr um die Menschen kümmern, die zurückbleiben. Und wie das möglich
sein soll? Collier schweben dazu kleine Fabriken vor, die für den
Weltmarkt produzieren, und die Know-How ins Land bringen. Wenn der
Westen dafür seine Handelsregeln ändern würde, könnte er den Menschen
in diesen Ländern langfristig helfen – soweit das Interview.
Wie real ist das?
Ob dieser Hilfsansatz in Ländern Erfolg haben kann, wo Anarchie oder
Kleptokratie herrscht? Richtig erscheint der Gedanke, dass vor Ort
gehandelt werden muss. Die schlechten Regime müssen zur Besserung
gezwungen werden, damit der Anreiz geschaffen wird, zuhause erfolgreich
zu werden. Aber wer enrtscheidet, was schlecht ist? Und was für
Sanktionsmaßnahmen sollen ergriffen werden? Einmischungen von außen
werden oft in Hass gegen den Einmischer umgesetzt.
Wenn man in den Steueroasen ansetzen könnte und den Kleptokraten das
gestohlene Geld abnehmen könnte, wäre schon viel gewonnen. Da stellt
sich aber erst recht die Frage, wie real ist das? In den
letzten 30 Jahren haben nur die Steuerbehörden der USA durchgegriffen,
und im Wesentlichen nur in der Schweiz. Alle anderen Erfolge kommen von
Leaks und Steuer-CDs. Das besagt nix Gutes für die Chancen zur
Besserung.
Links dazu:
Islam und der Westen im Krieg
Verrücktheiten um Islam und Islamkritik
Rechte Mitte
Risiko und Chance der Massenmigration