Religionsfreiheit in zwei Varianten

Am 13.3.2015 hat das deutsche Bundesverfassungsgericht entschieden, dass pauschale Kopftuchverbote für muslimische Lehrerinnen das Recht auf Religionsfreiheit verletze, es müsse von Fall zu Fall entschieden werden, "vom Tragen eines islamischen Kopftuchs geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus".
Wozu man Alice Schwarzer zitieren kann:
"Das Kopftuch ist seit dem Sieg Khomeinis im Iran 1979 weltweit die Flagge der Islamisten. Wir dürfen nicht länger wegsehen, wir müssen hinsehen, genau hinsehen".
Das deutsche Verfassungsgericht legte nun fest, dass die "Flagge der Islamisten" durch die deutsche Verfassung (Religionsfreiheit) geschützt ist.

Das war die eine Variante, am 13.3.2015 war auf Site "Institut für Islamfragen" folgende Meldung zu finden:

International Union of Muslim Scholars (IUMS) verlangt Gesetz zum Verbot der "Verächtlichmachung der Religionen"

IUMS findet kein selbstkritisches Wort anlässlich der Anschläge und befindet stattdessen, dass Zeichnungen "zu Hass anstacheln"
Die International Union of Muslim Scholars in Qatar, die von dem einflussreichen Geistlichen Dr. Yusuf al-Qaradawi (88) geleitet wird, hat die UN nach den Angriffen auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo gedrängt, "die Verächtlichmachung der Religionen" für illegal zu erklären. Die Propheten müssten geschützt werden. Die internationale Organisation hat die islamischen Staaten aufgefordert, einen Gesetzentwurf zu erstellen, der die Verleugnung und Verächtlichmachung der Religionen kriminalisiert und für ungesetzlich erklärt. Die International Union of Muslim Scholars hat die erste Ausgabe des Satiremagazins nach den Angriffen in Paris mit der Karikatur des Propheten Muhammads, der ein Zeichen "Je suis Charlie" unter der Überschrift "Alles ist vergeben" hochhält, verdammt. Sie behauptet, diese erneute Zeichnung würde der Idee "Glaubwürdigkeit" verleihen, dass der Westen gegen den Islam sei, und warnte davor, dass diese Zeichnung zu weiterem Hass anstacheln würde.

Soweit der Text vom "Institut für Islamfragen"

Die Aussendung der Internationalen Union Muslimischer Gelehrter stammte schon vom 21. Jänner, ist aber bloß die Wiederholung des ständig von der OIC, der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, geforderten Islamkritikverbotes, also der islamischen Variante der Religions"freiheit".

Nochmal Alice Schwarzer, sie sieht im in Europa weit verbreiteten Unbehagen gegenüber dem Islam: "Das Unbehagen an den Gottesstaaten und ihren Steinigungen und Selbstmordattentaten. Das Unbehagen an der (Zwangs-)Verschleierung von Frauen sogar mitten in Europa. Das Unbehagen an der Zwangsverheiratung von hierzulande aufgewachsenen Töchtern und Söhnen. Das Unbehagen an der statistisch nachweisbaren höheren Gewalt in traditionellen muslimischen Familien. Das Unbehagen an der Relativierung von Emanzipation und Rechtsstaat, ja der ganzen Demokratie - und das im Namen 'anderer Sitten' und eines 'wahren Glaubens'. Kurzum: Die Sorge um die in den letzten 200 Jahren so mühsam und blutig erkämpften Menschenrechte im Westen."

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat jetzt zaghaften Versuchen, der Institutionalisierung der "Flagge der Islamisten" zu begegnen, ein Ende gesetzt. Und in den Schulen werden sich Schülerinnen mit Islamhintergrund hinkünftig noch weniger trauen, die "Flagge der Islamisten" nicht tagtäglich zu zeigen. Das Urteil gibt einer mittelalterlich-reaktionären Ideologie noch größere Freiheit und beschädigt damit durch völlige richterliche Gedankenlosigkeit die europäische Aufklärung. Die Freiheit des Islam wird größer, die individuelle Freiheit wird kleiner, aus Religionsfreiheit wird partiell eine Verschärfung von religiösen Pflichten.

Konkret gibt es dazu Aussagen von Leuten, die es wissen müssen:
Heinz Buschkowsky, der scheidende SPD-Bürgermeister des sehr islamisch geprägten Berliner Bezirks Neukölln: "Ich empfinde das Urteil als Katastrophe". Das Bundesverfassungsgericht stelle die Religionsfreiheit Einzelner über das staatliche Gebot wertneutralen Handelns. "Ich halte das für ein Zurückweichen, für die Preisgabe eines elementaren Bausteins unserer Gesellschaft". Das Urteil erschwere den Kampf gegen religiösen Fundamentalismus. Seine designierte Nachfolgerin, Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD), äußerte, in Neukölln gebe es jetzt schon "Ethnienhierarchien zwischen einzelnen Schülergruppen" und Konflikte bei der Frage, wie sich Mädchen religiös korrekt zu verhalten hätten. In dieser Situation sei es von großer Bedeutung, dass Lehrer sich weltanschaulich neutral verhielten.

Im Internet kursiert folgende Richterkarikatur:


...und die praktischen Folgen lassen sich so darstellen:

das linke Bild zeigte als "vorher / nachher" in welche Richtung die europäische Aufklärung in Sachen Migration eigentlich wirken sollte. Das Bild rechts zeigt, wohin der vorher-nachher-Weg mit zunehmender Schärfe geht.

Die Religionsfreiheit gibt es eben in zwei Varianten:
in der Variante, Religionen jedwede Freiheit zu geben,
in der Variante, den Menschen religiöse Freiheit zu geben.