Das darf der Grieche nicht: Über sein Schicksal selbst entscheiden.
Schon 2011 wollte Georgios Papandreou das Volk über das EU-Bankenrettungs-Paket
abstimmen lassen. Das haben ihm Merkel und Sarkozy damals schleunigst verboten.
Jetzt wagt es die Regierung Tsipras erneut: Mit einem Referendum will sie das
Volk befragen. Ob Griechenland zugunsten der Banken weiter hungern soll. Ob
das Land weiter ins Bodenlose sparen muss. Ob es unter dem Merkel-Diktat demütig
darben, oder aufrecht den Weg der Vernunft gehen will.
Deutsche Medien
wissen, dass dem Griechen der Luxus einer eigenen Meinung nicht zusteht:
"Griechenland erpresst Europa!", rülpst die BILD-Zeitung des
Referendums wegen in die deutsche Stammtisch-Runde. DIE WELT weiß "Wie
Alexis Tsipras sich als Feigling entlarvt". Nie würde Angela Merkel
feige das eigene Volk befragen. Es könnte ja auf eine echte Frage ehrlich
antworten. Die DEUTSCHE WELLE lässt einen "Experten" erklären,
dass Tsipras sein Land "stalinisieren" will. Die Diktatur beginnt
für die besonders deutsche Welle offenkundig immer mit einer Volksabstimmung.
Empört fragt die demokratisch getünchte ZEIT: "Referendum, was
soll das nun wieder?" und lässt sich vom SPIEGEL, dem Gossenblatt
für Halbgebildete, gern assistieren: "Ja, sie nerven, die Griechen."
Das
moderne Griechenland hat in seiner Geschichte die Herrschenden schon häufiger
genervt. Hatte doch die britische Regierung am Ende des Zweiten Weltkrieges
entschieden, dass die Griechen nach ihrer Selbstbefreiung vom deutschen Faschismus
gefälligst die Monarchie wieder einführen sollten. Angeführt
von Georgios II. aus dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg.
Der stützte sich auf die äußerste Rechte in Griechenland, die
sich durch die Kollaboration mit den abziehenden deutschen Nazis handfeste Vorteile
erhofft hatte. Die griechische Volksbewegung und deren Partisanen-Armee verlangten
deshalb bereits 1944 eine Volksabstimmung über die Staatsform.
Und
schon früher wussten die Vertreter der Londoner City, was von Volksabstimmungen
zu halten war: Nichts. Deshalb forcierte die britische Regierung unter Winston
Churchill den beginnenden Bürgerkrieg in Griechenland: Rund 5.000 britische
Soldaten unter General Ronald Scobie bekämpften die Partisanen, die sich
gegen eine von London eingesetzte Monarchie wehrten und das Volk über seine
Regierungsform selbst entscheiden lassen wollten. Erst nach einem langen, blutigen
Bürgerkrieg durfte dann eine Volksabstimmung abgehalten werden: Tausende
Tote und Verhaftete schufen die Bedingungen, unter denen das von London gewünschte
Ergebnis erzielt werden konnte. Zur Durchsetzung der monarchistischen Marionetten-Herrschaft
wurde erstmals in Europa Napalm gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt.
Jenes nicht löschbare Brandgemisch von Dow Chemical, dass die USA später
erfolgreich zur Verbrennung von Vietnamesen angewandt haben.
Seit
der brutalen Inthronisierung der griechischen Monarchie gehört das Land
zur "westlichen Wertegemeinschaft". Daran konnte auch eine Phase
der offenen faschistischen Diktatur - von 1967 bis 1974 - nichts ändern.
Schon seit 1952 war Griechenland immerhin Mitglied der NATO. Und nach anfänglichen
Irritationen der US-Administration - der Putsch griechischer Obristen war
nicht im Detail mit der CIA abgesprochen - kam es zur Versöhnung auf
offener Bühne: Der Obrist Stelios Pattakos absolvierte im März 1969
seinen Besuch bei US-Präsident Richard Nixon. Alles war wieder gut.
Was in den deutschen Medien zur Zeit als Drama der griechischen Ökonomie
aufgeführt wird, ist im Grunde ein Lehrstück über das Selbstbestimmungsrecht
der Völker: Darf Griechenland sich selbst vor dem Verhungern retten, darf
das Land die Diktatur der Banken abwehren? Oder muss es weitermachen mit einer
Fremdbestimmung, die seit Jahrzehnten andauert und für viele lukrativ war
und ist: Von den griechischen Eliten bis zu den deutschen Rüstungslieferanten
der griechischen Armee. Die Volksabstimmung am 5. Juli wird darauf eine erste
Antwort geben.