Es ist auch in der heutigen Zeit keinesfalls eine Ausnahme, wenn sich
Prediger mit deutlichen Worten gegen die Atheisten und Konfessionsfreien wenden.
Als Diskriminierung will das dann kaum ein Beobachter bezeichnen, viel eher
gehöre es ja zum Auftrag, gegen diejenigen zu wettern, die vom Glauben
abgefallen sind, um die eigene Religion in ihrer Bedeutung zu würdigen
und sich eigens und die Gemeinde als bessere Menschen, als Auserwählte,
darzustellen und sich überhöht und gleichsam selbstherrlich zu loben
und zu preisen.
Oftmals passiert dies in den Kirchen, abgeschieden
und von der Außenwelt nicht bemerkt. Dass sich eine Pfarrerin aber
in einer Fernsehübertragung in eine wirre Auslegung der Rechtfertigung
von "Rachegefühlen" gegenüber "den Gottlosen"
einzulassen vermag, hat schon eine neue Dimension. So geschehen in der Sendung
"Nachgefragt", die das "Schweizer Fernsehen" (SRF 1) am
7. Februar 2016 ausstrahlte. Nach der Übertragung des Gottesdienstes aus
der evangelisch-reformierten Gemeinde im für das "Weltwirtschaftsforum"
bekannt gewordenen Alpendorf Davos interviewte Christine Stark die Theologin
Cornelia Camichel Bromeis zu dem in der Andacht in den Mittelpunkt gestellten
Psalm 31.
Das Bibelwort, von dem viele Gläubige - wie so oft
- nur die harmlosen Zeilen wie "Meine Zeit steht in deinen Händen…"
(Vers 16) oder "Denn du bist meine Fels und meine Burg, und um deines Namens
willen wolltest du mich leiten und führen" (Vers 4) kennen, ist in
seinem weiteren Verlauf aber gleichsam – wie eben auch so häufig in dieser
"Heiligen Schrift" – gnadenlos und brutal: "Die Gottlosen
müssen zu Schanden werden und schweigen in der Hölle" (Vers
18). Daran stieß sich auch die Moderatorin und wollte von ihrem geistlichen
Gegenüber doch wissen, wie man mit solch einer Passage in der heutigen
Zeit umgehen sollte.
Im Verweis auf den Zusammenhang des Textes, der aus dem Blick des Volkes
Israel zu sehen sei, erläuterte Cornelia Camichel Bromeis ihren Standpunkt,
wonach Rachgedanken in solchen Situationen sicherlich nachvollziehbar gewesen
seien, aber gleichsam wohl auch für die Moderne ihre Geltungsberechtigung
hätten: "Es braucht ein Ausdrucksmittel, um eben solche Gefühle
auch einmal ausdrücken zu können", so die Pfarrerin in konkreter
Frage zum 18. Vers, der die Gottlosen verdammt. "Wir sind es heute nicht
mehr gewohnt, Rachegefühle zuzulassen", rechtfertigte die Theologin
in ihren weiteren Ausführungen, ohne dabei auch nur im Ansatz den Versuch
zu unternehmen, sich exegetisch von der Aufforderung zu distanzieren, wonach
die "Ungläubigen" wohl augenscheinlich in der Hölle "schmoren"
sollten.
Eine doch verdutzte Christine Stark wollte es nochmals explizit wissen, ob
es nicht schwierig sei, solche Worte auch zu beten. Sie selbst habe damit Mühe,
so die Moderatorin - die Pfarrerin dagegen wohl nicht: "[…] ich finde […]
es auch ganz wichtig, dass wir das [den Rachegedanken, Anmerkung des Autors]
aussprechen". Zwar sei ja niemand gezwungen, solche Bitten in den Mund
zu nehmen, verwerflich findet es die reformierte Geistliche aber wohl nicht.
Immerhin schränkt sie auf die Frage, wie es sich mit der Umsetzung solcher
"Rachgefühle" verhalte, ein: "Er [der Rachegedanke] wird
Gott übertragen - und Gott soll sich rächen". Die Gefühle
darf man selbst hegen, das grausame Werk darf dann aber Anderen überlassen
bleiben. Das macht die Sache nicht besser, im Gegenteil: Gott "soll"
sich gar rächen - wiederum ein Aufruf, der nicht nur mit einem absurden,
aber doch typisch christlichen Gottesbild in Verbindung gebracht werden kann,
sondern gleichsam für manch einen Vertreter der liberalen Theologie eine
Anmaßung darstellen muss.
Je länger das Gespräch dauerte, desto grotesker wurden die Äußerungen
der Pfarrerin. Offenbar sieht sie die "Gottlosen" als diejenigen,
die Ungerechtigkeit in diese Welt bringen. Dafür wohl auch ihre Rachegedanken,
denen Gott schlussendlich sein Urteil folgen lassen soll. Darauf setzt sie,
wenn sie festhält: "Und darin besteht das Vertrauen auch, dass irgendwann
Gerechtigkeit herrschen wird". Sie selbst würde sich nie rächen,
sie sei behütet aufgewachsen - was wohl bedeutet, dass allein die christliche
Erziehung dazu führen könne, gar nicht erst auf die "schiefe
Bahn" zu geraten, "ungläubig" zu werden. Gleichwohl könne
sie Rachgefühle verstehen, "auch wenn ich es nicht gutheiße,
natürlich". Sie würde sich dafür die Finger nicht schmutzig
machen, scheint es: "Die Tat, das Umsetzen, soll man bitte Gott überlassen".
Zurück bleibt eine irritierte Christine Stark, eine Konfirmandengruppe,
der man wünscht, sie möge rasche Seelsorge für das erhalten,
was ihre Pfarrerin an Weltbildern vermittelt hat - und die Frage, was tatsächlich
in unseren Kirchen jeden Sonntag gepredigt wird. Da empören wir uns über
Hetze einerseits, lassen andererseits aber zu, dass der christliche "Wolf
im Schafspelz" nicht minder zu rechtfertigen scheint, dass "Heiden"
für ihren Unglauben gerächt werden sollten. Man mag Cornelia Camichel
Bromeis für ihre Offenheiten danken, die einem größeren Publikum
ermöglicht haben, sich ein Bild darüber zu machen, dass auch Protestanten
in ihrer Deutlichkeit der Schrifttreue ins Nichts nachstehen - und wohl auch
nicht davor zurückschrecken, jedwede Interpretation von "Gottes Wort"
um der "Gerechtigkeit willen" zu unterlassen. Gerechtigkeit, die in
diesem Zusammenhang wohl kaum etwas Anderes bedeuten kann, als Hass gegen jeden
zu säen, der seine garantierte Religionsfreiheit ernst nimmt…