Wie ernst meinen es Linken mit der Säkularisierung?

Zwischenruf am 10.3.2016 von Dennis Riehle, Sprecher der Humanistische Alternative Bodensee (HABO) - Säkular-humanistischer Zusammenschluss

Da werben die rheinland-pfälzischen Linken mit dem Papst auf ihrem Wahlplakat, da hofiert Gregor Gysi die Kirchen auf einer Tagung der christlichen Publizisten und da lassen führende Mitglieder der Bundestagsfraktion von DIE LINKE immer wieder verlauten, eine Novellierung des Grundgesetzes im Sinne der Abschaffung von Artikel 140, der die Staatsleistungen an die Kirchen regelt, und des Gottesbezuges in der Verfassung stünden aktuell nicht vordergründig auf der politischen Agenda.

Gleichzeitig positionieren sich linke Kandidaten zur Landtagswahl in Baden-Württemberg und anderswo eindeutig, indem sie sich klar für mehr Ethik-Unterricht aussprechen, die Verbandelungen zwischen Kirche und Politik kritisieren oder aber die Abschaffung des "Blasphemie"-Paragrafen fordern. Gleichzeitig sendet dann aber wieder manch ein Funktionär der Partei erst eindeutige Zeichen aus, wie kürzlich Marco Höne, der in staatlichen Geldern an die katholische Kirche eine Förderung von Homophobie sah - auf Nachfrage bis heute aber nicht auf den Einwand reagierte, weshalb sich DIE LINKE denn dann nicht initiativ stark mache für Veränderungen auf diesem Themengebiet.

Wo will sie nun also hin, DIE LINKE, wenn es um die Frage nach einer Säkularisierung in Deutschland geht? Einen Laizismus lehne sie ab, das hat sie immer wieder deutlich gemacht. Gleichwohl propagiert sie eine Notwendigkeit der Trennung von Staat und Kirche - fördert parallel aber ein lobbyistisches Miteinander mit den Religionsgemeinschaften, wenn sie sie als wesentliche Stütze des Sozialsystems lobt und daneben auch ihr einziger Ministerpräsident nichts unversucht lässt, beim Pontifex in Rom um Gottes Segen zu bitten.

Möglicherweise rührt die enge Bindung der LINKEN an die Kirchen auch aus den Theorien des Hermann Kutter, Paul Tillich oder Leonhard Ragaz, die ja eine zwingende Verbindung des Christentums mit dem Sozialismus sahen - wenngleich eher deshalb, weil beide reformationswürdig seien. Friedrich Engels sah in der Religion sogar die "Ohnmacht vor dem Natürlichen". Und auch, wenn man das Karl Marx zugeschriebene Zitat vom "Opium des Volkes" in unterschiedlichster Weise auslegt und interpretiert, ist seine Kritik an der Religion auch deshalb so bezeichnend, weil sie die Verbindung zur Politik thematisiert - und damit weit von dem abweicht, was anfangs Feuerbach postuliert hatte. Entsprechend beschreibt Marx trefflich das, was Kirchen heute tun: Sie bestimmen Politik einflussreich und lobbyistisch mit, im Namen der Religion und des Machterhaltens. Hier wäre es also gerade Verpflichtung und Aufgabe dieser Partei, die sich ansonsten stets als Protestbewegung gegen das Establishment versteht, mit einem lauten Veto ihre Stimme zu erheben.

Doch letztlich scheint auch DIE LINKE nicht umhin zu kommen, sich von der Gier der Macht zu lösen, die Kirchen in Deutschland weiterhin einflussreich versprechen. Wer politisch etwas werden will, kommt an den religiösen Großkonzernen nicht vorbei, das haben wohl die Spitzenpolitiker durch alle politische Couleur hindurch verstanden. Unverbraucht und im besten Sinne naiv können dagegen diejenigen an der Basis einen wahrhaftigen Einsatz für eine Säkularisierung einfordern, die nicht davon abhängig sind, in ihrem Ämter gehalten, vom Wohlwollen der finanzstarken Bistümer, Diözesen und Landeskirchen getragen und im Netzwerk der "Player" auf politischem Boden gefördert zu werden. Und vielleicht tragen diese oftmals jungen und dynamischen Nachwuchspolitiker auch dazu bei, dass sich diejenigen linken Kreise Gedanken über eine Umkehr in der Anbiederung an die Kirchenmänner machen, die offenbar bis heute mit einem Schuldbewusstsein gegenüber dem Klerus leben, der bis 1989 ja auch nicht immer ein leichtes Dasein pflegte und sich - wie so häufig in der Geschichte - in der Opferrolle auf Wiedergutmachung freut. Die Hoffnung liegt auf jenen, die Karl Barth vielleicht eines Besseren belehren wollen: Ein wirklicher Sozialist muss eben doch nicht unbedingt Christ sein...