Es gibt ein deutsches Internet. In ihm tummeln sich ständig deutsche
Dissidenten. Wo sollen sie auch sonst hin? Nato-Gegner, Israel-Kritiker
oder gar solche der US-Regierung finden in den öffentlich-rechtlichen Sendern
kaum statt. Außer als "Verschwörungstheoretiker" oder "Antisemiten".
Und nicht selten sind die Netz-Dissidenten auch noch schneller und mit mehr
Informationen und Fakten unterwegs. Das macht sie für die Mainstream-Medien
besonders unleidlich. Wenn der jeweilige Dissident aber im russischen oder chinesischen
Netz seinen Stoff platziert, dann findet er auch und gern in der ARD ein Plätzchen.
Dann darf die Quelle durchaus ein "anonymer Online-Artikel" sein oder
auf "Angaben von Aktivisten" beruhen, wie sie in der Programmbeschwerde
der ARD-Beobachtungsstelle Bräutigam & Klinkhammer anvisiert wird.
Wir
wollen mal eine solche Meldung im ARD-Duktus neu formulieren: "Wie uns
von anonymen Online-Aktivisten mitgeteilt wurde, soll der ARD-aktuell-Chefredakteur
zum Rücktritt aufgefordert worden sein. Bis heute haben die Zensoren des
Senders die Veröffentlichung der Forderung verhindert. Unterzeichnet ist
die Forderung von treuen Gebührenzahlern". – Ganz sicher wird
diese Nachricht umgehend in der TAGESSCHAU eine Rolle spielen. Oder?
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
wenn Saudi-Arabien im Jemen während
eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ein Bombardement auf einen Gemüsemarkt
veranstaltet und 106 Besucher umbringt, berichtet das die Tagesschau nicht.
Es entspricht also einer inneren Logik, dass die Tagesschau auch mit keinem
Wort darüber informierte, dass am 27. März, dem Jahrestag des Kriegsbeginns,
eine halbe Million Jemeniten in ihrer Hauptstadt Sanaa zu einer Protestdemonstration
gegen diese Bombenangriffe zusammengekommen waren. Gegen diese abermalige Verschwiegenheit
erheben wir eine weitere Programmbeschwerde.
Es entspricht unserem Verständnis
vom Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass er umfassend und
vollständig zu unterrichten und damit einen Überblick über das
Weltgeschehen zu geben hat. Die Vorgänge auf der arabischen Halbinsel sind
nicht zu ignorieren.
Die Demonstration hat zwar erwartungsgemäß
in den MSM (Mainstream-Medien) und deren Zulieferern, den "prowestlichen"
Nachrichtenagenturen, kaum Aufmerksamkeit gefunden. Informationen gab es aber
trotzdem, vor allem beim katarischen Sender Al Jazeera. Eine deutsche Zusammenfassung
im Internet zum Beispiel auch hier!
Wir
sind an einer Klärung der gesamten, aus unserer Sicht äußerst
tendenziösen Nachrichtengestaltung über das Geschehen im Nahen Osten
in den Sendungen der Hauptabteilung ARD-aktuell interessiert. Wir sehen durchaus
Zusammenhänge, wenn
- über Massaker und Kriegsverbrechen im Jemen
nicht berichtet wird
- die Herrschaften in Riad in höfischen Formeln
tituliert und nicht als menschenfeindliche Diktatoren bezeichnet werden
-
die Wortwahl der Tagesschau in konformistischer Linientreue den Vorgaben der
Berliner Regierung folgt, im Fall Saudi-Arabien gemäß Steinmeierscher
Diktion also von "Regierung" und "Herrschern" die Rede ist,
im Fall Syrien hingegen von "Regime" und "Machthaber"
-
und im Fall Ägypten Schweigen im Walde herrscht.
Dieser Stil
ist fern aller Anforderungen, die die Staatsverträge an den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk stellen. Er erfüllt weder das Erfordernis der Objektivität,
noch der Vollständigkeit, noch der Sachlichkeit. So ist das Programm
nicht der Information der Rundfunkteilnehmer dienlich und schon gar nicht dem
Ziel der Völkerverständigung.
Er ist vielmehr nur Ausdruck
von Agitation und Propaganda.
Ein Passstück dazu ist im übrigen
der Beitrag
über eine angebliche Repressionskampagne in der VR China.
Zwar bisher
nur in der Nischenveranstaltung tagesschau.de, also nur für eine absolute
Minderheit von ARD-aktuell-Rezipienten, wird hier der Beleg geliefert, dass,
kaum gibt es keinen schönen Aufhänger für ein Putin-bashing oder
antirussische Giftspritzen, ARD-aktuell sogleich ersatzweise zum chinesischen
Watschenmann umschwenkt. Ein Popanz muss ja immer angeführt werden, nicht
wahr? Im vorliegenden Fall ein Korrespondentenbericht mit einer Story, deren
Vorwürfe "Verschleppung von Dissidenten" mit nichts belegt sind,
ein Bericht voller Bezugnahmen auf ungenannte Informanten, teils mit nicht belegten
Aussagen von fraglos befangenen Angehörigen, ohne Stellungnahmen von Seiten
der beschuldigten Behörden, dafür voller "offenbar" und
"anscheinend", den Paradebegriffen für reine Spekulation. Betroffen
rund zwei Dutzend möglicherweise fragwürdig behandelte Personen. Möglicherweise
fragwürdig behandelt.
Und das reicht trotzdem für einen Bericht
dieses Umfangs?
Und nichts über den Protest von 500.000 Jemeniten,
für diese Leute reicht der Platz nicht? Von den 106 Massakrierten gar nicht
zu reden?
Wir ersuchen um ordnungsgemäße Prüfung
und Beratung im Rundfunkrat.
Höflich grüßen - Volker Bräutigam
und Friedhelm Klinkhammer