Zunder für den Zündstoff

Publiziert am 7. April 2016 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Als politische Aktivistin und Bürgerrechtlerin u.a. im Zentralrat der Ex-Muslime gibt Mina Ahadi der Religion Zunder. So ist es folgerichtig, wenn sie den Zündstoff in der Religion ausmacht und dagegen angeht. Ihr aktueller Artikel steht bei Tagesspiegel Causa unter dem Titel Gefährdet Religion den gesellschaftlichen Frieden? Religion war und ist ein Zündstoff (das Bild von Christoph, pixabay, zeigt sehr schön die damit einhergehende Vernebelung).

Laut Ahadi werden die Migranten, die zurzeit nach Deutschland kommen, vor allem als Muslime betrachtet – und das ist fatal, sagt sie. Denn wo Religion zentrale Zutat von Identität ist, ist sie Ursache für Diskriminierung, Apartheid und Streit.

Ahadi wendet sich gegen die "mulitikulturelle Gesellschaft" und ihre Ausformung zur "multireligiösen Gesellschaft". Schreckliche Dinge wie Ehrenmorde und Zwangsehen werden damit verharmlost und als kulturell und/oder religiös abgestempelt. Wenn Menschenrechtsverletzungen als Kultur bezeichnet werden, so die Autorin, was wird dann im Namen einer multireligiösen Gesellschaft erlaubt sein? So eine Gesellschaft würde nicht zu mehr Frieden oder Toleranz in der Gesellschaft führen, sie wäre ein gefährliches politisches Konstrukt.

Die deutsche und auch die europäischen Regierungen haben Immigranten immer erstmal eine religiöse Identität gegeben, und ihnen mit dieser Politik den Schutz und die Würde universeller Menschenrechte entzogen. Deshalb fragt Ahadi, wer den größten Nutzen daraus zieht, wenn die Religion zur Hauptidentität der Flüchtlinge gemacht wird?

Es werde nicht darüber nachgedacht, wie viel Religion die Flüchtlinge brauchen, und wie viel in einer modernen Gesellschaft wie Deutschland akzeptabel ist. Deshalb sollten wir uns zur Aufgabe machen, Grundrechte und Gleichberechtigung für alle zu verteidigen. Dazu könne es nur durch eine ehrliche Debatte um Religion in der Gesellschaft kommen. "Religion ist eine Privatsache, die Privatsache bleiben muss", so lautet Ahadis Credo. Sie dürfe nicht wegen missverstandener Hilfsbereitschaft oder aus politisch-strategischen Berechnungen heraus mehr und mehr ins öffenliche Leben gebracht werden. Das gelte für die heimische Kirche wie für den Islam und alle anderen Religionen.

Die vorherrschende Flüchtingspolitik wird als religiös orientiert qualifiziert; als Gegengewicht dazu bauen wir momentan ein säkuläres Netzwerk der Solidarität und Unterstützung auf (damit sind anscheinend die Ex-Muslime und ihre humanistischen Helfer gemeint). Ziel ist es, den neuen Bürgern die Integration in einem möglichst neutralem Milieu zu ermöglichen und sich an die neue Gesellschaft zu gewöhnen.

Es gebe viele säkuläre und atheistische Flüchtlinge, die dabei eine wichtige Rolle spielen könnten. Den Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte ist es möglich, Schullaufbahn, Beruf, Hobby, Freundeskreis und Ehepartner frei zu wählen. Das gleiche Recht sollten wir auch den Neubürgern zugestehen. Aber die Einwanderer aus islamisch geprägten Ländern werden pauschal der Gruppe der Muslime zugerechnet. Politik, Wohlfahrtsverbände und Presse möchten ihnen offensichtlich das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht zumuten und sie Familialismus, Virginität, arrangierter Ehe, Kopftuch und religiöser Kleidung am Arbeitsplatz überantworten.

Das alles sind nach Ahadi Aspekte kulturell vormoderner Gesellschaften, die gegen die universellen Menschenrechte verstoßen und kein schützenswertes Kulturgut darstellen. Der Begriff multikulturell sei nur dann akzeptabel, wenn dahinter die freie Entscheideung eines jeden steht. Ohne dass den Betroffenen Nachteile daraus erwachsen können, müssen sie selbst entscheiden dürfen, ob sie religiös oder religionsfrei leben möchten, welche Bücher sie lesen oder nicht lesen, welche frei zugänglichen Informationsquellen sie nutzen.

Solange das nicht der Fall sei, solange auch noch die Meinungs- und Pressefreiheit als Indikator einer wirklich liberalen Gesellschaft auf dem Altar des Multikulturalismus geopfert werden, empfindet Ahadi diesen Begriff als Übergriff und Erniedrigung. Wenn neuerdings noch multireligiös als Begriff für das verwendet werde, was angeblich in Deutschland los ist, dann sei das verheerend.

Denn was wird damit gesagt? Dass auch Deutsche religiöser geworden wären? Und dass das das bestimmende Merkmal der Menschen sein sollte? Das sei eine gefährliche Lüge, denn wenn man sich die Welt und ihre Geschichte ansieht, dann sehe man die Religion damals wie heute oft als Zündstoff.

Deshalb ruft Ahadi dazu auf, unsere Städte und Straßenzüge nicht in Religionsareale aufzuspalten oder noch mehr religiöse Sonderrechte zu etablieren. Stattdessen sollten wir uns auf die Prinzipien der Renaissance, der Französischen Revolution und der allgemeinen Menschenrechte besinnen.
Das bedeutet, ein Gesetz für alle. Jeder Mensch gilt unabhängig von der Herkunft oder Religion seiner Eltern als Träger der unantastbaren Menschenwürde und aller Grundrechte.

Nur das kann nach Ahadi die Basis für ein harmonisches Zusammenleben sein. Alle anderen Grundformen von Identität bleiben demnach Ursache für Geschlechterdiskriminierung, Apartheid und Streit.

Weitere Links zum Thema:
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