Bildung bedeutet auch, nicht nur zu erfahren, was wichtig und was weniger
wichtig ist, sondern befähigt zum Handeln in neuen Lebenssituationen. Bildung
als dynamischer Entwicklungsprozess hat innovativen Charakter und befähigt
zu einer aktiveren Beteiligung am Geschehen, sei es in der Arbeitswelt, im Gemeindeleben
oder bei politischem sowie sozialem Engagement. Eine Lernkultur des 21. Jahrhunderts
muss neben Wissensvermittlung für den Arbeitsmarkt auch soziale Erfahrung
und vor allem bewusstseinsbildende Identitätsfindung ermöglichen.
Kinder und Jugendliche müssen lernen, dass sogenannte Soft Skills wie soziale
Kompetenz genauso wichtig sind wie die Produktion von wirtschaftlichen Gütern
oder der sorgsame Umgang mit Finanzkapital.
Eine moderne Schule des 21.
Jahrhunderts muss als oberstes Ziel das "Leben lernen" haben. Die
Individualität gehört in den Mittelpunkt gerückt. Dies bedeutet,
Freiräume für selbstständiges Arbeiten zu forcieren. Der schulische
Bildungsauftrag darf sich nicht nur auf die Vermittlung der Kulturtechniken
Lesen, Rechnen und Schreiben beschränken. Mehr Eigeninitiative und Selbstständigkeit
für Lernende müssen als Forderung der Stunde betrachtet werden. Die
erbrachte Leistung muss überprüfbar sein, aber die Prüfung sollte
keinen Sanktionscharakter haben.
Aus Fehlern können wir nur lernen,
wenn wir sie auch machen dürfen. Lernen muss im Kontext mit der Lebenswirklichkeit
geschehen. In Form von Projektarbeiten, freiwilligem sozialen Engagement, Schulunterricht
in Verbindung mit Teilzeitarbeit, wenn Schüler in die Berufswelt wechseln
sollen. Menschen lernen dann am besten, wenn sie der Überzeugung sind,
dass es wichtig ist und dass es etwas bringt. Lehrende der Zukunft sind Partner,
die beraten, motivieren, aktivieren und helfend eingreifen. Unser Bildungssystem
steht vor einem Paradigmenwechsel von der reinen Wissensvermittlung zur lebensgestaltenden
Kompetenzvermittlung. Das Bildungsziel des 21. Jahrhunderts wird mehr denn je
geprägt sein von Eigenständigkeit, Selbstbestimmung, Handlungs- und
Kritikfähigkeit sowie Empathie und Verantwortungsbereitschaft. Wie in vielen
anderen Lebensbereichen sollte auf dem Gebiet der Bildung ein ausgewogener Weg
gewählt werden, auf dem sich jeder Lernende seinen Begabungen und Interessen
entsprechend einordnen kann. Eine vernünftige Kombination von Forderung
und Förderung würde unseren Kindern und Jugendlichen eine gute Grundlage
für Zukunftschancen in einer schwierigen Zeit geben.
Atheistische Anmerkung: Aus meiner Lebenserfahrung muss ich sagen,
dass auch in der Schule ein gewisser Zwang notwendig ist. In meiner Schulzeit
hat es für mich viele Interessen gegeben, die in der Schule keine Rolle
spielten, andererseits viel Unterrichtsstoff, der mir von Herzen egal war. In
meiner achtjährigen Mittelschulzeit spielte oft die drohende Strafe des
sonstigen schulischen Untergangs die alleinige Motivation zur Wissensaneignung.
Ein besonders treffliches Beispiel ist dazu mein Mathematiklehrer, ein Choleriker,
der uns viel abverlangte, aber dem ich im späteren Leben sehr dankbar war:
ich hatte bei ihm aus Angst gelernt und mir zwangsweise ein gewisses Ausmaß
an logischem Denken aneignen müssen, was mir heute als wichtige und hilfreiche
Errungenschaft dient, weil man das - wie das Radfahren oder Schwimmen -
nimmer verlernen kann, wenn man einmal darauf trainiert und konditioniert worden
ist. Interessiert hatte mich das als Jugendlicher nicht, aber ich musste mich
danach richten und wenn ich heute z.B. Excel benutze und ich dort noch niemals
irgendwas nicht zusammengebracht habe, dann hab ich das von 1957-1965 in Mathes
gelernt! Und auch meine Dialektik der Wahrnehmung sehe ich nicht nur marxistisch,
sondern auch mathematisch. Und das war ursprünglich kein freiwilliges
Interesse, sondern Zwang!
Und noch was: Wenn Erziehung und Bildung
nur nach einer Art Freude-an-der-Sache-Prinzip erfolgen und die jungen Leute
dann im Beruf in die reale Welt mit ihren keineswegs überwiegende Freude
vermittelnden Strukturen und Verhältnissen treten, dann müssen sie
was Wesentliches fürs Leben nachlernen...
Das hat Bert Brecht dereinsten
sehr sarkastisch beschrieben: "Der Schüler lernt alles, was nötig
ist, um im Leben vorwärts zu kommen. Es ist dasselbe, was nötig ist,
um in der Schule vorwärts zu kommen. Es handelt sich um Unterschleif, Vortäuschung
von Kenntnissen, Fähigkeit, sich ungestraft zu rächen, schnelle Aneignung
von Gemeinplätzen, Schmeichelei, Unterwürfigkeit, Bereitschaft, seinesgleichen
an die Höherstehenden zu verraten usw. usw. Das Wichtigste ist doch die
Menschenkenntnis. Sie wird in Form von Lehrerkenntnis erworben. Der Schüler
muss die Schwächen des Lehrers erkennen und sie auszunützen verstehen,
sonst wird er sich niemals dagegen wehren können, einen ganzen Rattenkönig
völlig wertlosen Bildungsgutes hineingestopft zu bekommen."
So das genügt! Das alles ist offenbar nicht ganz so einfach und in sich widersprüchlich. Die Bildung auf die Höhe der Zeit zu bringen, ist wohl doch ziemlich vielschichtig.