Hallo? Ist da jemand? Im Kanzleramt, im Außenministerium? Selbst
der Regierungssprecher schweigt: Dumpf, bleich, geduckt. Auf die Verschärfung
des türkischen Terror-Kurses gegen die eigene Bevölkerung kein deutsches
Echo. Krampfhaft schaut das öffentliche Berlin in eine andere Richtung,
nur nicht dahin blicken, wo der türkischen Präsident in die Gegend
brüllt: "Wir gehen unseren Weg, ihr geht Euren". Wir bringen
unsere Leute um, wir bringen sie ins Gefängnis, wir machen die ganze Türkei
zum Erdoğan-Lager.
Während aus Berlin immer noch kein Ton zu hören
ist, werden mit den türkischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül
jene guten Leute hinter Gittern gebracht, denen die Weltöffentlichkeit
den Beweis für Erdoğans Terror-Sympathie verdankt: Sie hatten in der Zeitung
"Cumhuriyet" die Waffenlieferungen der Türkei an syrische Terroristen
aufgedeckt. Fast 100 Journalisten sitzen in der Türkei zur Zeit in Gefängnissen.
Nicht selten wegen der Artikel 6 und 7 des türkischen "Anti-Terror-Gesetzes",
nach dem eine schlichte Berichterstattung über einen Terroranschlag bereits
zum Tatbestand des Gesetzes erklärt werden kann. Und die Erdoğan-Clique
macht vom juristischen Spielraum eifrig Gebrauch.
In braver Kumpanei
mit Erdoğan hat in Deutschland eine Serie von Prozessen gegen Kurden begonnen.
Und immer geht es um angeblichen Terrorismus: Seit dem 29. April steht in
Celle der kurdische Politiker Mustafa Çelik vor Gericht, nach dem deutschen
§129b StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland)
versteht sich. Der angeklagte Mann soll unter anderem Busse für Demonstrationen
angemietet haben. In Hamburg will man Bedrettin Kayak nachweisen, dass er Kader
der PKK sei, und die ist nun mal in Deutschland verboten. Warum auch immer.
Der selbe Vorwurf soll bald in Düsseldorf gegen Ahmet Çelik, und,
erneut in Celle, gegen Kenan Bastu verhandelt werden. Die mit Erdoğan solidarischen
deutschen Strafverfolgungsbehörden verfolgen mutmaßliche Kurden-Funktionäre
sogar im Ausland: Mitte April wurde auf Ersuchen der bundesdeutschen Behörden
Zeki Eroğlu in Stockholm fest- und in Auslieferungshaft genommen. So paart sich
türkische Diktatur und deutscher Justiz-Fleiß auf das Schönste.
Im
März wütete der türkische Despot gegen das heitere Erdoğan-Lied
des Satire-Magazins "extra 3", kurz darauf startete die juristische
Verfolgung des bekannten Böhmermann-Gedichtes mit Hilfe der deutschen Kanzlerin,
Ende April intervenierte die Türkei auf EU-Ebene gegen das Konzertprojekt
"Aghet" der Dresdner Sinfoniker zum Genozid an den Armeniern vor 100
Jahren, anfang Mai melden sich die türkischen Einmischungsbehörden
in die inneren Angelegenheiten anderer Ländern erneut in der Schweiz: Eine
Armenier-Gedenkstätte in Genf, schon Ende 2014 auf türkischen Wunsch
verlegt, "sollte nirgendwo in Genf errichtet werden", erklärte
die türkische Botschaft in Bern. Wer die Böhmermann-Affaire für
ein ästhetisches Problem gehalten hat, darf sich jetzt eines Schlechteren
belehren lassen.
Mitten im wütenden, Erdoğanschen Verfolgungswahn
meldet sich der Vizeregierungssprecher Georg Streiter zu Wort: "Die EU
und Deutschland werden auch künftig alle vereinbarten Verpflichtungen erfüllen
und wir erwarten das auch von der türkischen Seite", und weiter: "Dieses
EU-Türkei-Abkommen, das steht". Was da steht ist die ekelhafte
Anpassung der deutschen Regierung an einen Despoten, was da steht ist ein schmutziger
Flüchtlings-Deal, der mit jedem Tag dreckiger wird, was da steht ist der
Ausverkauf rechtsstaatlicher Prinzipien. Erdoğan ruft SITZ! und die Europäische
Union macht Männchen. Da können die deutsche Regierung und die Justiz
doch einfach nicht nein sagen.