Fehlwahrnehmung

Der Magdeburger Parteitag der Linkspartei widmete sich dem Rechtsruck. NATO und neoliberale SPD plus Grüne waren aber nicht gemeint

Ein Bericht von Arnold Schölzel zum Parteitag der LINKEN in der wirklich linken Tageszeitung "Junge Welt" am 31.5.2016

Die drei Landtagswahlen vom 13. März müssten eine kalte Dusche für die Linkspartei gewesen sein. Sie verlor fast 100.000 Wählerstimmen, davon zwei Drittel an die AfD. Gemessen an den Hauptreden, die am Wochenende auf dem Parteitag in Magdeburg gehalten wurden, scheint der Schock allerdings nicht tief zu sitzen. Dabei hätte, jedenfalls laut manchen Ankündigungen, in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt Wulf Gallert, der damalige Linken-Spitzenkandidat, mindestens als Minister, wenn nicht als Ministerpräsident gefeiert werden sollen. Der hatte u.a. als »Frauenversteher« für sich geworben, ließ aber bei den Verlusten mit 7,4 Prozent nur der SPD den Vortritt. Die hat ein Minus von 10,9 Prozent zu verkraften. Die AfD erhielt dagegen beim ersten Antreten 24,3 Prozent.

Die Parteivorsitzenden kommentierten das Desaster am Samstag, freundlich ausgedrückt, nur zurückhaltend: Es sei »nicht ausreichend gelungen, diejenigen, die sich nicht vertreten fühlen, die auf der Strecke geblieben sind - zu überzeugen, uns ihre Stimme zu geben«, so Bernd Riexinger. Er wies zugleich darauf hin, die Partei werde bei jungen Leuten in den Städten stärker, das habe sich in Hamburg und Bremen gezeigt. Katja Kipping streifte mit »die Märzwahlen waren bitter für uns« das Thema nur kurz, um sich dann ausführlich dem »Niedergang der Sozialdemokratie in Europa« zu widmen. Immerhin erklärte Riexinger das Ergebnis vom 13. März zu einer »Zäsur für alle Parteien«.

Eine Analyse blieb aus. Zu hören war zwar, die Politik der Armutsgesetzgebung, der brutalen Umverteilung von unten nach oben und der Kriege habe den Nährboden für AfD und Co. bereitet. Von der entscheidenden Rolle, die SPD und Grüne dabei gespielt haben, aber - nichts. Katja Kipping formulierte: »Wer also vom Rassismus redet, darf vom Neoliberalismus nicht schweigen.« Dem ließe sich hinzufügen: »Wer vom Neoliberalismus redet, aber nicht von SPD und Grünen, schummelt.« Die Angriffskriege mit deutscher Beteiligung gegen Jugoslawien und gegen Afghanistan plus »Agenda 2010« waren staatlich verordnete Förderung von Herrenvolk­Ideologie, die mit »westlichen Werten« übertüncht wurde.

Die Ergebnisse des Parteitages waren entsprechend zerfahren. Da steht die von Riexinger erneut proklamierte »Revolution für Gerechtigkeit« für antikapitalistische Ansätze auf der einen Seite, auf der anderen aber das weitgehend auf Analyse verzichtende, wie ein Glaubensbekenntnis von Katja Kipping vorgetragene: »Wir müssen verlässlich Haltung zeigen und unverändert ein Bollwerk gegen den Rechtspopulismus bilden.« Zählt man als dritte Position die von Klaus Ernst hinzu, der vorab eine »Machtoption« forderte, d.h. eine Koalition mit SPD und Grünen, ist das noch nicht alles im Angebot der Partei.

Denn wer wie Sahra Wagenknecht analysiert und Argumente hat, wird viertens mit Torten beworfen - publizistisch von den Postillen neoliberaler Unverdrossenheit wie dem Spiegel, physisch von Leuten, die nach Medienberichten aus dem geistig ähnlich bemittelten »Antideutschtum« kommen. Die Macher des auch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanzierten Blattes Straßen aus Zucker drückten ihre freudige Erregung jedenfalls prompt auf ihrer Facebook-Seite aus. Der Spiegel bot am Samstag die Einfallslosigkeit an, Sahra Wagenknecht habe »Denkmuster, die man auch in der AfD findet«. Die wirren Geldempfänger der Rosa-Luxemburg-Stiftung meinen das offensichtlich auch. Teile der Linkspartei konnten in Magdeburg, wie es scheint, die eigenen Zöglinge begrüßen.

Hinzuzufügen ist: Der erste Satz des ersten Parteitagsbeschlusses kommt auch aus dem Milieu vorgeblich antifaschistischer Hyperventilation. Er lautet: »Die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Solidarität, die Fundamente sowohl der Aufklärung als auch der Demokratie, sind in Europa bedroht wie nie zuvor. Auch die Bundesrepublik steht am Scheideweg. Rückt sie politisch weiter nach rechts, werden die demokratischen und humanistischen Grundlagen der Gesellschaft weiter abgebaut, dann droht eine Entwicklung wie in Ungarn und Polen, Dänemark und Frankreich.« Das »wie nie zuvor« kann nur behaupten, wer den deutschen Faschismus und Imperialismus gründlich vergessen hat und die heutige Realität entsprechend imperialismusfrei wahrnimmt. Da ist »Haltung« als eine Art Kirchentagsbekenntnis konsequent.

Der Fehlwahrnehmung folgt die Fehlorientierung:
Die größte Gefahr, und nicht nur für »Prinzipien«, auf diesem Kontinent ist die NATO-Expansion nach Osteuropa und in andere Weltregionen. Der Rechtsruck manifestiert sich u.a. in der Modernisierung der US-Atomwaffen entgegen einem Bundestagsbeschluss auch hierzulande. Er manifestiert sich in der deutschen Unterstützung jedes US-Abenteuers in Nordafrika, der Ukraine und in Syrien. Die Bundesrepublik steht am »Scheideweg«? Sie ist wohl etwas weiter: Am 8. und 9. Juli kehrt der westliche Kriegspakt in Warschau offiziell zur Doktrin der »Abschreckung« des Kalten Krieges zurück.

In den Hauptreden des Parteitags spielte all das keine Rolle, nur in der Debatte. Wer so vom Rechtsruck redet, aber vom realen Unheil schweigt, der lenkt nicht nur ab, er überlässt der AfD ein Feld, auf dem sie mit Erfolg ackern wird.