Der Magdeburger Parteitag der Linkspartei widmete sich dem Rechtsruck. NATO und neoliberale SPD plus Grüne waren aber nicht gemeint
Die drei Landtagswahlen vom 13. März müssten eine kalte Dusche
für die Linkspartei gewesen sein. Sie verlor fast 100.000 Wählerstimmen,
davon zwei Drittel an die AfD. Gemessen an den Hauptreden, die am Wochenende
auf dem Parteitag in Magdeburg gehalten wurden, scheint der Schock allerdings
nicht tief zu sitzen. Dabei hätte, jedenfalls laut manchen Ankündigungen,
in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt Wulf Gallert, der damalige Linken-Spitzenkandidat,
mindestens als Minister, wenn nicht als Ministerpräsident gefeiert werden
sollen. Der hatte u.a. als »Frauenversteher« für sich geworben,
ließ aber bei den Verlusten mit 7,4 Prozent nur der SPD den Vortritt.
Die hat ein Minus von 10,9 Prozent zu verkraften. Die AfD erhielt dagegen beim
ersten Antreten 24,3 Prozent.
Die Parteivorsitzenden kommentierten
das Desaster am Samstag, freundlich ausgedrückt, nur zurückhaltend:
Es sei »nicht ausreichend gelungen, diejenigen, die sich nicht vertreten
fühlen, die auf der Strecke geblieben sind - zu überzeugen, uns ihre
Stimme zu geben«, so Bernd Riexinger. Er wies zugleich darauf hin, die
Partei werde bei jungen Leuten in den Städten stärker, das habe sich
in Hamburg und Bremen gezeigt. Katja Kipping streifte mit »die Märzwahlen
waren bitter für uns« das Thema nur kurz, um sich dann ausführlich
dem »Niedergang der Sozialdemokratie in Europa« zu widmen. Immerhin
erklärte Riexinger das Ergebnis vom 13. März zu einer »Zäsur
für alle Parteien«.
Eine Analyse blieb aus. Zu hören
war zwar, die Politik der Armutsgesetzgebung, der brutalen Umverteilung von
unten nach oben und der Kriege habe den Nährboden für AfD und Co.
bereitet. Von der entscheidenden Rolle, die SPD und Grüne dabei gespielt
haben, aber - nichts. Katja Kipping formulierte: »Wer also vom Rassismus
redet, darf vom Neoliberalismus nicht schweigen.« Dem ließe sich
hinzufügen: »Wer vom Neoliberalismus redet, aber nicht von SPD und
Grünen, schummelt.« Die Angriffskriege mit deutscher Beteiligung
gegen Jugoslawien und gegen Afghanistan plus »Agenda 2010« waren
staatlich verordnete Förderung von HerrenvolkIdeologie, die mit »westlichen
Werten« übertüncht wurde.
Die Ergebnisse des Parteitages
waren entsprechend zerfahren. Da steht die von Riexinger erneut proklamierte
»Revolution für Gerechtigkeit« für antikapitalistische
Ansätze auf der einen Seite, auf der anderen aber das weitgehend auf Analyse
verzichtende, wie ein Glaubensbekenntnis von Katja Kipping vorgetragene: »Wir
müssen verlässlich Haltung zeigen und unverändert ein Bollwerk
gegen den Rechtspopulismus bilden.« Zählt man als dritte Position
die von Klaus Ernst hinzu, der vorab eine »Machtoption« forderte,
d.h. eine Koalition mit SPD und Grünen, ist das noch nicht alles im Angebot
der Partei.
Denn wer wie Sahra Wagenknecht analysiert und Argumente
hat, wird viertens mit Torten beworfen - publizistisch von den Postillen
neoliberaler Unverdrossenheit wie dem Spiegel, physisch von Leuten, die nach
Medienberichten aus dem geistig ähnlich bemittelten »Antideutschtum«
kommen. Die Macher des auch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanzierten Blattes
Straßen aus Zucker drückten ihre freudige Erregung jedenfalls
prompt auf ihrer Facebook-Seite aus. Der Spiegel bot am Samstag die Einfallslosigkeit
an, Sahra Wagenknecht habe »Denkmuster, die man auch in der AfD findet«.
Die wirren Geldempfänger der Rosa-Luxemburg-Stiftung meinen das offensichtlich
auch. Teile der Linkspartei konnten in Magdeburg, wie es scheint, die eigenen
Zöglinge begrüßen.
Hinzuzufügen ist: Der erste
Satz des ersten Parteitagsbeschlusses kommt auch aus dem Milieu vorgeblich antifaschistischer
Hyperventilation. Er lautet: »Die Prinzipien Freiheit, Gleichheit
und Solidarität, die Fundamente sowohl der Aufklärung als auch der
Demokratie, sind in Europa bedroht wie nie zuvor. Auch die Bundesrepublik steht
am Scheideweg. Rückt sie politisch weiter nach rechts, werden die demokratischen
und humanistischen Grundlagen der Gesellschaft weiter abgebaut, dann droht eine
Entwicklung wie in Ungarn und Polen, Dänemark und Frankreich.« Das
»wie nie zuvor« kann nur behaupten, wer den deutschen Faschismus
und Imperialismus gründlich vergessen hat und die heutige Realität
entsprechend imperialismusfrei wahrnimmt. Da ist »Haltung« als
eine Art Kirchentagsbekenntnis konsequent.
Der Fehlwahrnehmung folgt
die Fehlorientierung: Die größte Gefahr, und nicht nur für
»Prinzipien«, auf diesem Kontinent ist die NATO-Expansion nach Osteuropa
und in andere Weltregionen. Der Rechtsruck manifestiert sich u.a. in der Modernisierung
der US-Atomwaffen entgegen einem Bundestagsbeschluss auch hierzulande. Er manifestiert
sich in der deutschen Unterstützung jedes US-Abenteuers in Nordafrika,
der Ukraine und in Syrien. Die Bundesrepublik steht am »Scheideweg«?
Sie ist wohl etwas weiter: Am 8. und 9. Juli kehrt der westliche Kriegspakt
in Warschau offiziell zur Doktrin der »Abschreckung« des Kalten
Krieges zurück.