Mit hochgeföhnter Servilität saß der Chefredakteur des
bayerischen Rundfunks, Sigmund Gottlieb, dem Chef der türkischen Diktatur,
Recep Tayyip Erdogan, gegenüber. Sorgen mache er sich, sagte der Interview-Beauftragte
der ARD im Ersten TV-Progamm zu ganz ordentlicher Sendezeit, Sorgen wegen der
gefährlichen Lage im Land. Gemeint waren nicht die Medienverbote und Verhaftungen
in der Türkei schon vor dem versuchten Militärputsch, die Bedrohung
der Justiz, die Repression gegen Rechtsanwälte und Strafverteidiger, lange
vor dem missglückten Staatsstreich und auch nicht die befohlene Brutalität
der Polizei gegen die Bevölkerung auf dem Taksim-Platz und anderswo. Natürlich
galten die Gottlieb-Sorgen auch nicht den vom Erdogan-Militär ermordeten
Kurden. Sondern dem armen Erdogan selbst: "Es gab Luftangriffe, es war
eine gefährliche Situation, war es die kritischste Situation Ihrer Amtszeit?"
Ganz
sicher war das Interview keine kritische Situation für den türkischen
Präsidenten. Es war, nach Maßstäben eines anständigen Journalismus,
unnütz und liebedienerisch. Und völlig auf der Linie einer deutschen
Regierung, die gerade versucht, den türkischen Ausnahmezustand in einen
harmlosen Notstand umzudeuten. In dieser für Frau Merkel kritischen Situation,
in der immer mehr deutsche Wähler die Frage stellen, ob das Land in Berlin
oder in Ankara regiert wird, musste ein Entlastungs-Interview her, in dem der
arme Diktator seine schwierige Lage darstellen durfte: "Zerstören
Sie damit nicht ein Stück Bildung?" fragte der bayerische Schleppenträger
der Diktatur besorgt, mit Blick auf die vielen, über Nacht in der Türkei
entlassenen Lehrer. Da könne er ganz beruhigt sein, teilte ihm Erdogan
mit, er stelle gerade an die 30.000 neue ein. Aufatmend lehnte sich der Stichwortgeber
zurück. Ja, im Präsidentenpalast werden die Probleme gelöst,
liest man auf seinem Gesicht. Dass die türkische Demokratie in Stücke
geschlagen wird, ist ja nicht sein Thema.
"Ausländervereine", sagt der Paragraph 14 des deutschen
Vereinsgesetzes, "können verboten werden, soweit ihr Zweck oder ihre
Tätigkeit . . . die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland
. . . beeinträchtigt oder gefährdet". Und gegenüber
der PKK hat die deutsche Justiz, im braven Gefolge der türkische Regierung,
von diesem Gesetz auch ausgiebig Gebrauch gemacht. Nun ist der Bayerische Rundfunk
kein Ausländerverein, es reichte vielleicht, der von seinem Chefredakteur
ausgehenden Gefährdung der politischen Willensbildung durch Servilität
gegenüber Despoten mit einer einfachen Kündigung entgegenzutreten.
Aber die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (Avrupalı Türk
Demokratlar Birliği, UETD) ist ein Verein. Und nicht mal die deutsche Fluchtabwehr-Regierung
würde bestreiten wollen, dass dieser Verein die Interessen der AKP, der
türkischen Staatspartei und Erdogans in Deutschland vertritt. Dieser Verein
hat 2008 Erdogans Auftritt in Köln organisiert, bei dem er Assimilation
mit einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gleichsetzte, und
dieser Verein hat seinen Wahlkampfauftritt 2011 in Düsseldorf vorbereitet.
Und sogar während der Proteste rund um den Gezi-Park und gegen die brutalen
Polizeieinsätze in der Türkei, sorgte die UETD für eine Kundgebung,
auf der neben dem türkischen Kulturminister Ömer Çelik auch
Erdogan per Videobotschaft auftrat.
Es gab Zeiten, in denen man die Aktivitäten
der UETD noch unter Folklore, oder sogar notfalls unter Integrationsbemühungen
hätte abbuchen können. Diese Zeiten müssten seit dem Beginn der
türkischen Diktatur eigentlich beendet sein. Ein Blick auf die Website
der "Union Europäisch-Türkischer Demokraten" zeigt, wie
wenig sie mit der Demokratie gemein hat: "Am 20.07.2016 wurde der Ausnahmezustand
für drei Monate in der Türkei ausgerufen, ohne die grundlegenden Freiheitsrechte
einzuschränken und vom Türkischen Parlament abgesegnet." Das
Wort "abgesegnet" ist den türkischen Spezial-Demokraten so rausgerutscht.
Denn natürlich ist das Parlament nicht mehr frei in seinem Willen. Und
nur weil Medien verboten, Journalisten verfolgt und Gefangene gefoltert werden,
gibt es für die UETD noch keine Einschränkung der Freiheitsrechte.
Die Massenverhaftungen in der Türkei erklärt sie nicht mit der Diktatur,
sondern: "Die derzeit unmittelbar nach der Abwendung des Militärputsches
durchgeführten Festnahmen haben das Ziel, das ganze Ausmaß zu erkennen
und notfalls weitere Putschversuche zu unterbinden." Sie dienen sozusagen
nur der Wahrheitsfindung. Der wird sicher auch ein Brief an die "Sehr geehrten
Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages" dienen, der von der "Völkermord-Resolution
im Bundestag" weiß, das "löst nicht nur in der Türkei
Unmut aus. Auch unter den europäischen Türken sorgt die Entscheidung
für reichlich Verärgerung und Unverständnis." Das muss man
gelesen haben: Der Verein droht mit den europäischen Türken, die
eigentlich Staatsbürger oder Gäste der jeweiligen EU-Staaten sind,
jetzt aber für die Interessen der türkischen Regierung mobilisiert
werden sollen.
"Normalerweise sind Sie als Präsident bekannt dafür, dass Sie entscheidungsstark die Dinge durchsetzen, die ihnen wichtig erscheinen", sagte Sigmund Gottlieb - der Mann, der mit genug bayerischen Orden bestückt ist, um einen Altmetall-Handel aufzumachen - in seinem Interview und meint den Erdogan-Todesstrafen-Plan. Tiefer kann man sich kaum vor der Diktatur verbeugen. Aber Gottlieb gab auch einen Hinweis: "Sie haben ja auch, Herr Präsident, Glück in einer schwierigen Situation. . . Weil die Europäer etwas von Ihnen bekommen . . . das ist sozusagen das Flüchtlingsabkommen." So ein Glück: Erdogan kann machen was er will, wenn er der EU nur die Flüchtlinge vom Hals hält. Und außerdem fragt der Mann vom Bayerischen Rundfunk: "Was können Sie, was wollen Sie tun, um die Bekämpfung dieser Terror-Organisation voranzutreiben." Nicht die Frage "Warum haben Sie den IS unterstützt und machen Sie das immer noch?" fiel dem Untertan am Thron von Sultan Erdogan ein. Auch nicht die Frage nach den IS-Ölverkaufen über die Türkei. Das hätte ja das stille Glück des entscheidungsstarken Präsidenten stören können.
Die ARD hat einen schönen roten Teppich für Recep Tayyip Erdogan ausgerollt. Die "Union Europäisch-Türkischer Demokraten", darf als Vorfeld-Organisation, als langer Arm des Diktators in Deutschland begriffen werden. Anständig wäre, wenn die UETD wenigstens die 16.000 Euro übernähme, die Sigmund Gottlieb monatlich aus den Rundfunkgebühren mit nach Hause nimmt. Dann wäre auch klarer, warum der Journalist Gottlieb nicht die Frage nach dem Verbleib der Journalistin Nazlı Ilıcak gestellt hat, jener Frau, die einen Korruptionsskandal in der Erdogan-Umgebung aufgedeckt hatte und die in diesen Tagen von den Handlangern der Diktatur verschleppt wurde.