Da waren sie in Köln: Dem Pass oder dem Wohnort nach Demokraten.
Dem Herzen nach Erdograten. Jene explosive Mischung von zu kurz gekommen und
zu kurz gedacht. Im deutschen Gesetz steht: Die Würde des Menschen
ist unantastbar. Was war das für eine Würde, die ihre Eltern oder
Großeltern auf dem Sklavenmarkt der deutschen Industrie genießen
durften: Du stark, Du Stahlwerk. Du Frau, Du putzen. Arbeit schändet nicht.
Es sind die Verhältnisse, die sie schändlich macht. Für sie gab
es nur die Drecksarbeit. Bis heute: Soll doch der Türke die Drecksarbeit
mit den Flüchtlingen machen.
Gab es vor der Demonstration für
den Diktator in Köln eine Stimme wie diese: Da geht man nicht hin! Gab
es nicht. Kein bekannter Intellektueller, keiner aus der Regierung, niemand
aus der mächtigen Wirtschaft wollte sich mit dem Herrn vom Bosporus anlegen.
Denn der Herr ist im selben Militär-Verein wie wir. Der Herr kontrolliert
den Markt, auf dem wir Waren verkaufen. Deutsche Panzer, deutsche U-Boote, auch
Fregatten kauft man dort gern. Zwei Jahre lang schützten deutsche Raketen-Soldaten
die Grenze der Türkei gegen einen erfundenen Feind: Die Syrer. Zu keiner
Zeit hat der Staat Syrien die Türkei bedroht. Aber Diktaturen brauchen
Feinde. Wie Schutzgeld-Erpresser schützen sie die Bevölkerung vor
einer Bedrohung, die sie selbst erfunden haben.
"Nach den Ereignissen
in der Türkei sind die Soldaten der Bundeswehr auf dem Luftwaffenstützpunkt
im türkischen Incirlik wohl auf", schreibt die Bundeswehr in ihr syrisches
Kriegstagebuch. Was der Presseoffizier Ereignisse nennt, ist die Diktatur. Es
sind die Ereignisse in türkischen Gefängnissen, in Zeitungsbüros
unter Kriegsrecht, sind die Erlebnisse bei den Serien-Verhören von Unschuldigen.
Schuldig allein, weil der Diktator es will. Jeden Morgen steigen die Airbus-Tankflugzeuge
der Bundeswehr vom Flughafen Incirlik auf. Mehr als vier Millionen Liter Treibstoff
haben sie schon an die Bomber am Himmel über Syrien geliefert. Man lässt
bomben. Was außerhalb des NATO-Stützpunktes vor sich geht? In der
Kantine des "Patriot Village" gibt es an den deutschen Tagen Bratwurst
mit Sauerkraut oder Schnitzel mit Kartoffeln.
"Wir können
die Tore zu Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen, und wir können
die Flüchtlinge in Busse setzen", hatte der Diktator gedroht.
Wenn ein Flüchtling nicht den Boden der Bundesrepublik betritt, kann seine
Würde in Deutschland nicht angetastet werden. Rund 2.000 Migranten kamen
vor dem Handel mit Erdogan täglich auf die griechischen Inseln. "Wenn
die Türkei sich dafür entscheidet, ihre Macht zu demonstrieren, und
die Schleusen öffnet, wird das System in drei Tagen zusammenbrechen",
meinte Lefteris Papagiannakis, Abteilungsleiter für Migrationspolitik bei
der Athener Stadtverwaltung. Es ist die Flüchtlingswaffe, vor der das Merkel-System
zittert.
Da waren sie in Köln. Auf einer Kundgebung für
die Diktatur. Was sollte der deutsche Außenminister sagen? Ich war
auch schon mal im Ausland auf einer Kundgebung, in Kiew. Da wurde ganz demokratisch
eine gewählte Regierung durch bewaffnete Kräfte beseitigt, vielleicht?
Was sollte die Verteidigungsministerin sagen? Ich war gerade erst in der Türkei
auf Soldatenbesuch. Da durfte kein deutscher Parlamentarier mit. Obwohl die
Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Was aber hat sie wirklich nach dem Besuch
gesagt: "Die Zusammenarbeit auch mit den türkischen Gastgebern ist
sehr eng und vertrauensvoll.". Das war noch vor dem Putsch, aber nach den
Angriffen der türkischen Luftwaffe auf Kurden, nach der Aufhebung der Immunität
gewählter Abgeordneter, nach den Massenanklagen gegen Journalisten. Was
sollte die Kanzlerin sagen? Ich habe schon mal mit Herrn Erdogan telefoniert.
Danach habe ich ein Strafverfahren gegen einen deutschen Satiriker ermöglicht.
Oder was?
Ein Zeichen der Würde war weit und breit nicht zu sehen.
Man überließ diejenigen, die mit der Diktatur im Land ihrer Vorfahren
sympathisierten, den Handlangern der Diktatur. Man machte sie zu Ausländern,
obwohl sie seit Jahrzehnten bei uns leben. Denn wären sie Inländer,
dann müsste der komplette erste Artikel des Grundgesetzes zu Anwendung
kommen: Die Würde des Menschen ist unantastbar, lautet nur der erste Satz,
der zweite heißt: Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt. Wer diesem zweiten Grundsatz verpflichtet wäre,
hätte sich klar und deutlich gegen eine Pro-Diktatur-Kundgebung in Köln
aussprechen müssen. Aber wer, wie Merkel, die Verfassung so lange biegt
bis sie bricht, der will eine Diktatur nicht mal dann erkennen, wenn er drüber
stolpert.