Wie geht es im Nahen Osten weiter?

Dr. Thomas Tartsch am 26.10.2016

Mögliche zukünftige Entwicklungen nach der absehbaren Vernichtung des Chalifates in 2017:

1. Rückfall der Reste von DAESH (Synonym für IS, ISIS, Islamischer Staat) in ash-Sham im Kampf gegen den "Nahen Feind" in das Stadium einer Insurgency-Group wie die Vorgängerorganisation Al Qaidah in Iraq (AQI) unter Abu Musab al-Zarqawi, um einen Low Intensity Conflict (LIC) als War of Attrition vor Ort vor der Folie des sich verstärkenden sunnitisch-schiitischen Konfliktes zu führen, was auch für Al Qaidah in Syrien (an-Nusrah) gelten wird, die im Rahmen ihres gewaltsamen Dschihads gegen den "Fernen Feind" die Errichtung eines Emirates (wie in Yaman, Afghanistan und Kaukasus) anstrebt, was Auswirkungen auf die gesamte Region hätte.

2. Verlagerung von DAESH Kräfte in andere Länder wie Libyen zur Reorganisation, wo schon ein Footprint und Safe Haven besteht.

3. Rückkehr der Foreign Fighter in ihre Heimatländer wie die "Araber Afghanen" nach 1989, was insbesondere die innenpolitische Stabilität Tunesiens gefährdet, von wo die meisten FF in ash-Sham gekommen sind, die primär aus der gut ausgebildeten Mittelschicht stammen, da der Grund für die Teilnahme am Salafi Dschihadismus nach der Majorität der Studien nicht monokausal mit Armut und objektiv/subjektiv erlebte Diskriminierung erklärt werden kann, da schon die Akteure des neuzeitlichen arabischen und türkischen legalistisch agierenden Islamismus von Hasan al-Banna (Gründer der Muslimbruderschaft) bis Recep Tayyip Erdoğan (AKP) aus der jeweiligen Mittelschicht stammten/stammen. Und in der Regel keine ausgebildeten 'Uläma (Gelehrte) mit umfassenden religiös-juristischen Wissen waren/sind, siehe "Poverty Isn’t the Root Cause of Jihadist Terrorism. Here’s What Is" und "Jihad. Facts are Stubborn Things: Here’s the Real Reason People Join ISIS":
"It found no correlation between education level or poverty and joining ISIS. While this may not come as a surprise to those who have been following the development of the Islamic State, it delivers a crushing blow to the left’s assertion that the root cause of 'violent extremism' is economic."
Zum muslimischen FF Phänomen seit 1989 ein Paper einer Mitarbeiterin von Prof. Edwin Bakker beim ICCT-The Hague. Einer meiner Lehrer im Bereich Terrorism-Counterterrorism-Countering Violence Extremism (CVE), "European Foreign Fighters: Lessons from the Past".

4. Weiterhin globale Verbreitung der DAESH-Ideologie als Corporate Identity im Rahmen des E-Jihad in sozialen Netzwerken, womit es in der WENA-Region (Westeuropa-Nordamerika) auch die nächsten Jahre zu Anschlägen durch ein heterogenes Täterspektrum (Self Made Jihadists, FF-Rückkehrer, Lone Wolf Fighter, eingeschleuste Kämpfer, Home-grown Terrorism) kommen wird, wobei keiner dieser Anschläge eine verfasste Ordnung in ihren Grundstücken bedrohen wird, weil es sich um Low Level Terrorism gegen Soft Targets handelt, der primär auf die psychologische Wirkung von Terrorismus als strategische Kommunikation setzt, um den Zusammenhalt westlicher Gesellschaften entlang bestehender religiös-ethnischer Bruchlinien weiter zu erodieren.

5. Insgesamt gesehen wird mit der Vernichtung des DAESH Chalifates nicht das Ende der Gruppe und ihrer Ideologie eingeläutet.
Sondern eine Transformation eingeleitet, die schon das Netzwerk al Qaidah um Al Qaidah Core (AQC) in AFPAK öfters durchlebt hat, um sich anzupassen, da Salafi Dschihadismus seit Beginn des "War against Terrorism" seit Ende 2001 "lernender Terrorismus" geworden ist.