Erklärung zur Lage in der Türkei

Presseaussendung der österreichischen Parlamentsdirektion vom 10.11.2016

Österreichische Abgeordnete unterzeichnen gemeinsame Erklärung zur Lage in der Türkei
Überparteiliche Initiative fordert Freilassung von Abgeordneten und ein Aussetzen der Beitrittsverhandlungen

Die Türkei habe sich in den vergangenen Monaten in eine mehr als nur besorgniserregende Richtung entwickelt, stellten Abgeordnete aller sechs Parlamentsfraktionen in einer gemeinsamen Erklärung fest, die heute im Parlament unterzeichnet wurde. Andreas Schieder (S), Reinhold Lopatka (V), Heinz-Christian Strache (F), Aygül Berivan Aslan (G), Matthias Strolz (N) und Robert Lugar (T) fordern u.a. von der türkischen Regierung die sofortige Freilassung der inhaftierten Abgeordneten und JournalistInnen sowie die Achtung der Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit von Justiz und Gesetzgebung. Diese antidemokratischen Vorgänge in der Türkei, die nicht mit europäischen Werten vereinbar sind, seien ein weiterer Grund, die Verhandlungen auszusetzen und bei weiterer Eskalation den Abbruch der Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei von Seiten der österreichischen Bundesregierung zu fordern.
Auch der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn zeigte sich gestern anlässlich der Präsentation des jährlichen Fortschrittsberichts schwer besorgt über die jüngsten Vorkommnisse in der Türkei. Es liege nun an den EU-Staaten, die Schlussfolgerungen zu ziehen, meinte Hahn.

Die gemeinsame Erklärung im Wortlaut:

"Die Ereignisse der letzten Monate in der Türkei haben sich in eine mehr als nur besorgniserregende Richtung entwickelt. Infolge eines gescheiterten Militärputsches im Juli d.J. verhängte die Türkei den Ausnahmezustand und setzte Verpflichtungen der Europäischen Menschenrechtskonvention aus. Es kam zu Massenverhaftungen und Amtsenthebungen von bis zu 60.000 Staatsangestellten in der Armee, Polizei, Justiz und im Bildungswesen. Bereits im Sommer wurde die Immunität der Abgeordneten der Oppositionspartei HDP aufgehoben, regierungskritische Medien wurden eingestellt und andere einschüchternde Maßnahmen getroffen.

Trotz der auch international anhaltenden Kritik an der fehlenden Einhaltung der Menschenrechte gegenüber Bürgerinnen und Bürgern der Türkei insbesondere der kurdischen Minderheit, Journalistinnen und Journalisten, Richterinnen und Richtern und vielen anderen, regierungskritischen Personen und trotz der vielen Solidaritätsbekundungen wurden nun Abgeordnete der Oppositionspartei HDP verhaftet. Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag - die beiden Vorsitzenden der HDP und somit wichtige Persönlichkeiten der parlamentarischen Opposition - sowie andere Abgeordnete der HDP sind mittlerweile in Haft. Die Fahndung nach anderen Abgeordneten der HDP läuft.

Diese äußerst besorgniserregenden Entwicklungen in der Türkei, die nicht mit europäischen Werten vereinbar sind, sind ein weiterer Grund, die Verhandlungen auszusetzen und bei weiterer Eskalation den Abbruch der Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei von Seiten der österreichischen Bundesregierung zu fordern. Das Parlament ist das Herz jeder Demokratie, jede Maßnahme, die Abgeordnete in ihrer Handlungsfreiheit einschränkt und in ihrer Arbeit behindert, ist darum abzulehnen. Demokratie und die Wahrung der Grund- und Menschenrechte sind unverhandelbar und sind auf jeden Fall einzuhalten!

Wir fordern daher von der türkischen Regierung die sofortige Freilassung der inhaftierten Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten, sowie die Achtung der Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit von Justiz und Gesetzgebung. Wir verurteilen alle Terrorakte und fordern die Reaktivierung des kurdischen Friedensprozesses. Gleichzeitig fordern wir die österreichische Bundesregierung auf, sich in ihren Kontakten mit der Türkei bilateral und im Rahmen der EU ebenfalls mit Nachdruck für diese Forderungen einzusetzen.

Als Abgeordnete sprechen wir an unsere Kolleginnen und Kollegen im türkischen Parlament die Einladung, uns in Wien zu besuchen und uns im Parlament über ihre Probleme und Anliegen zu berichten, aus."