Warum treten Menschen aus der Kirche aus? Und was können
die Kirchen tun, um die Menschen zu halten? Im Ruhrbistum Essen gibt es jetzt
eine Initiative für den Verbleib in der Kirche. Im Interview erläutert
Mitinitiator Thomas Rünker die Gründe.
domradio.de:
Man sagt das immer so schnell: Die Menschen treten aus der Kirche aus, weil
sie Kirchensteuern sparen wollen - aber so einfach ist das nicht, oder?
Thomas
Rünker (Initiative des Bistums Essen zum Verbleib in der Kirche):
Das ist das Problem, was wir in dieser Initiative für den Verbleib in der
Kirche bei uns im Bistum Essen jetzt auch wahrnehmen. Es scheint ein ganz großes
Bündel an Gründen zu geben, dass jedes Jahr bei uns im Bistum eben
Hunderte die Kirche verlassen. Und das zu erforschen ist der Auftrag unserer
Initiative.
Atheistische Anmerkung: Immerhin interessant,
dass die Kirche nun sogar untersucht, warum Leute NICHT austreten! Und dass
die Kirchensteuer zwar ein Austrittsgrund ist, aber wohl kaum der einzige, hat
man auch schon entdeckt!
domradio.de: Wie finden sie
das denn heraus, warum die Menschen der Kirche den Rücken kehren?
Rünker:
Als erstes diskutiert man natürlich über die Kirchensteuer und ich
denke, dass die Diskussion auch ihre Berechtigung hat. Weil es natürlich
ein sehr hoher Beitrag ist, den die Mitglieder in unserer Kirche für diese
Mitgliedschaft zahlen. Und so sehr unsere Initiative darauf abzielt, zu fragen,
wie können wir die Menschen in unserer Kirche halten, so müssen wir
auch fragen, was sind überhaupt die Gründe, warum Menschen bei uns
in der Kirche Mitglied sind. Denn das ist ja das Paradoxe, zumindest wenn man
unsere Kirche mit anderen Organisationen vergleicht, dass ganz viele Menschen
in dieser Kirche Mitglied sind, einen hohen Preis für diese Mitgliedschaft
zahlen, aber kaum Angebote in dieser Kirche wahrnehmen.
Atheistische
Anmerkung: Warum die Leute Kirchenmitglieder sind, erscheint dem Nichtaustrittsforscher
rätselhaft? Und er scheint die Antwort nicht zu wissen! Weiß er
nichts von der Babytaufe, also vom fremdgesteuerten Kircheneintritt?
Fast alle katholischen Kirchenmitglieder sind von Geburt an katholisch!
domradio.de:
Haben Sie darauf Antworten?
Rünker: Nein, noch
nicht. Wir haben gerade erst damit begonnen, diese Fragen, die wir uns in dieser
Arbeitsgruppe gestellt haben, in ein wissenschaftliches Verfahren, in eine Studie
zu gießen. Wir arbeiten da zum Beispiel mit einem Religionspädagogen
in Siegen zusammen, Professor Ulrich Riegel und dem Professor Tobias Faix von
der CVJM-Hochschule in Kassel. Wir arbeiten mit dem ZAP, dem Zentrum für
angewandte Pastoralforschung in Bochum zusammen und arbeiten mit diesen Playern
an einer Studie, die uns hilft, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, um
diese Sachen einfach wissenschaftlich zu untersuchen. Last not least haben wir
noch das Institut Dominique Chenu in Berlin mit an Bord, die für uns diese
systematisch-theologische Erläuterung dazu machen.
Atheistische
Anmerkung: Der Herr Rünker weiß es anscheinend wirklich nicht! Wer in einer katholischen Familie geboren
wird, in der noch zumindest rudimentäre religiöse Traditionen existieren, wird in die katholische Kirche hineingeboren, die Religion ist dann nahezu
so angeboren wie die Staatsbürgerschaft! Wenn die katholische Kirche
darauf angewiesen wäre, Erwachsene zum Kircheneintritt zu werben, hätte
sie auch nicht mehr Mitgieder als irgendwelche Sekten!
(..)
domradio.de: Also Sie betreiben so richtig Marktforschung,
wie man das auch aus der Wirtschaft kennt...
Rünker:
Ja, denn der Ansatz unserer Initiative ist tatsächlich ein fast ökonomischer
Ansatz. Also wir fragen wirklich, was hält diese Menschen oder was lässt
sie austreten, was uns als Bistum natürlich auch finanziell schmerzt. Klar
schmerzt es auch pastoral und es schmerzt auch aus der Frage heraus, dass Menschen
nicht mehr gemeinsam mit uns auf dem Weg sind, aber gerade in unserem Bistum,
das sehr stark finanziell von den Einnahmen aus der Kirchensteuer abhängig
ist, ist es auch ein ökonomischer Verlust, wenn Menschen uns verlassen.
Und deshalb gehen wir da auch mit ökonomisch Orientierten dran, aber eben
auch mit wissenschaftlichen Methoden, um zu erforschen, was denn die Gründe
sind.
Atheistische Anmerkung: Ja, wenn das Loch in der Kasse
größer wird, weil die Kirchensteuerpflichtigen weniger werden, dann macht man Marktstudien.
Weiter oben hat der Herr Rünker bereits treffenderweise festgestellt, "dass
ganz viele Menschen in dieser Kirche Mitglied sind, einen hohen Preis für
diese Mitgliedschaft zahlen, aber kaum Angebote in dieser Kirche wahrnehmen."
Ja, das ist inzwischen in den Ländern mit Kirchensteuer die Regel, dass
Kirchenmitglieder nur zahlen, aber nicht konsumieren. Das gibt es aber nur in
der BRD, der Schweiz, Österreich, Dänemark, Schweden, Finnland. In der BRD und
den angeführten nordeuropäischen Staaten wird die Kirchensteuer
vom Finanzamt eingehoben, in Österreich bekommen die Kirchen die Kundenadressen
von den Meldeämtern und die Kirchenmitglieder können verklagt werden,
wenn sie nicht zahlen, ähnlich (kantonal unterschiedlich) in der Schweiz,
der Austritt erfolgt in der BRD, Österreich und der Schweiz über staatliche
Einrichtungen, in den Nordstaaten direkt bei den Kirchen.
Siehe "Kirchenfinanzierungsmethoden",
dort werden die in Europa üblichen Methoden der Finanzierung von Religionsgemeinschaften
geschildert! In den meisten Ländern macht es rechtlich keinen Unterschied,
ob man Kirchenmitglied ist oder nicht, den Austritt bei einer staatlichen Stelle
gibt's nicht, man tritt direkt bei der Kirche aus.
Und die Frage müsste nun sein:
Warum konsumieren immer mehr Menschen die Religion nicht, für die sie zahlen
und sogar nach Kirchenmeinung viel zahlen! Dass nicht konsumiert wird, liegt an
der Religion und an den Kirchen. In der heutigen Zeit braucht man die göttliche
Hilfe viel seltener, die man früher schon zu benötigen vermeinte,
wenn zum Beispiel Kinder Masern oder Keuchhusten hatten oder wenn es in der
Landwirtschaft zuviel oder zuwenig regnete. Was früher Verzweiflung hervorrief,
wird heute von der Krankenkasse, von irgendeiner Versicherung und vom Sozialstaat
abgesichert, es bleiben darum nur fallweise Einzelschicksale, die keine irdische
Hilfe mehr bekommen können, dann kann ein im Kopf noch vorhandener Gott
reaktiviert werden, aber im Alltag spielt das keine Rolle mehr. Die katholische
Kirche hat zudem eine Menge von seltsamsten Moralansichten - wie jungfräuliche
Ehe, Kondomverbot und keine Ehescheidung, dass ein Naheverhältnis zur Kirche
dem Großteil der Mitglieder eher peinlich wäre...
Und zudem
haben die christlichen Kirchen weitgehend die Verkündung der ewigen Verdammnis
abgeschafft, wer nie in die Kirche geht, kommt nimmer ins Fegefeuer oder
ins ewige Höllenfeuer. Aber in Sachen Nichtaustritt kann das doch noch
eine Rolle spielen. Leute, die den bösen Jesus noch im Religionsunterricht
gelernt haben, der Sünder und Ungläubige zum Heulen und Zähneknirschen
auf ewig zum Teufel in die Hölle schickt, könnten denken, falls es
diese Hölle doch geben sollte, zahl ich vorsichtshalber die Kirchensteuer.
Und sonst kommt natürlich für den Nichtaustritt auch noch das soziale
Umfeld hinzu! Man kann ja familiär, beruflich oder gesellschaftlich auf
eine Kirchenmitgliedschaft irgendwie (wirklich oder vermeintlich) angewiesen
sein, diesen Aspekt behandelt der Herr Rünker natürlich nicht!
domradio.de:
Das heißt auch, Kirche kann in Zukunft nicht darauf warten, dass die Menschen
zu ihr kommen - Kirche muss zu den Menschen gehen? Was kann Kirche denn tun?
Rünker:
Genau, das ist auf jeden Fall eine zentrale Erkenntnis, die uns als
Bistum jetzt schon seit einigen Jahren trägt und treibt. Wenn Sie auf unser
Zukunftsbild in unserem Bistum schauen, gibt es ein Zukunftsbild, über
das ja auch domradio.de schon ganz oft berichtet hat, das mit sieben Begriffen
deutlich macht, wie Kirche künftig unterwegs sein soll. Diese Begriffe
zeigen, dass die Kirche eben tatsächlich, wie Sie sagen, nicht darauf warten
kann, dass man - bildlich gesprochen - die Kirchentüren aufmacht und die
Menschen kommen, sondern dass man zu den Menschen geht. Diese Kirche will nach
unserem Zukunftsbild berührt sein, sie will wach sein, lernend, wirksam,
gesendet und nah. Und sie will vielfältig sein. Und das zeigt auch, wie
diese Kirche in dieser Gesellschaft unterwegs sein muss und das zeigt auch,
wie sie verhindert, dass die Menschen sie verlassen, indem sie eben sehr offen
und wach auf diese Menschen zugeht und schaut, was diese Menschen brauchen und
wie sie als Kirche die Antworten darauf geben kann.
Atheistische
Anmerkung: Das schlagwortige Zukunftsbild wird aber eine Menge konkreter
Umsetzungsmaßnahmen benötigen, dazu wird man Personal brauchen, kirchenamtliches
und freiwilliges. Wie man beim Herangehen an die Verwirklichung der "Neuevangelisierung"
allerdings gesehen hat, funktioniert das einfach nicht, es gibt sowohl zuwenig
Mitwirkende kirchlicherseits als auch praktisch kein interessiertes Publikum. Sogar
nach kircheneigenen Angaben sind in der BRD die sonntäglichen Kirchenbesuche
in den letzten zwanzig Jahren um die Hälfte gesunken, in den letzten 50
Jahren waren es um die achtzig Prozent! Die praktizierenden Katholiken werden
ständig weniger, die Austritte nicht, sondern eher mehr, der Sterbeüberschuss wird ansteigen.
Organisierte Religion funktioniert - abgesehen vom Islam, der wegen des in diesem
Bereich herrschenden Bildungsrückstands noch einen Vorsprung hat - in Europa
immer weniger. In Österreich hat die katholische Kirche noch einen übergroßen
staatlichen Rückhalt, weil die meisten Politiker nicht begreifen, dass
auch die große Mehrheit der katholischen Kirchenmitglieder säkular
denkt und lebt. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, schließlich
wissen die meisten Politiker auch nichts mehr über die Verhältnisse
in der Arbeitswelt...