Das Interview ist also schon eine Woche alt, aber man kann die Aussagen von Dönmez nun auch an der Entwicklung nach der Wahl messen. Dass der Wahlsieg mit 51.4 % für Erdogans Ermächtigungsgesetz deutlich geringer ausfiel als sich der Möchtegernsultan erhofft hatte, wird ihn nicht daran hindern, nun seinen Willen zur Türkenpflicht zu machen. Dass der Wahlsieg durch schwere wahlrechtliche Verstöße zustande kam - rund 2,5 Millionen Kuverts mit Stimmzetteln waren nicht entsprechend gestempelt - ist dem Erdogan egal und war auch der türkischen Wahlbehörde egal, wenn's dem Erdogan hilft, dann wird eben das Wahlrecht gebrochen. Als die OECD-Wahlbeobachter die Weigerung der türkischen Regierung kritisierten, diesen Verstößen nachzugehen, wies der türkische Außenminister Cavusoglu "jegliche Einmischung Europas" zurück. "Ihr könnt nicht in die Türkei kommen und Euch in ihre Politik einmischen". Die Kritik der Wahlbeobachter sei "äußerst parteiisch", habe deshalb "überhaupt keine Geltung und keinen Wert."
OÖN-Redakteur Eike-Clemens Kullmann hat Efgani Dönmez die Fragen
gestellt:
1. In einfachen Worten erklärt: Worüber wird abgestimmt?
Dönmez:
Der Präsident wird künftig nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef.
Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Erdogan ernennt Minister
ohne Parlamentsanhörung, wählt seine Stellvertreter, formt die Ministerien
nach seinem Wunsch, entscheidet persönlich über die Wahl der Universitätsrektoren
und benennt 12 von 15 Höchstrichtern. Erdogan kann das Parlament auflösen
und Gesetzesvorhaben mit seinem Veto blockieren. Die Absetzung des Präsidenten
hat jedoch zur Folge, dass auch das Parlament aufgelöst wird.
2.
Mit welchen Argumenten werben Erdogan und seine AKP für diese tiefgreifende
Verfassungsänderung?
Dönmez: Das es sich um ein Präsidialsystem,
wie es etwa auch in den USA und Frankreich bestehe, handelt. Dies ist jedoch
nicht der Fall.
3. Können die Wahlberechtigten abschätzen,
was diese Veränderung für die Demokratie und möglicherweise jeden
Einzelnen bedeutet?
Dönmez: Nicht wirklich, da dies eines
voraussetzen würde, freie Medien. Die vierte Macht im Staate, die Medien
wurden von Erdogans AKP an die kurze Leine genommen. Jegliche kritische Berichterstattung
hat zur Folge, dass die Medienhäuser geschlossen, die Journalisten entlassen
bzw. weggesperrt werden.
4. Wie stark ist die Opposition - auch im
Hinblick auf die Zeit nach dem Referendum?
Dönmez: Sie ist
schwach, und wenn sie sich nicht in wesentlichen Punkten fraktionsübergreifend
zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschließt und gegen die Auswirkungen
dieser Autokratie gemeinsam ankämpft, wird sie in der Bedeutungslosigkeit
versinken.
5. Wie entscheidend ist das Votum der Auslandstürken?
Dönmez:
In Österreich haben 48,6 Prozent der wahlberechtigten Auslandstürken
an der Wahl zum Referendum teilgenommen. Davon haben nach Schätzungen zwischen
70 bis 80 Prozent im Sinne der AKP gestimmt. Die Auslandstürken könnten
bei einem knappen Ergebnis die entscheidende Richtungsentscheidung liefern.
6.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die Bevölkerung dieser Verfassungsänderung
zustimmen wird?
Dönmez: Die AKP steht nicht geschlossen hinter
dieser Verfassungsänderung, auch die national-islamistische MHP nicht,
daher wird es knapp werden. Abgeordnete, welche sich öffentlich gegen die
Verfassungsänderung ausgesprochen haben, wurden aus der Partei ausgeschlossen,
wie Prof. Ümit Özdag von der MHP. Die türkische Bevölkerung
war niemals so gespalten wie heute. Unabhängig davon, wie das Referendum
ausgeht: diese Gräben sind so tief, dass sie kaum gekittet werden können.
Je höher die Wahlbeteiligung sein wird, desto größer ist die
Wahrscheinlichkeit, dass mit einem Nein abgestimmt wird.
7. Welche
Konsequenzen hätte ein Ja zur Präsidialrepublik für die Demokratie?
Dönmez:
Die Demokratie war in der Türkei noch nie stark ausgeprägt, diese
Verfassungsänderung wird der neuen modernen Türkei den Todesstoß
versetzen. Demokratie setzt Gewaltenteilung voraus und diese gibt es dann nicht
mehr.
8. Wie wird Europa reagieren?
Dönmez: EU
und Amerika haben sich sehr zurückhaltend zu den Entwicklungen in der Türkei
geäußert. Ein Präsidialsystem à la Turka ist für
die EU und Amerika sicher nicht ungelegen. Einen Autokraten als alleinigen Ansprechpartner
zu haben ist für Verhandlungsführungen nicht von Nachteil.
9.
Was bedeutet das vor allem für die Flüchtlingsvereinbarung?
Dönmez:
Erdogan sitzt diesbezüglich am längeren Ast. Die Entwicklungen in
der iranisch-türkischen Grenzregion und die Zunahme der Flüchtlingsbewegungen
Richtung Türkei, in Kombination mit der noch immer nicht erfolgten Auszahlung
der zugesagten zwei Milliarden Euro sowie die de facto nicht funktionierende
Rückübernahmevereinbarung und der steigende Unmut in der türkischen
Bevölkerung deuten darauf hin, dass Erdogan diese entsprechend einzusetzen
weiß, um Druck gegenüber Europa aufzubauen.
10. Was kommt
als nächstes - eine Abstimmung über die Todesstrafe?
Dönmez:
Erdogan hat angekündigt, die Bevölkerung über den Abbruch bezüglich
EU-Beitritt abstimmen zu lassen, ebenso über die Einführung der Todesstrafe.
Beide geplanten Abstimmungen sind mit Blick auf die im europäischen Ausland
lebende türkische Diaspora äußerst spannend. Es wird zu einer
politischen Schizophrenie kommen, wenn über die Einführung der Todesstrafe
in Europa abgestimmt werden darf. Hier dürfen wir gespannt sein, ob sich
unsere politischen Eliten auch zurückhaltend verhalten werden. Für
mich persönlich ist da ein Punkt erreicht, wo wir mit aller Schärfe
des Rechtsstaates darauf reagieren müssen. Auflösung von Vereinen
und Gruppierungen, welche dies unterstützen und ausnahmslose Umsetzung
von sofortigen aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen samt Ausweisung.
Nachbemerkung atheisten-info: Hier wurde bereits mehrfach auf die Ähnlichkeit der Erdogan-Verfassung mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 hingewiesen, mit dem die Hitlerdiktatur sozusagen verfassungsrechtlich festgeschrieben wurde. Erdogan will eine isolierte Türkei und sieht die Türken in Europa als seine Heerscharen, mit denen er Europa unter Druck setzen könnte. Sein Spruch von 1998, "die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten", gilt nun wohl für die Türkei als erfüllt und den Europäern wird er es auch noch zeigen, was so ein Neuosmane für Wünsche hat, denen man zu folgen habe. Das obige Interview war mit "Todesstoß für die Demokratie?" getitelt. Das Fragezeichen ist wohl inzwischen schon als entbehrlich zu betrachten...