Todesstoß für die Demokratie?

So titelten am 15.4.2017 die OÖNachrichten ein Interview mit Efgani Dönmez zur Verfassungsabstimmung in der Türkei.

Das Interview ist also schon eine Woche alt, aber man kann die Aussagen von Dönmez nun auch an der Entwicklung nach der Wahl messen. Dass der Wahlsieg mit 51.4 % für Erdogans Ermächtigungsgesetz deutlich geringer ausfiel als sich der Möchtegernsultan erhofft hatte, wird ihn nicht daran hindern, nun seinen Willen zur Türkenpflicht zu machen. Dass der Wahlsieg durch schwere wahlrechtliche Verstöße zustande kam - rund 2,5 Millionen Kuverts mit Stimmzetteln waren nicht entsprechend gestempelt - ist dem Erdogan egal und war auch der türkischen Wahlbehörde egal, wenn's dem Erdogan hilft, dann wird eben das Wahlrecht gebrochen. Als die OECD-Wahlbeobachter die Weigerung der türkischen Regierung kritisierten, diesen Verstößen nachzugehen, wies der türkische Außenminister Cavusoglu "jegliche Einmischung Europas" zurück. "Ihr könnt nicht in die Türkei kommen und Euch in ihre Politik einmischen". Die Kritik der Wahlbeobachter sei "äußerst parteiisch", habe deshalb "überhaupt keine Geltung und keinen Wert."

OÖN-Redakteur Eike-Clemens Kullmann hat Efgani Dönmez die Fragen gestellt:
1. In einfachen Worten erklärt: Worüber wird abgestimmt?
Dönmez: Der Präsident wird künftig nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Erdogan ernennt Minister ohne Parlamentsanhörung, wählt seine Stellvertreter, formt die Ministerien nach seinem Wunsch, entscheidet persönlich über die Wahl der Universitätsrektoren und benennt 12 von 15 Höchstrichtern. Erdogan kann das Parlament auflösen und Gesetzesvorhaben mit seinem Veto blockieren. Die Absetzung des Präsidenten hat jedoch zur Folge, dass auch das Parlament aufgelöst wird.

2. Mit welchen Argumenten werben Erdogan und seine AKP für diese tiefgreifende Verfassungsänderung?
Dönmez: Das es sich um ein Präsidialsystem, wie es etwa auch in den USA und Frankreich bestehe, handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall.

3. Können die Wahlberechtigten abschätzen, was diese Veränderung für die Demokratie und möglicherweise jeden Einzelnen bedeutet?
Dönmez: Nicht wirklich, da dies eines voraussetzen würde, freie Medien. Die vierte Macht im Staate, die Medien wurden von Erdogans AKP an die kurze Leine genommen. Jegliche kritische Berichterstattung hat zur Folge, dass die Medienhäuser geschlossen, die Journalisten entlassen bzw. weggesperrt werden.

4. Wie stark ist die Opposition - auch im Hinblick auf die Zeit nach dem Referendum?
Dönmez: Sie ist schwach, und wenn sie sich nicht in wesentlichen Punkten fraktionsübergreifend zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschließt und gegen die Auswirkungen dieser Autokratie gemeinsam ankämpft, wird sie in der Bedeutungslosigkeit versinken.

5. Wie entscheidend ist das Votum der Auslandstürken?
Dönmez: In Österreich haben 48,6 Prozent der wahlberechtigten Auslandstürken an der Wahl zum Referendum teilgenommen. Davon haben nach Schätzungen zwischen 70 bis 80 Prozent im Sinne der AKP gestimmt. Die Auslandstürken könnten bei einem knappen Ergebnis die entscheidende Richtungsentscheidung liefern.

6. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die Bevölkerung dieser Verfassungsänderung zustimmen wird?
Dönmez: Die AKP steht nicht geschlossen hinter dieser Verfassungsänderung, auch die national-islamistische MHP nicht, daher wird es knapp werden. Abgeordnete, welche sich öffentlich gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen haben, wurden aus der Partei ausgeschlossen, wie Prof. Ümit Özdag von der MHP. Die türkische Bevölkerung war niemals so gespalten wie heute. Unabhängig davon, wie das Referendum ausgeht: diese Gräben sind so tief, dass sie kaum gekittet werden können. Je höher die Wahlbeteiligung sein wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass mit einem Nein abgestimmt wird.

7. Welche Konsequenzen hätte ein Ja zur Präsidialrepublik für die Demokratie?
Dönmez: Die Demokratie war in der Türkei noch nie stark ausgeprägt, diese Verfassungsänderung wird der neuen modernen Türkei den Todesstoß versetzen. Demokratie setzt Gewaltenteilung voraus und diese gibt es dann nicht mehr.

8. Wie wird Europa reagieren?
Dönmez: EU und Amerika haben sich sehr zurückhaltend zu den Entwicklungen in der Türkei geäußert. Ein Präsidialsystem à la Turka ist für die EU und Amerika sicher nicht ungelegen. Einen Autokraten als alleinigen Ansprechpartner zu haben ist für Verhandlungsführungen nicht von Nachteil.

9. Was bedeutet das vor allem für die Flüchtlingsvereinbarung?
Dönmez: Erdogan sitzt diesbezüglich am längeren Ast. Die Entwicklungen in der iranisch-türkischen Grenzregion und die Zunahme der Flüchtlingsbewegungen Richtung Türkei, in Kombination mit der noch immer nicht erfolgten Auszahlung der zugesagten zwei Milliarden Euro sowie die de facto nicht funktionierende Rückübernahmevereinbarung und der steigende Unmut in der türkischen Bevölkerung deuten darauf hin, dass Erdogan diese entsprechend einzusetzen weiß, um Druck gegenüber Europa aufzubauen.

10. Was kommt als nächstes - eine Abstimmung über die Todesstrafe?
Dönmez: Erdogan hat angekündigt, die Bevölkerung über den Abbruch bezüglich EU-Beitritt abstimmen zu lassen, ebenso über die Einführung der Todesstrafe. Beide geplanten Abstimmungen sind mit Blick auf die im europäischen Ausland lebende türkische Diaspora äußerst spannend. Es wird zu einer politischen Schizophrenie kommen, wenn über die Einführung der Todesstrafe in Europa abgestimmt werden darf. Hier dürfen wir gespannt sein, ob sich unsere politischen Eliten auch zurückhaltend verhalten werden. Für mich persönlich ist da ein Punkt erreicht, wo wir mit aller Schärfe des Rechtsstaates darauf reagieren müssen. Auflösung von Vereinen und Gruppierungen, welche dies unterstützen und ausnahmslose Umsetzung von sofortigen aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen samt Ausweisung.

Nachbemerkung atheisten-info: Hier wurde bereits mehrfach auf die Ähnlichkeit der Erdogan-Verfassung mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 hingewiesen, mit dem die Hitlerdiktatur sozusagen verfassungsrechtlich festgeschrieben wurde. Erdogan will eine isolierte Türkei und sieht die Türken in Europa als seine Heerscharen, mit denen er Europa unter Druck setzen könnte. Sein Spruch von 1998, "die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten", gilt nun wohl für die Türkei als erfüllt und den Europäern wird er es auch noch zeigen, was so ein Neuosmane für Wünsche hat, denen man zu folgen habe. Das obige Interview war mit "Todesstoß für die Demokratie?" getitelt. Das Fragezeichen ist wohl inzwischen schon als entbehrlich zu betrachten...